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„Sprechen müssen wir mit den Taliban“

08.09.2021 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview in den Tagesthemen

Ein religiöser Hardliner als Premier und ein Innenminister, der als Terrorist auf internationalen Fahndungslisten steht. Wie muss ich mir politische Gespräche mit Leuten vorstellen, die brutale Anschläge verübt haben?

Das kann man sich zum Teil nur sehr schwer vorstellen, dass man überhaupt Gespräche führen muss, mal unabhängig davon, ob man auch mit den Personen selber spricht. Aber sprechen müssen wir mit den Taliban. Ich glaube, es ist auch keine Zeit mehr, Wunden zu lecken, sondern es geht jetzt darum, wie vor Ort wie in Afghanistan dafür gesorgt werden kann, dass das, was die Vereinten Nationen prognostizieren, nämlich, dass es eine humanitäre Katastrophe gibt, dass der Winter bevorsteht, dass da Leute verhungern werden.

Das muss verhindert werden. Und dafür muss man auch mit den Taliban reden, auch wenn es einem nicht gefällt. Aber wenn es darum geht, Menschenleben zu retten, finde ich, gibt es keine verantwortungsvolle andere Alternative.

Es geht ja nicht nur um humanitäre Nothilfe. Die Taliban wollen ja auch Entwicklungshilfe von Deutschland. Welche Bedingungen müssen denn erfüllt sein, damit dieses Geld aus Deutschland wieder fließt?

Also, diese Bedingungen sind ganz klar formuliert, im Übrigen nicht nur von Deutschland, das haben wir auch in der Europäischen Union gemacht: Die Einhaltung grundlegender Menschenrechte, insbesondere von Frauenrechten, der ungehinderte Zugang für die humanitäre Hilfe, die Ausreise, so wie es die Taliban angekündigt haben, die legale Ausreise auch von afghanischen Staatsbürgern und vor allen Dingen, dass Afghanistan kein neuer Hort für terroristische Organisationen wird, die dann von dort aus Anschläge auf der ganzen Welt planen können. Das wird man in den kommenden Wochen erst sehen, ob sich das in diese Richtung entwickelt. Und davon wird abhängen, ob über die humanitäre Hilfe hinaus überhaupt die Grundlage dafür gegeben ist, auch wieder in die Entwicklungszusammenarbeit einzusteigen.

… Ein Frauenministerium gibt es ja seit gestern nicht mehr. Und Sie wollen jetzt mit dem „Ministerium für Förderung der Tugend und zur Verhinderung des Lasters“ - so heißt das jetzt - über Frauenrechte sprechen?

Ich will überhaupt nicht über Frauenrechte reden, sondern ich will sehen, dass das, was grundlegende Menschenrechte sind - und das sind vor allen Dingen auch Frauenrechte, die in langen Jahren in Afghanistan, in den letzten Jahren ja auch erst eingeführt und geachtet worden sind -, dass das Bestand hat. Und das haben die Taliban ja selber gesagt. Mädchen sollen weiter in die Schule gehen, Frauen sollen studieren können, Frauen sollen arbeiten können. Also, wir haben viele moderate Töne in den letzten Tagen und Wochen gehört. An denen werden wir die Taliban nicht messen, sondern an dem, was geschehen wird, an ihren Taten. Und das wird in den kommenden Wochen sehr genau zu beobachten sein.

… Sie hatten ja versprochen im Vorfeld, dass Sie nach dem Ende der Luftbrücke auf anderen Wegen deutsche Staatsbürger und Afghanen, die den Deutschen geholfen haben, rausholen werden. Jetzt hören wir aber von Hilfsorganisationen und von Abgeordneten, dass sich immer wieder Menschen melden, denen zwar eine Aufnahme zugesagt wurde, die aber von Ihrer Behörde nicht kontaktiert wurden. Warum nicht? Was ist da los?

Also erst einmal, was den Flughafen angeht: Auf dem Flughafen starten und landen wieder Flieger, die von Doha aus fliegen. Im Moment wird Equipment dorthin gebracht. Und wir hoffen in den nächsten Tagen - das ist der Plan der Katharsis, dass über solche Flüge auch wieder Menschen aus Afghanistan ausgeflogen werden können, im ersten Schritt nur die Staatsbürger von Drittstaaten, also auch die von uns. Und darüber sprechen wir, haben wir heute auch gesprochen mit den Vereinigten Staaten. Die schiere Anzahl derjenigen, die es gegeben hat, nämlich die Ortskräfte … und die besonders Gefährdeten neben den Staatsbürgern - das ist ein Personenkreis von bis zu 40.000 Menschen inklusive ihrer Familien. Und dass es in der kurzen Evakuierungsphase nicht gelungen ist, alle an den

Flughafen zu bringen und wir uns teilweise auch ernsthaft überlegen mussten wegen der Anschlagsgefahr, ob überhaupt Leute an den Flughafen beordert werden, das ist im Einzelfall sehr schwierig gewesen. Aber alle 40.000 an den Flughafen zu rufen, wäre auch unverantwortlich gewesen - und hat man letztlich gesehen bei dem Anschlag, den es dort gegeben hat, und aufgrund der Tatsache, dass es sehr schwierig gewesen ist, überhaupt Menschen durch die Tore in das Innere des Flughafens zu bringen.

