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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der parlamentarischen Debatte zur Verlängerung des Anti-IS-Mandats im Deutschen Bundestag
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben in den letzten Monaten hier oft über die Lage in Syrien, im Irak und in der ganzen Region gesprochen. Leider muss man vorweg sagen: Die Lage bleibt außerordentlich ernst. Das hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass aufgrund der Coronapandemie beide Länder vor weitere Schwierigkeiten gestellt worden sind. Der „Islamische Staat“ hat die Pandemie genutzt, um seine Aktivitäten vor Ort wieder auszuweiten.
Im Irak steigerte der IS die Zahl seiner brutalen Anschläge alleine im Frühjahr zeitweise auf das Niveau vom März 2018. In Syrien kommt es weiterhin zu durchschnittlich 100 Anschlägen im Monat. Darunter sind durchaus wieder vermehrt komplexe Angriffe mit vielen Opfern. Zudem erstarkt der „Islamische Staat“ zunehmend auch in regimekontrollierten Gebieten in Syrien erneut.
Ein Grund für das Wiedererstarken des IS liegt darin, dass der regionale Verfolgungsdruck auf die Terroristen in den letzten Monaten wegen der Pandemie deutlich zurückgegangen ist. Das zeigt uns: Der IS mag in Syrien und im Irak keine zusammenhängenden Gebiete mehr kontrollieren, aber er ist nicht verschwunden und reagiert schnell auf neue Entwicklungen. Der IS bleibt eine Bedrohung für die Sicherheit der Region und damit auch eine Bedrohung der Sicherheit für uns in Europa.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei aller Sorge um die Sicherheitslage: Die politische Bilanz der letzten Monate im Irak ist durchaus positiv. Dort regiert seit Mai mit Mustafa Al-Kadhimi ein neuer Premierminister, der in den ersten Monaten seiner Amtszeit die Probleme des Landes sehr engagiert angepackt hat. Innenpolitisch greift er die Forderungen der Protestbewegung auf, will Gewaltverbrechen gegen Aktivisten aufklären und hat auch vorgezogene Neuwahlen für das nächste Jahr angekündigt. Wirtschaftspolitisch verfolgt er eine ambitionierte Reformagenda. Regionalpolitisch - und das ist außerordentlich wichtig - fährt seine Regierung eine sehr, sehr konstruktive Linie. Sie zielt auf nationale Souveränität ab, sie betreibt regionalen Ausgleich und hält sogar ein Gleichgewicht zwischen den USA und dem Iran.
Sicherheitspolitisch drängt der Premierminister auf die Stärkung des staatlichen Gewaltmonopols sowie ein noch entschiedeneres Vorgehen gegen den wiedererstarkten IS. Seine Regierung - auch das sollte nicht verschwiegen bleiben - handelt auch gegen Gruppierungen, die hinter Angriffen auf internationales Personal im Irak stehen. Das konnten wir selber feststellen, weil die irakischen Sicherheitsbehörden ganz intensiv dafür gesorgt haben, dass eine Deutsche, die dort gefangen genommen wurde, wieder befreit werden konnte. Damit einher gehen Fortschritte der irakischen Streit- und Sicherheitskräfte. Sie führen vermehrt eigenständige Operationen gegen den IS erfolgreich durch. Ihre Strukturen zur Aus- und Weiterbildung sind bereits in den letzten Monaten deutlich verbessert worden.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Mandatsantrag führt die Bundesregierung die deutschen Beiträge im Rahmen der internationalen Anti-IS-Koalition und der NATO-Mission im Irak fort. Damit sichern wir das Erreichte und schaffen Grundlagen für die Zukunft. Das Mandat gibt gleichzeitig genug Flexibilität, um auf mögliche Auswirkungen der Coronapandemie erneut zu reagieren.
[Zwischenfrage: Sie haben gerade die Leistungen der irakischen Streitkräfte und Sicherheitskräfte hervorgehoben. Ihnen ist ja bekannt, dass es letzten Winter massive soziale Proteste im Irak gab, bei denen die Sicherheitskräfte mit dem Resultat eingesetzt wurden, dass es über 500 getötete Demonstranten gab. Meine Frage ist: Können Sie ausschließen, dass die Einheiten, die eingesetzt worden sind, von der Bundeswehr ausgebildet worden sind?]
Ich beantworte grundsätzlich keine Können-Sie-ausschließen-Fragen, aber ich kann Ihnen sagen, dass wir mit der irakischen Regierung - der irakische Außenminister ist gerade vor wenigen Tagen hier gewesen - intensiv darüber gesprochen haben und die irakische Regierung bzw. der neue Premierminister - ich habe das eben schon mal erwähnt - Verfahren in Gang gesetzt haben, die dafür sorgen sollen, dass diese Fragen beantwortet werden und dass diese Verbrechen, die an Demonstranten begangen worden sind, aufgeklärt werden. Wenn diese Aufklärung erfolgt ist, kann man sicherlich auch auf Ihre Frage noch eine konkretere Antwort geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei alldem ist vor allen Dingen zweierlei aus unserer Sicht ganz besonders wichtig, wenn es darum geht, dieses Mandat zu verlängern. Da wir ja im März die Aufklärungsflüge beendet haben, ist es im Übrigen auch möglich, die Mandatsobergrenze von 700 auf 500 Soldatinnen und Soldaten herabzusetzen. Es gibt zwei Dinge, die dabei ganz besonders wichtig sind und die die Debatten in diesem Hause auch immer geprägt haben:
Erstens. Es ist der ausdrückliche Wunsch der irakischen Regierung, dass die Bundeswehr weiterhin im Irak präsent ist. Zuletzt hat mein irakischer Amtskollege vor wenigen Tagen hier in Berlin noch einmal sehr deutlich gemacht, wie sehr sein Land die deutsche und die internationale Unterstützung schätzt, und zwar zivil und militärisch. Er hat das auch gegenüber Vertreterinnen und Vertretern des Parlamentes deutlich gemacht.
Zweitens bleibt das deutsche Engagement gegen den IS eingebettet in eine politisch-zivile Gesamtstrategie zur Stabilisierung der gesamten Region. Militärischer Druck alleine wird nicht ausreichen, um dem IS den Nährboden zu entziehen. Nur wenn die Menschen vor Ort auch wirklich spüren, dass ihre Lebensumstände besser sind als zuvor, dann verliert der IS ein für alle Mal seine Grundlage, auf der er seine Aktivitäten ausbreitet.
Daran arbeiten wir mit der neuen Regierung sehr intensiv.
Deshalb hat Deutschland für die humanitäre Hilfe, für die Entwicklungszusammenarbeit und für Stabilisierungsprojekte in der Region bisher mehr als 2,2 Milliarden Euro bereitgestellt. Wir unterstützen aktuell weiter die Minenräumung und auch die Deradikalisierung. Wir fördern die Rückkehr und Reintegration von IS-Vertriebenen. Das schließt auch die konsequente Aufarbeitung der IS-Verbrechen ein.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vorbedingungen für zivilen Aufbau bleiben allerdings Sicherheit und Stabilität. Dem dient unser Einsatz als zuverlässiger Partner in der internationalen Anti-IS-Koalition und der NATO-Mission. Das entspricht auch der Wahrnehmung unserer internationalen Verantwortung, und es entspricht auch unseren eigenen sicherheitspolitischen Interessen.
Deshalb bitte ich Sie um die Zustimmung für die Verlängerung des Mandates.