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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Eröffnung des Bali Democracy Forums

14.09.2018 - Rede
Außenminister Heiko Maas spricht beim Bali Democracy Forum - Berlin Chapter
Außenminister Heiko Maas spricht beim „Bali Democracy Forum - Berlin Chapter“© Florian Gaertner/photothek.net

Liebe Frau Kollegin Marsudi,
meine Damen und Herren Abgeordnete,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bali Democracy Forums,
sehr geehrte Damen und Herren,

wir reden heute über Migration und Demokratie. Und offen gesagt, in Deutschland sprechen wir derzeit sehr viel über dieses Spannungsfeld.

Ja, ich sage Spannungsfeld ganz bewusst. Aber nicht etwa, weil die sogenannte Migrationsfrage als solche ein Problem für die Demokratie wäre. Genau genommen ist Migration ohnehin keine „Frage“, schon gar keine, die man mit Ja oder Nein beantworten könnte.

Migration ist eine Tatsache. Sie ist so alt wie unser Planet.

Und trotzdem ist es gerade die Diskussion über den Umgang mit Migration, die unsere Gesellschaften zu spalten droht. Das erleben wir gerade auch innerhalb der EU, aber auch in Deutschland. In Lager, die sich scheinbar unversöhnlich gegenüber stehen. Und manch einer glaubt in ihr gar die Mutter aller politischen Probleme zu erkennen.

Migration wird missbraucht, um damit zu polarisieren. Ängste werden geschürt und missbraucht, die mit Migration allenfalls sekundär zu tun haben: Sorgen etwa um die Rente, die Pflege, den eigene Arbeitsplatz, Sicherheit, Bildung. Um die Folgen von Globalisierung und Digitalisierung im Allgemeinen.

Diese Herausforderungen haben kein Gesicht. Sie lassen sich auch nicht verantwortlich machen. Sie lassen sich vor allen Dingen nicht aussperren.

Ende 2017 waren fast 70 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, die Tendenz ist steigend. Hinzu kommen Millionen von Menschen, die aus wirtschaftlichen oder sozialen Gründen ihre Heimat verlassen.

Der Gedanke, diesem globalen Trend allein auf nationaler Ebene begegnen zu wollen, dieser Gedanke wirkt geradezu naiv!

Wir brauchen internationale Konzepte und multilaterale Zusammenarbeit, wenn wir die Herausforderungen der Migration wirklich annehmen wollen!

Ich weiß, sehr geehrte Kollegin Marsudi, dass dies gerade auch Indonesien und die ASEAN Staaten genau so sehen. Wir teilen mit Ihnen das vitale Interesse an starken und für alle geltenden internationalen Regeln – auch im Migrationsbereich und ich glaube auch weit darüber hinaus. Wir teilen auch das Interesse an einer fairen Lastenteilung und an starken internationalen Organisationen.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem die Wahlen für den Sicherheitsrat in New York stattgefunden haben, da wir diesen Tag auch gemeinsam verbracht haben. Ich freue mich, gemeinsam mit Ihnen ab dem nächsten Jahr im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu sein und vor allen Dingen noch enger zusammenzuarbeiten. Ich weiß um die Vorreiterrolle, die Indonesien in den Vereinten Nationen schon immer eingenommen hat. Deshalb, glaube ich, werden wir gute Partner sein. Lassen Sie uns gemeinsam für den Multilateralismus kämpfen, denn das ist notwendiger denn je in unserer Zeit. Und das nicht nur, aber auch, und darum geht es heute, in Fragen der Migrationspolitik.

Meine Damen und Herren,
angesichts der polarisierten Debatte, die wir derzeit auf jedem der fünf Kontinente erleben, grenzt es fast schon an ein Wunder, dass die Weltgemeinschaft in diesem Frühsommer beim Thema Flucht und Migration zu einer Einigung gekommen ist.

Die Konsultationen über einen Globalen Pakt für Flüchtlinge und einen Globalen Pakt für Migration konnten erfolgreich abgeschlossen werden.

