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Rede von Außenminister Heiko Maas anlässlich der Verleihung des Deutschen Afrika-Preises 2020 an Frau Ilwad Elman

27.10.2020 - Rede

Es ist fast schon etwas ungewöhnlich, eine Rede zu halten und in menschliche Augenpaare zu schauen. Bei den Reden, die ich im Moment so halte, schaue ich meistens in ein Kameraauge. Deshalb finde ich es sehr erfreulich, dass es gelungen ist, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen diese Präsenzveranstaltung zu organisieren. Ich denke, was mit dem Preis zum Ausdruck gebracht wird, lässt sich an einem solchen Tag viel besser dokumentieren.

Liebe Frau Elman,

schön, dass Sie es geschafft haben, in diesen schwierigen Zeiten überhaupt hierher zu kommen. Sorry für die Quarantäne, aber damit trifft es uns alle. Ich kenne das gut, denn vor kurzem musste auch ich zwei Wochen in Quarantäne verbringen. Eine durchaus interessante Erfahrung mit viel Zeit zur Selbstreflexion. Aber schön, dass es geklappt hat, dass Sie heute hier sind.

Und heute ist für mich so ein bisschen ein Afrikatag, denn Frau Dr. Eid hat es eben schon angesprochen: Eigentlich sollte in dieser Zeit der EU-Afrika-Gipfel stattfinden hier bei uns. Deshalb habe ich heute gerade mit meiner Kollegin aus Südafrika, Naledi Pandor, telefoniert. Wir haben darüber gesprochen, wie wir den verschobenen Gipfel weiter vorbereiten und auf einem Außenministertreffen versuchen werden, seine Themen herauszuarbeiten. Und ich habe mich nicht gescheut, der Kollegin zu erzählen, dass ich heute Abend den Deutschen Afrika-Preis an Sie, Frau Elman, überreiche. Und sie hat mich gebeten, Sie ganz herzlich von ihr zu grüßen. Südafrika hat ja zurzeit – wie auch wir in Deutschland in der EU – die Präsidentschaft in der Afrikanischen Union inne.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist gerade die Zeit, in der man jeden Abend Vogelschwärme im Himmel über Deutschland beobachten kann. Sie ziehen Richtung Süden, bis nach Afrika. Denn Afrika ist uns, und das wird daran sehr deutlich, so nah, dass „unsere Zugvögel“ dort überwintern können.

Und trotzdem, und das ist eine Realität, die auch ausgesprochen gehört, und trotzdem herrscht immer noch oft Desinteresse, wenn man hier in Deutschland und auch an anderen Stellen in Europa über Afrika redet.

Das gilt hier, heute Abend, natürlich nicht. Denn die Afrika-Stiftung kämpft seit Jahren gegen genau diese Mauer an.

Es gibt aber noch eine weitere Mauer, gegen die wir gemeinsam ankämpfen müssen, weil sie den Blick auf Afrika häufig verstellt. Das ist etwas, was leider viel zu oft in unserer Gesellschaft hochkommt, auch in Bezug auf Afrika: Nämlich Vorurteile.

Krisen, Krankheiten, Korruption – diese drei K’s prägen nach wie vor das Afrika-Bild in weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit. Und das vierte K – der Kolonialismus und seine Folgen – schwingt dabei immer mit, und zwar auf beiden Seiten.

Selbst manch neuer Gedanke droht angesichts der Unkenntnis über den anderen, die es bedauerlicherweise nach wie vor gibt, zum Klischee zu erstarren. So bildet etwa das ständige Reden von „Afrika als Zukunftskontinent“ allenfalls einen Teil der Realität ab.

Denn: Die Realität Afrikas, einem Kontinent der doppelt so viele Staaten wie die EU umfasst und beinahe siebenmal so groß ist, diese Realität Afrikas ist komplex – ethnisch, soziokulturell, ökonomisch, historisch und auch religiös.

Hinzu kommen die geopolitischen Umbrüche, die auch vor Afrika nicht Halt machen.

  • Partner wie die USA, traditionell stark engagiert, suchen nach einer neuen Rolle und schaffen dadurch auch sicherheitspolitisch Freistellen.
  • Großbritannien bündelt sein Engagement nicht länger unter dem Dach der Europäischen Union. Das hat etwas mit dem Brexit zu tun.
  • Und vielerorts gibt China den Ton an. Auch weil Peking seine Interessen in Afrika sehr klar formuliert – und noch viel konsequenter auch durchsetzt.

Was aber bedeutet das für unsere Beziehungen zu Afrika? Oder gar für die Formulierung einer europäischen „Afrika-Politik“, von der in der Europäischen Union oft die Rede ist?

Zunächst einmal: Wir Europäer, wir sollten Afrika nicht nur aus geografischer Sicht endlich als unseren natürlichen Verbündeten begreifen.

Denn: Die größten Herausforderungen unserer Zeit, die treffen uns gleichermaßen. Uns hier in Europa genauso wie unsere Freundinnen und Freunde in Afrika.

