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Brexit: „Wir wollen die engstmögliche Partnerschaft“

29.01.2020 - Namensbeitrag

Großbritannien verlässt die EU, trotzdem spielen wir weiter im gleichen Team. Bei Klimaschutz, bei Friedens- und Zukunftsfragen – wir müssen an einem Strang ziehen. Gastbeitrag von Außenminister Heiko Maas für www.zeit.de

Liebe Briten,

Außenminister Heiko Maas und der britische Premierminister Boris Johnson
Außenminister Heiko Maas und der britische Premierminister Boris Johnson© Florian Gaertner/photothek.net

“Keep calm and carry on” – höre ich einige von Euch murmeln. Aber das fällt uns nicht leicht. Für solch britische Gelassenheit bleibt Ihr zuständig - Brexit hin oder her. Also, in aller deutschen Direktheit: Dass Ihr geht, tut weh. Nicht nur, weil die Europäische Union 66 Millionen Bürgerinnen und Bürger verliert und eine ihrer stärksten Volkswirtschaften. “Global Britain”, das wart Ihr schon immer. Der EU hat das gut getan. Euer Pragmatismus, Eure Toleranz, Euer Humor, ja selbst Euer Beharren auf manch britischem Sonderweg - all‘ das wird uns schmerzhaft fehlen, wenn Ihr in wenigen Stunden die Europäische Union verlasst.

Klar haben wir es nicht immer leicht gehabt miteinander, besonders seit dem Brexit-Referendum. Quälende Nachtsitzungen in Brüssel, schier endlose Parlamentsdebatten in Westminster, die immer verzweifelteren “Oordeeeer”-Rufe Eures Mister Speaker – viel zu lange klang der Brexit nach dem Punkrock-Hit meiner Jugend: “Should I Stay or Should I Go?”.

Das hat sich zum Glück geändert. Niemand ist über die Klippe eines ungeregelten Brexit gestürzt. Fast 5 Millionen Menschen, die sich im Vertrauen auf die Freizügigkeit innerhalb der EU ein Leben in Großbritannien oder einem anderen Mitgliedstaat aufgebaut haben, behalten auf Lebenszeit ihr Recht, im jeweils anderen Land zu leben, zu arbeiten oder zu studieren. Unsere Unternehmen erhalten durch die Übergangsphase bis Ende 2020 mehr Zeit, um sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen. Und durch die Sonderregelung für die Grenze auf der irischen Insel haben wir das bewahrt, was vor 20 Jahren mühsam errungen wurde: Frieden in Nordirland.

Und so klingt der Brexit für mich heute eher nach “Hello, Goodbye” von den Beatles, mit Betonung auf “Hello”, ein Neuanfang. Natürlich werden sich Dinge ändern in unserem Verhältnis. Es wird zwangsläufig loser, unverbindlicher als innerhalb der EU. Aber wie lose es wird, das liegt in unserer Hand. Und für Deutschland kann ich sagen: Wir wollen die engst mögliche Partnerschaft mit Großbritannien, auch morgen. Schließlich teilen wir nicht nur diesen Kontinent, sondern dieselben europäischen Werte, die sich gegen immer größere Widerstände behaupten müssen in dieser Welt. Und egal ob beim Klimaschutz, bei den Menschenrechten, bei Zukunftstechnologien oder in Fragen europäischer Sicherheit – wir spielen weiter im gleichen Team!

Uns bleiben elf Monate, um die Zukunft zu bauen. Bis Jahresende brauchen wir Klarheit darüber, wie unsere zukünftige Beziehung aussehen sollen. Freier Handel, fairer Wettbewerb, Visa-freies Reisen, Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten für die Menschen in unseren Ländern, Austausch zwischen unseren Universitäten, Schutz vor Terror und organisierter Kriminalität, das gemeinsame Management internationalen Krisen – das sind nur einige der Dinge, die wir neu regeln müssen. Diese Herkulesaufgabe wird uns nur gelingen, wenn wir offen und fair miteinander umgehen.

Zur Offenheit gehört: Wir alle wollen null Zölle und null Handelsschranken. Aber das heißt auch: Null Dumping und null unfairer Wettbewerb. Und ohne ähnliche Standards beim Schutz von Arbeitnehmerinnen und Verbrauchern, aber auch der Umwelt, kann es keinen vollen Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt geben.

Dieser Tage hört man gelegentlich, in den jetzt anstehenden Verhandlungen müsse Großbritannien abgestraft werden für seinen Austritt aus der Europäischen Union. Ich hielte das für einen großen Fehler. Wollten wir denjenigen schaden, die sich abwenden, dann würden wir am Ende weder die Briten bekehren, noch die restlichen Europäer überzeugen. Politisch klug und im besten britischen Sinn fair ist dagegen, die Verhandlungen so zu führen, dass sie der Europäischen Union nicht schaden.

Wie viel wir bewegen können, wenn wir an einem Strang ziehen, das haben mir die Krisen der letzten Tage noch einmal gezeigt. Briten und Deutsche arbeiten Hand in Hand mit Frankreich und der Europäischen Union, um einen nuklear bewaffneten Iran zu verhindern. Und wir teilen dieselben strategischen Ziele: Frieden in Libyen, im Sahel, in Syrien, in der Ukraine und Stabilität auf dem Westlichen Balkan. Daran darf der 31. Januar nichts ändern. Denn wenn wir uns auseinanderdividieren lassen, dann schrumpft der Einfluss aller Europäer, auf beiden Seiten des Ärmelkanals.

Was wir brauchen, sind neue, inklusive Formen der Zusammenarbeit – gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik. Vor einigen Monaten habe ich deshalb einen Europäischen Sicherheitsrat vorgeschlagen: Um uns dort über die strategischen Fragen europäischer Sicherheit abzustimmen. Um in Krisen schneller zu handeln. Und nicht zuletzt, um Großbritannien und die Europäische Union über den Brexit hinaus zusammenzuhalten. Mit Frankreich arbeiten wir daran, diese Idee so schnell wie möglich zu konkretisieren. Denn so legen wir ein Fundament für unser künftiges Verhältnis.

“You say Goodbye, I say Hello”, singen die Beatles in ihrem Song. Das “Goodbye” haben wir gut geregelt. Und sollte es sich doch irgendwann als ein „Auf Wiedersehen“ herausstellen: Für Euch ist immer Platz - an unserem Tisch in Brüssel und in unseren Herzen.

Machen wir uns jetzt also ans „Hello“, an unsere Zukunft. Getrennt, aber gemeinsam.

Goodbye, Hello, Großbritannien!

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