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„Wir müssen Gesicht zeigen gegen Neonazis und Antisemiten“

02.09.2018 - Interview

Außenminister Maas im Interview mit der Bild am Sonntag zu den Ereignissen in Chemnitz. Weitere Themen: transatlantisches Verhältnis, europäische Außenpolitik, Flucht und Migration, sein bevorstehender Türkei-Besuch.

Herr Minister, werden die Ausschreitungen in Chemnitz im Ausland registriert?

Natürlich. Meine europäischen Kollegen haben mich am Donnerstag beim Außenministertreffen in Wien sehr oft darauf angesprochen.

Was haben Sie geantwortet?

Dass es schockierend ist. Sowohl der brutale Mord als auch die abscheulichen Hetzjagden auf unschuldige Passanten. Alle Täter müssen die Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen. Was ich allerdings auch deutlich mache ist: Die große Mehrheit in Deutschland findet eine solche Hetzjagd ebenfalls unerträglich. Sie ist weltoffen und tolerant.

Wie sehr beschädigen die rechtsextremen Ausschreitungen den Ruf Deutschlands in der Welt?

Wenn es um Ausländerfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Rassismus geht, wird Deutschland ganz besonders kritisch beäugt – zu Recht. Wenn auf unseren Straßen heute wieder der Hitlergruß gezeigt wird, ist das eine Schande für unser Land. Die Politik muss ihre Hausaufgaben machen. Und die gesamte Gesellschaft ist gefordert: Wir müssen uns den Rechtsextremen entgegen stellen. Wir dürfen uns nicht weg ducken. Wir müssen Gesicht zeigen gegen Neonazis und Antisemiten. Nur dann werden fremdenfeindliche Untaten das Ansehen Deutschlands nicht nachhaltig beschädigen.

Kanada hat seit Jahren einen Reisehinweis, insbesondere für dunkelhäutige Menschen, für Ostdeutschland. Halten Sie das für gerechtfertigt?

Das müssen andere Länder grundsätzlich selbst entscheiden. Tatsache ist, dass es auch in Ostdeutschland leider immer wieder rassistische Straftaten gibt. Wir würden es uns jedoch viel zu einfach machen, wenn wir das Problem nur auf den Osten beschränken. Wichtig ist, egal ob in Sachsen oder wo auch immer: Alle aufrechten Demokraten brauchen jetzt unsere volle Unterstützung.

Was ist schlimmer: Die paar Rechtsextremen, die den Hitlergruß zeigen oder die vielen bürgerlichen Demonstranten, die neben ihnen protestieren?

Beides. Bedrohlich wird es, wenn sich die Anständigen nicht einmischen. Wenn die Anständigen schweigen, wirken die Rassisten viel lauter. Wir alle müssen der Welt zeigen, dass wir Demokraten die Mehrheit und die Rassisten eine Minderheit sind. Die schweigende Mehrheit muss endlich lauter werden.

Wie denn?

Meine Generation hat Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geschenkt bekommen. Wir mussten das nicht erkämpfen, nehmen es teilweise als zu selbstverständlich wahr. Es hat sich in unserer Gesellschaft leider eine Bequemlichkeit breit gemacht, die wir überwinden müssen. Da müssen wir dann auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen. Die Jahre des diskursiven Wachkomas müssen ein Ende haben. Unsere Demokratie ist das, was wir daraus machen.

Wie reagieren Sie, wenn bei einer Party plötzlich ein Freund oder Verwandter rassistische Sachen sagt?

Meine Erfahrung ist, dass es wenig bringt, Menschen sofort auszugrenzen. Es ist sogar kontraproduktiv. Ich stelle dann meist eine ganz simplen Frage: „Warum sagst Du das?“ Wenn jemand seine Ängste artikulieren kann, dann ist das ein Schlüssel dazu, sie entkräften zu können. Nicht alle, aber die meisten Menschen erreicht man, wenn man über die Fakten redet.

Vertrauen Sie US-Präsident Donald Trump?

Es irritiert mich, wenn Trump Europa zusammen mit Russland und China als die Gegner der USA bezeichnet. Aber: Trotz aller Probleme habe ich mein Vertrauen in die Vereinigten Staaten nicht verloren. Und zwar kein bisschen. Unsere Freundschaft basiert auf Werten wie Demokratie, Freiheit, Menschenrechte - nicht auf Präsidenten. Wir dürfen nicht den Fehler machen, Trump mit den USA gleichzusetzen. Amerika ist mehr als die Tweets aus dem Weißen Haus.