Sie haben heute in der Pressekonferenz gesagt, viele von denen, die noch im Land sind, müssten jetzt erstmal ihre Gefährdungslage beantragen. Hatten Sie nicht unbürokratische Hilfe versprochen, und jetzt müssen die in einem Antrag beweisen, dass sie gefährdet sind. Oder wie geht das?

Antwort: Nein, Sie müssen das nicht in einem Antrag mit langer Begründung beweisen, sondern sie müssen einfach diese Anzeige stellen. Das heißt, dass Ortskräfte - es ist ja gar nicht so, dass sich bisher alle Ortskräfte gemeldet haben, sondern diese Ortskräfte müssen sich melden und darauf hinweisen, dass sie aufgrund ihrer früheren Tätigkeit gefährdet sind. Dann werden sie aufgenommen, genauso wie wir das bei allen anderen getan haben. Es wird keinen Behörden-Austausch geben oder irgendwelche Überprüfungen stattfinden, was vor wieviel Jahren geschehen ist. Wir haben grundsätzlich gesagt, diejenigen, die für uns gearbeitet haben, die kriegen eine Aufnahme-Zusage. Die müssen sich nur auch melden und sagen, dass sie aufgrund dieser Tätigkeit besonders gefährdet sind.

… Wir wissen …, dass die deutsche Botschafterin in Washington aufgrund von Warnungen, auch der CIA, bereits am 6. August dringlich zu einer Evakuierung geraten hat. Die Bundeswehr begann damit aber erst neun Tage später. Wie kann das sein?

Also da wissen Sie mehr als ich. Denn die Botschafterin hat in diesem Vermerk nicht zu einer Evakuierung geraten, sondern lediglich berichtet von den Gesprächen, die sie mit amerikanischen Gesprächspartnern geführt hat. Und auch die haben nicht angekündigt, dass die amerikanische Botschaft evakuiert wird, sondern lediglich, dass sich die Lage verschlechtert. Das ist auch das Ergebnis unserer Analysen gewesen. Und deshalb haben wir schon Anfang August, also bevor dieser Vermerk geschrieben wurde, eine Aktualisierung des Evakuierungsplans für unsere Botschaft eingeleitet, der am 9. August dann auch scharf gestellt worden ist.

Aber Sie haben erst Tage später reagiert und die Evakuierung begonnen. Wieso hat das so lange gedauert, wenn Sie dann die gleichen Informationen hatten?

Die Evakuierung hat sogar noch viel später stattgefunden, weil die Amerikaner erst später evakuiert haben. Es war immer klar, dass wir zusammen mit den Amerikanern evakuieren, im Übrigen wie viele andere Staaten auch und deren Botschaftsangehörige. Dieser Beschluss ist in der amerikanischen Botschaft getroffen worden und musste innerhalb von drei Stunden umgesetzt werden. Und die deutsche Botschaft ist bereits wenige Minuten später nach dieser Mitteilung dann auch entsprechend aus der Botschaft raus und mit

anderen evakuiert worden. Die Tatsache, dass im Gegensatz zu anderen bei uns diese Evakuierung vorbereitet worden ist und zum Beispiel keine Dokumente, Listen zurückgelassen wurden, was bei anderen bedauerlicherweise der Fall gewesen ist, die anscheinend etwas später dran gewesen sind, ist doch eigentlich ein Hinweis darauf, dass bei dieser Evakuierung, die sehr schnell gehen musste und bei der wir angewiesen waren auf die Informationen der Amerikaner und abhängig waren von deren Beschluss, ab wann evakuiert wird. Und ab diesem Beschluss ist das auch innerhalb der deutschen Botschaft sehr schnell umgesetzt worden.

Das wird alles noch aufzuklären sein ... Um das zu tun, fordert die Opposition einen Untersuchungsausschuss nach der Bundestagswahl. Ist das nicht auch in ihrem Interesse?

Also in meinem Interesse ist, dass wirklich viel aufgeklärt wird. Denn im Moment habe ich den Eindruck dass bestimmte Fakten nur so gewertet und gelesen werden, wie es dem einen oder anderen gerade zu dieser Zeit politisch in den Kram passt. Und deshalb finde ich es richtig, wenn der neue Bundestag, in welcher Form auch immer, sich mit diesen Fragen beschäftigt, alle Daten, die es dazu gibt, auch vorgelegt werden …, wenn der Bundestag das entscheidet, dann auch in einem Untersuchungsausschuss.

Auch wir haben ein Interesse daran, dass die Dinge offengelegt werden. Im Übrigen haben wir auch ein Interesse daran, dass die Fehler, die gemacht worden sind, die Fehleinschätzungen, die wir getroffen haben, aber auch andere, dass daraus Konsequenzen gezogen werden in der Weise, dass man das nicht nochmal macht, dass das so noch nicht noch einmal passiert. Und insofern halte ich das für richtig, dass der neue Bundestag das aufarbeiten wird. Das kann in einem Untersuchungsausschuss der Fall sein oder wie auch immer.

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