Das aktuellste Beispiel ist sicherlich die weltweit grassierende Pandemie, die wir nur dann überwinden werden, wenn wir sie weltweit in den Griff bekommen. Das erklärt, warum Europa sich so stark dafür einsetzt, dass etwa ein Impfstoff und Medikamente allen Menschen zur Verfügung gestellt werden müssen. Im Moment wird viel geredet über die Erforschung und die Zulassung eines Impfstoffs. Ich hoffe, dass das in absehbarer Zeit auch erfolgt. Aber da gibt es noch eine zweite Hürde, die zu nehmen ist, nämlich die Produktion dieses Impfstoffs. Und dann müssen wir dafür sorgen, dass dieser Impfstoff als ein “global public good” betrachtet wird und dorthin kommt, wo er gebraucht wird – und nicht nur dorthin, wo man ihn bezahlen kann.

Meine Damen und Herren,

aber nicht nur die Pandemie, auch die Digitalisierung, der Klimawandel, Flucht und Migration sind Phänomene, die per se nicht vor Grenzen Halt machen. Das haben sie in der Vergangenheit nicht getan und das wird auch in der Zukunft nicht anders sein.

Und die logische Konsequenz ist, dass wir, Afrikaner und Europäer, angesichts all dieser Herausforderungen, noch viel enger zusammenarbeiten müssen.

Drei Dinge haben wir uns in der Bundesregierung im Rahmen unserer Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union deshalb ganz besonders zum Ziel gesetzt.

Der erste Punkt besteht darin, dass wir vielleicht einmal einfach damit beginnen sollten, etwas Klarheit zu schaffen. Und wir im Auswärtigen Amt beginnen gerade damit – und ich hoffe, mit Unterstützung des Deutschen Bundestages – unsere Auslandsvertretungen in fragilen Regionen in Afrika personell, logistisch, in allen Beziehungen aufzustocken. Darüber sprechen wir mit dem Haushaltsgesetzgeber.

Aber das ist eine der Voraussetzungen, um nicht nur mehr zu erfahren, aktueller informiert zu sein, sondern die vielen Initiativen, die es gibt, auch wirklich realisieren zu können.

Wir haben außerdem in neue Partnerschaften investiert – zum Beispiel der “Compact with Africa” im G20-Rahmen. Aber auch regional, etwa mit den G5-Staaten im Sahel.

Und wir haben unser Sensorium zur strategischen Kommunikation verbessert. Wer verstehen will, warum derzeit zum Beispiel zehntausende Menschen in Lagos gegen Polizeigewalt auf die Straßen gehen, der sollte ganz einfach afrikanische soziale Medien verfolgen.

Und wer die Verschärfung und weitere Ausbreitung von Krisen verhindern will, der muss sich auch mit einer Region wie dem Tschadseebecken auseinandersetzen, wo es eine gefährliche Gemengelage von erodierender Sicherheit, mangelnder Versorgung mit staatlichen Dienstleistungen und humanitärer Krise gibt.

Deshalb haben wir dort, ein anderes Beispiel, zusammen mit internationalen Partnern wie Schweden, Großbritannien und Frankreich ein vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen verwaltetes regionales Stabilisierungsprogramm ins Leben gerufen, das den Menschen vor Ort ganz konkret und praktisch ihr Leben vereinfacht.

Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt: Unser Instrumentenkasten muss so breit gefächert und flexibel sein wie es die vielschichtige afrikanische Realität nun einmal ist. “One size fits all”, das funktioniert hier nicht.

Im G20 Compact with Africa” arbeiten wir zum Beispiel ganz gezielt mit Ländern wie Ghana oder Äthiopien zusammen, die Reformen voranbringen und ein besseres Umfeld für private Investitionen schaffen wollen.

In einem Krisengebiet wie dem Sahel dagegen reicht das Engagement von humanitärer Hilfe über die Ausbildung von Sicherheitskräften bis hin zur Stabilisierung staatlicher Strukturen und Entwicklungszusammenarbeit, um überhaupt erst einmal Perspektiven für ein friedliches Zusammenleben zu schaffen.

Und mit einer neuen Europäischen Friedensfazilität wollen wir solchen Regionen künftig noch besser helfen, ihre Bürger vor Gewalt zu schützen und damit ein sicheres Umfeld eben auch für nachhaltiges Wachstum und die Stärkung demokratischer Teilhabe zu schaffen.

Und auch für Post-Konflikt-Gebiete haben wir mittlerweile vieles auf den Weg gebracht. Wir dürfen da aber nicht stehen bleiben, weil wir bei weitem noch nicht da sind, wo wir zusammen hinwollen.

Im Sudan haben wir nach Jahrzehnten der Diktatur eine internationale Koalition zur Unterstützung der demokratischen Kräfte geschmiedet.