Sie selbst wollen die Partnerschaft mit den USA neu definieren. Was heißt das konkret?

Dass wir bei Wirtschaftssanktionen oder Strafzöllen nicht wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen. Gegen solche Aktionen müssen wir unsere eigenen Interessen entschlossen vertreten. Das geht allerdings nicht als 80 Millionen Deutsche, sondern nur als Europa der 500 Millionen.

Würden Sie eigentlich Russlands Präsident Wladimir Putin zu Ihrer Hochzeit einladen?

Nein.

Ihre österreichische Außenministerkollegin Karin Kneissl hat Putin zu ihrer Hochzeit eingeladen, tief vor ihm geknickst und einen Ehrentanz eingelegt. Was haben Sie gedacht, als sie diese Bilder sahen?

Als Außenminister bin ich auch der oberste Diplomat. Deshalb sage ich dazu jetzt mal lieber nichts.

Europa ist in der Außenpolitik eben keine 500-Millionen-Macht, sondern ein ziemlich zerstrittener Haufen...

Widerspruch! Gerade bei den Strafzöllen und dem Atomabkommen mit dem Iran hat sich Europa einig und handlungsfähig gezeigt. Allerdings ist es sehr wichtig, dass wir bestimmte außenpolitische Entscheidungen in der Zukunft nicht mehr nur einstimmig treffen dürfen. Mehrheitsentscheidungen schützen uns davor, dass andere Mächte nur ein Mitgliedsland rauskaufen müssten, damit alles blockiert ist.

Wann kommt das endlich?

Nach den Europawahlen im nächsten Frühjahr sollten wir das in die Wege leiten.

Und Sie glauben wirklich, mit einer Mehrheitsentscheidung kann man Polen oder Ungarn dazu zwingen, Zehntausende Flüchtlinge aufzunehmen?

Das wäre nicht vernünftig. Wir sollten nicht zulassen, dass die Migrationsfrage weiter zum Spaltpilz wird. Stattdessen schlage ich vor: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, muss an anderer Stelle Verantwortung übernehmen. Zum Beispiel bei der Bekämpfung der Fluchtursachen in Afrika.

Ihr französischer Kollge Le Drian sagt, dass er für rechtspopulistische Regierungen in Europa nicht mehr zahlen will...

Dass Defizite in der Rechtsstaatlichkeit finanzielle Auswirkungen haben könnten, wird in Brüssel schon länger diskutiert. Uns Deutschen steht in außenpolitischen Diskussionen allerdings die ausgestreckte Hand besser als der erhobene Zeigefinger. Wir brauchen ein geschlossenes Europa. Eine Spaltung Europas in erste und zweite Klasse würde die europäische Idee untergraben.

Die Türkei ist in der Krise. Müssen wir dem Land helfen, auch finanziell?

Wir haben keinerlei Interesse daran, dass die Türkei wirtschaftlich und politisch abschmiert. Es geht aber jetzt nicht um konkrete finanzielle Hilfsmaßnahmen für die türkische Wirtschaft, sondern um eine Normalisierung unserer Beziehungen. Dafür muss die Türkei liefern.

Was erwarten Sie von Präsident Erdogan im Vorfeld seines Staatsbesuchs in Deutschland?

Ich reise nächste Woche selbst in die Türkei. Es sitzen nach wie vor sieben deutsche Staatsbürger in der Türkei im Gefängnis - ohne nachvollziehbaren Grund. Menschen müssen seit über einem Jahr Einzelhaft ertragen, ohne dass Anklageschriften vorliegen. Diese Zustände sind unhaltbar und müssen beendet werden.

Kommen Sie noch zum Radfahren und Laufen?

Nicht so oft wie früher, aber Joggen kann ich auch bei Auslandsreisen, wenn der Terminplan das zulässt. Und wenn ich im September eine Woche bei der UNO-Vollversammlung in New York bin, nehme ich mein Rennrad mit. Im Central Park gibt es eine Radstrecke, da will ich morgens vor dem täglichen Sitzungsmarathon ein paar Runden drehen. Mal sehen, ob ich den ein oder anderen Kollegen mitschleppen kann.

Interview: Roman Eichinger und Angelika Hellemann

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