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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Plenardebatte zur Migrationslage im belarussischen Grenzgebiet im Deutschen Bundestag

11.11.2021 - Rede

Wir kennen alle die entsetzlichen Bilder, die uns aus dem belarussischen Grenzgebiet zu Polen und den baltischen Staaten erreichen, und das nicht erst seit den letzten Tagen. Hunderte Menschen sind dort an der Grenze gestrandet, angeleitet von belarussischen Sicherheitskräften, die ihnen jetzt gewaltsam den Rückweg versperren. Kinder, Frauen und Männer kampieren in Eiseskälte ohne ausreichende Bekleidung unter freiem Himmel. Mittlerweile sind auch Menschen ums Leben gekommen.

Verantwortlich für dieses Leid sind Herr Lukaschenko und seine Helfer in Minsk. Ich will an der Stelle sagen: Unabhängig von anderen politischen Diskussionen, die wir in der Europäischen Union führen, ist das Problem in dieser Frage nicht Polen - diesen Eindruck habe ich manchmal in dieser Debatte -, sondern das Problem ist Lukaschenko, Belarus und das Regime, das es dort gibt. Deshalb hat Polen in dieser Situation unsere Solidarität, europäische Solidarität verdient.

Meine Damen und Herren,
die Machthaber in Minsk bringen Migrantinnen und Migranten unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Belarus, um sie von dort in Richtung Europäische Union zu schicken. Ohne jeden Skrupel missbrauchen sie Tausende von Menschen als Geisel für ein zynisches Machtspiel. Sie wollen die Europäische Union und einzelne Mitgliedstaaten wie insbesondere Polen, aber auch Litauen, unter Druck setzen, und sie spielen dabei skrupellos mit Menschenleben.

Währenddessen, nur um das auch mal zu erwähnen, geht auch die Repression gegen das belarussische Volk weiter. Seit dem vergangenen Jahr haben Sicherheitskräfte des Regimes Tausende Menschen festgenommen, die Zahl der politischen Gefangenen ist auf über 800 gestiegen, und ein Dialog mit der Opposition findet nicht statt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
wir sind in einer Situation, in der es vielleicht emotional naheliegt, Herrn Lukaschenko zu beschimpfen; aber das reicht bei Weitem nicht mehr aus. Wir sind in einer Situation, in der es überfällig ist, jetzt die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Und das wollen wir auch, und zwar mit unseren europäischen Partnern.

Erstens. Die humanitäre Versorgung der Menschen im belarussischen Grenzgebiet hat Priorität, besonders angesichts des nahenden Winters. Zu den Grundwerten der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten gehört, dass wir Menschen in Not nicht alleinlassen. Diese gemeinsamen Werte werden wir auch an unseren Außengrenzen hochhalten müssen. Das Völkerrecht gebietet, gerade in dieser Situation humanitären Zugang zu gewähren. Internationale Hilfsorganisationen und zivilgesellschaftliche Vereinigungen stehen bereit, um den Menschen in Polen, aber auch in Belarus zu helfen, und das muss möglich gemacht werden.

Zweitens. Wir werden als Europäische Union gegen illegale Schleusungen durch Belarus weiter vorgehen. Niemand soll sich ungestraft an diesem Schleuserring beteiligen können. Das ist eine Botschaft an die Transitstaaten, die Herkunftsstaaten und die Fluggesellschaften, mit denen Migrantinnen und Migranten nach Belarus gebracht werden. Ihnen muss klar sein, dass die Europäische Union nicht bereit sein wird, das länger zu akzeptieren.

Diese Botschaft kommt auch an. In den Herkunftsländern haben wir mittlerweile viele Gespräche geführt, die zum Beispiel dazu geführt haben, dass im Irak und in Jordanien Flüge nach Belarus eingestellt worden sind. Wir reden auch mit den Fluggesellschaften. Es ist rechtlich nicht einfach, Fluggesellschaften zu sanktionieren, weil sie formalrechtlich nichts Illegales tun. Aber wir haben allen Fluggesellschaften mittlerweile mitgeteilt, dass es auf EU-Ebene möglicherweise kein Sanktionsregime gibt, dass aber die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehr wohl überlegen, diejenigen, die Mittäter eines Schleuserrings sind, in Haftung zu nehmen. Und Landerechte werden in jedem einzelnen Mitgliedstaat selbst erteilt. Auch das ist ein Thema, mit dem sich diese Fluggesellschaften ernsthaft auseinandersetzen müssen.

Drittens. Die Europäische Union wird ihre Sanktionen gegen Lukaschenkos Regime ausweiten und verschärfen. Das werden wir am Montag im Außenrat in Brüssel beschließen. Diejenigen Personen und Unternehmen, die sich an der gezielten Schleusung beteiligen, werden wir weiter sanktionieren, und zwar überall auf der Welt. Zudem liegen weitere Optionen auf dem Tisch, etwa die Ausweitung schon bestehender und anderer Sanktionsregime, insbesondere der sogenannten sektoralen Sanktionen, also wirtschaftliche.

Es ist in der Vergangenheit durchaus gesagt worden, dass zu viele Wirtschaftssanktionen die Abhängigkeit Belarus’ von Russland weiter verschärfen. Wir sind mittlerweile aber in einer Situation, in der die Konsequenzen klarer werden müssen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass auch so wichtige Wirtschaftszweige wie die Kaliindustrie in Belarus jetzt sanktioniert werden müssen. Das trägt die Mehrheit der Europäischen Union mit.

Viertens. Wir intensivieren unsere Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern. Ich bitte, das nicht zu unterschätzen. Jeder, der das in Zweifel zieht, sollte sich daran erinnern, dass es auf dem Westbalkan gewirkt hat, unsere Aufklärungsarbeit in den Herkunftsländern zu verbessern. Reisebüros und Schleuserbanden locken Menschen auf die gefährliche Reise nach Belarus, weil sie damit Geld verdienen können. Sie ziehen diesen Menschen dafür Tausende von Dollar - möglicherweise das Letzte, was sie haben - aus der Tasche. Deshalb müssen wir mit den Lügen der Schleuser und den Gerüchten in den sozialen Medien aufräumen und auch die Folgen aufzeigen, die Lukaschenkos Handeln für jeden Einzelnen hat, der sich überlegt, sich auf die Reise zu begeben.

Deshalb, meine Damen und Herren: In dieser Situation stehen wir solidarisch an der Seite unserer europäischen Partner in Polen und in Litauen. Die jüngsten Ereignisse zeigen einmal mehr: Wir brauchen nachhaltige und menschliche Lösungen in den Bereichen Flucht und Migration, das heißt Fortschritte hin zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem, das Migrationsursachen angeht, europäische Grenzen schützt, aber vor allem solidarisch ist. Dafür werden wir uns auf europäischer Ebene weiter einsetzen.

Vielen Dank.

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