Und in Ihrer Heimat, liebe Frau Elman, in Somalia, unterstützen wir lokale Netzwerke zur Friedensmediation. Um so nach Jahren des Bürgerkriegs den Weg zur Versöhnung freizumachen.

Meine Damen und Herren,

ein dritter und letzter Punkt, der ist mir ganz besonders wichtig, wenn wir über Europas Beziehung zu Afrika sprechen.

Gerade wir Europäer tun gut daran, alle Bemühungen um größere afrikanische Einheit mit all den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, zu unterstützen. Weil wir nämlich aus eigener Erfahrung wissen: In dieser Welt der Großmächtekonkurrenz werden auch wir als Europäer nur gehört, wenn wir in Europa mit einer Stimme sprechen.

Der Austausch zwischen der Europäischen und der Afrikanischen Union und mit afrikanischen Regionalorganisationen, der war gerade aus diesem Grund heraus noch nie so wichtig, wie das zur Zeit der Fall ist.

Und als größter Binnenmarkt der Welt ist Europa ja geradezu dafür prädestiniert, der Afrikanischen Union auch bei einem ihrer Schlüsselvorhaben zur Seite stehen: Der Errichtung einer Kontinentalen Freihandelszone.

Das Potenzial europäisch-afrikanischer Beziehungen ist damit aber noch lange nicht ausgeschöpft. Und das gilt in beide Richtungen. Wir reden nämlich über Partnerschaft auf Augenhöhe.

Bei der Umsetzung des „European Green Deal“ kommt Afrika mit seinem enormen Potenzial für erneuerbare Energien und seiner biologischen Vielfalt ganz einfach eine Schlüsselrolle zu, auch für uns in Europa.

Und auch an anderer Stelle können wir in Europa von Afrika lernen.

Hinter jeder vierten Unternehmensgründung steht dort eine Frau. Weltweit ist die Rate an Unternehmerinnen nirgendwo so hoch wie das in Afrika der Fall ist.

Das ist übrigens etwas, was mir sehr bei meinen Reisen immer wieder aufgefallen ist. Ob im Sudan oder in Sierra Leone: es sind häufig Frauen, die voller Kreativität und im Übrigen mit großem Mut, so wie wir das gerade auch in Belarus erleben, neue Wege einschlagen und Gesellschaften verändern.

Und damit sind wir dann bei Ihnen, liebe Frau Elman!

Zunächst einmal möchte ich Ihnen von ganzem Herzen zu Ihrer heutigen Auszeichnung gratulieren.

Mit gerade erst einmal 30 Jahren treten Sie bereits seit über einem Jahrzehnt für die Schwächsten in der Gesellschaft ein – für Kindersoldaten, für Überlebende sexueller Gewalt, für die Opfer des in Ihrer Heimat leider weiterhin verbreiteten islamistischen Terrorismus.

Davor habe ich, und nicht nur ich, größten Respekt. Ganz besonders, wenn man sieht, welche großen persönlichen Opfer Ihrer Familie abverlangt wurden, sowohl zu Zeiten des Bürgerkriegs als auch seit Ihrer Rückkehr nach Somalia.

Der Deutsche Afrika-Preis bekommt mit Ihnen eine sehr würdige, eine sehr inspirierende und eine zutiefst menschliche Preisträgerin.

Als Trägerin des Deutschen Afrika-Preises befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Denn nachdem früher vor allem Persönlichkeiten aus der afrikanischen Politik ausgezeichnet wurden, wurden in den letzten acht Jahren fast ausschließlich engagierte Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft geehrt.

Das ist ein Paradigmenwechsel. Und den braucht es auch!

Auch deshalb haben wir im vergangenen Jahr ganz bewusst die Vertiefung zivilgesellschaftlicher Partnerschaften als eine der Prioritäten in den Leitlinien unserer Afrikapolitik verankert.

Gesellschaftliche Aussöhnung, der Schutz von Menschenrechten, der Kampf für politische Partizipation und gegen jegliche Form von Diskriminierung – all das ist ohne eine starke Zivilgesellschaft schlicht nicht möglich.

In Afrika nicht, in Europa nicht und sonst wo auf der Welt auch nicht.

Für mich bedeutet das, dass wir – in Afrika, in Europa, aber auch anderswo – noch mehr Menschen von Ihrem Kaliber benötigen, liebe Frau Elman!

Frauen und Männer, die bereit sind, oft unter widrigsten Umständen, die wir uns hier in Zentraleuropa gar nicht vorstellen können, für Menschlichkeit einzutreten.

Die ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit erheben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wenn wir stärker auf diese Stimmen hören – in Afrika, in Europa und in vielen anderen Regionen auf der Welt – dann fallen auch die Mauern, von denen ich zu Anfang gesprochen habe. Die Mauern des Desinteresses und der Vorurteile.

Dann erkennen wir endlich das, was uns wirklich verbindet.

Und das ist viel mehr, als wir glauben.

Vielen Dank und herzlichen Glückwunsch Frau Elman zum Deutschen Afrika-Preis!

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