Mehr als 190 Staaten haben sich bei einem solch komplexen und gleichwohl, wie wir wissen, auch sehr emotionalen Themenkomplex geeinigt. Und auch das ist ein Sieg für den Multilateralismus gewesen und das ist ganz wichtig, gerade heute!

Mit dem Abschluss der Verhandlungen zum Globalen Pakt für Migration liegt nun ein Entwurf für ein umfassendes Rahmenwerk für internationale Migrationssteuerung vor und das hat auch politische Strahlkraft.

Das ist das Ergebnis jahrelanger Diskussionen zwischen den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen, der Zivilgesellschaft, dem Privatsektor, der Wissenschaft, den nationalen Parlamenten und zahlreichen unverzichtbaren anderen Akteuren.

Ein gemeinsamer Kraftakt, der Mut macht! Und er macht Mut, weil es gelungen ist, einen Interessenausgleich zwischen Herkunfts-, Transit- und Zielländern zu finden, und dabei vor allem die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen im Auge zu behalten.

Das Global Forum on Migration and Development hat als informeller Zusammenschluss von Staaten, aber auch Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft unter deutsch-marokkanischem Vorsitz einen ganz wichtigen Beitrag dazu geleistet.

Gemeinsam mit Indonesien und den anderen Unterstützern des Bali Demokratieforums wollen wir nun zusammenarbeiten, damit der Globale Migrationspakt auf der Gipfelkonferenz in Marrakesch von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen angenommen wird und dann vor allen Dingen auch mit Leben erfüllt wird.

Nicht weniger wichtig sind die Verhandlungen des Globalen Pakts für Flüchtlinge, der im Dezember dieses Jahres von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen werden soll. Er muss eine Antwort auf die Frage geben, wie eine gerechtere internationale Lasten- und Verantwortungsteilung ausgestaltet werden kann. Die Erwartungen an alle Staaten, die sind auch entsprechend hoch.

Ich nenne als Beispiel nur die Frage der humanitären Neuansiedlung. Über eine Million Menschen brauchen akut diese Perspektive.

Deutschland und Europa beteiligen sich substantiell. Die Probleme werden aber nur dann annähernd gelöst werden können, wenn auch andere Staaten Bereitschaft zur Aufnahme von Schutzsuchenden zeigen und ihr Engagement nicht zurückfahren. Auch dafür sollten wir uns gemeinsam einsetzen, ASEAN- und EU-Mitglieder gleichermaßen.

Im Umgang mit Flüchtlingen zeigt sich eben, wie ernst es Staaten mit ihrem Bekenntnis zur Menschenwürde wirklich meinen.

Einige Staaten in der unmittelbaren Nachbarschaft von Konflikten – ich denke zum Beispiel an Jordanien, den Libanon oder an Bangladesch, aber auch an Staaten in Ostafrika – die haben sich schon außerordentlich hilfsbereit gezeigt.

Davor haben wir großen Respekt! Doch Respekt allein reicht nicht aus. Diese Staaten haben unsere Unterstützung verdient und ich kann für Deutschland als dem zweitgrößten humanitären Geber zusichern: Wir werden die Aufnahmeländer auch in Zukunft nicht im Stich lassen! Aber auch andere müssen ihren Beitrag, einen fairen Beitrag dazu leisten.

Seit 2015 haben 3,5 Millionen Menschen allein in Europa einen Antrag auf Asyl gestellt. Deutschland ist mittlerweile das sechstgrößte Flüchtlingsaufnahmeland weltweit. Gemessen an der Größe dieser Herausforderung haben wir wie ich finde, trotz aller Diskussionen, auch in unserem Land viel erreicht.

Und trotzdem: Das Thema Flucht und Migration ist zum größten Spaltpilz zwischen uns Europäern in den letzten Jahren geworden. Und es nützt nichts, die Augen davor zu verschließen. Wie zerrissen die EU in dieser Frage ist, zeigt sich übrigens auch daran, dass sich neben den USA auch ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, nämlich Ungarn, aus dem Globalen Pakt für Migration zurückgezogen hat. Und das bedauern wir sehr, denn Europa muss die Werte leben, die es sich auf die Fahne geschrieben hat. Nur dann kann man diese Werte glaubhaft verteidigen – nach innen wie auch nach außen.

Wir werden daher nach Wegen suchen, wie wir diese Spaltungen überwinden können. Wir müssen dafür Lösungen finden. Wenn manche Staaten sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, dann werden sie an anderer Stelle mehr leisten müssen – etwa bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Auch so lässt sich Solidarität buchstabieren – in Europa, aber auch auf der Welt überall.

Meine Damen und Herren,
das alles geht nicht ohne die Zivilgesellschaft. Zivilgesellschaftliches Engagement ist nicht nur bei der Hilfe für Schutzsuchende wesentlich.

Auch die enorme Aufgabe der Integration von Migrantinnen und Migranten kann nur geschultert werden, wenn es eine starke Zivilgesellschaft gibt. Das ist ein Markenzeichen von Demokratien.

Ich freue mich deshalb ganz besonders darüber, dass das Bali-Forum Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft aus unseren beiden Regionen zusammenbringt. Bitte geben Sie auch weiterhin denjenigen eine Stimme, um die es beim Thema Flucht und Migration in erster Linie geht: Den Menschen, die freiwillig oder unfreiwillig fern von ihren Heimatländern leben. Ihre Stimme geht zu oft unter mittlerweile im Geschrei der Populisten und auch Nationalisten.

Meine Damen und Herren,
erlauben Sie mir abschließend eine Bemerkung, die mir in der derzeitigen aufgeheizten Diskussion hier in Deutschland viel zu kurz kommt, die mir jedoch sehr wichtig ist: Migrantinnen und Migranten sind Teil unserer Gesellschaft. Und das sind sie ganz selbstverständlich! Sie sind unsere Nachbarn, unsere Kollegen. Sie sind unsere Freunde. Sie sind Mütter und Väter von tollen Kindern! Sie sind eine Bereicherung für unser Land.

Nicht Migration, sondern Nationalismus ist die Mutter aller Probleme. Das sehen wir nicht nur hier in Deutschland. Das sehen wir weltweit. Das sehen wir überall da, wo Autokratien erstarken. Wo Pluralismus zurückgedrängt wird. Wo Offenheit und Freiheit, Abschottung und Mauern weichen. Diese Entwicklung ist nicht weniger als ein Angriff auf unsere liberale Demokratie, auf Respekt und Toleranz.

Deshalb: Was wir jetzt brauchen ist ein Schulterschluss aller Demokraten und aller Demokratien. Was uns auf internationaler Ebene mit dem Global Compact for Migration gelungen ist, das muss auch in unseren demokratischen Gesellschaften gelingen: Verständigung und Dialog.

Dabei ist jeder ist gefordert, sich den Angriffen der Demokratiefeinde entgegenzustellen!

Chemnitz hat das am 3. September vorgemacht. 65.000 Menschen sagten „wir sind mehr“ und setzten mit einem Konzert ein starkes Zeichen gegen Rassismus und Rechtsextremismus.

An diesem Tag stand Chemnitz nicht für Fremdenfeindlichkeit und Hass – an diesem Tag war Chemnitz Synonym für Herz statt Hetze.

Mir kam dabei ein Ausspruch des deutschen Künstlers Joseph Beuys in den Sinn, der einmal sagte: „Demokratie muss gesungen werden!“

Und ich möchte ergänzen: Demokratie muss auch geliebt werden.

Demokratie muss erstritten werden. Aber vor allem muss Demokratie gelebt werden. Demokratie ist letztlich das, was wir daraus machen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Wir dürfen nicht müde werden, für den Zusammenhalt in unseren Gesellschaften einzutreten und das ist heute nötiger denn je. Denn nur so kann Integration gelingen – in Deutschland, in Europa und auch in der ganzen Welt.

Noch einmal herzlich willkommen in Berlin im Auswärtigen Amt!

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