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70 Jahre Grundgesetz: Offen und prinzipienfest

Namensbeitrag

Außenminister Heiko Maas zum 70. Jahrestag der Verabschiedung des deutschen Grundgesetzes. Erschienen u.a. in der Frankfurter Rundschau.

Gesicht von Außenminister Mass im Rahmen der Aktion Gesicht zeigen.
Gesicht zeigen© www.gesichtzeigen.de /Twitter: @gesichtzeigen

Die Bundesrepublik wird 70. Denkt man an die Geburtsumstände, dann grenzt das an ein Wunder. Die Geburtsurkunde, zurückhaltend „Grundgesetz“ getauft, war bloße Verheißung auf dem Papier. Ihren Müttern und Vätern verdanken wir, dass aus dem Provisorium von einst eine gesamtdeutsche Erfolgsgeschichte geworden ist. Diktatur und Rassenwahn vor Augen, schufen sie ein politisches System, das in seiner Stabilität, Offenheit und Akzeptanz einmalig ist in unserer Geschichte.

Es stiftet Identifikation. Alle haben gleiche Rechte, jeder darf sich frei entfalten. Freiheit bedeutet aber auch, anderen Freiheit zuzugestehen. Die Werte des Grundgesetzes sind Richtschnur für alle – egal ob zugezogen oder alteingesessen. Wer eine Kraft sucht, die unser Land zusammenhält, wird nicht bei denen fündig, die von Volk und Vaterland schwadronieren. Er findet sie in unserer Verfassung. In Zeiten, in denen Polarisierung und Polemik zunehmen, ist das ein großes Glück. Mehr Verfassungspatriotismus und weniger Deutschtümelei – das wünsche ich mir in den Debatten über Heimat. Ich spüre Heimat dort, wo das Recht die Freiheit sichert. Diese Heimat ist ein Ort der Vielfalt – dem Grundgesetz sei Dank.

Unsere Verfassung ist offen und prinzipienfest zugleich. Offen dort, wo sich Wertvorstellungen ändern, zum Beispiel in der Frage, wie wir Ehe und Familie definieren. Offen auch dort, wo Konflikte zum Beispiel Deutschlands Teilnahme an internationalen Friedensmissionen erfordern.

Dem Frieden in der Welt zu dienen – diese Aufgabe steht schon in der Präambel. Auch der Weg dorthin ist klar: „in einem vereinten Europa“. Was für ein visionärer Satz! Dass sich heute, wenige Tage vor der Europawahl, ausgerechnet diejenigen auf das Grundgesetz berufen, die Europa zerstören wollen, zeigt den ganzen Zynismus der Nationalisten. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wussten: Nationale Alleingänge führen ins Verderben. Nur gemeinsam, als Europe United, werden wir unsere Werte und Interessen in der Welt behaupten.

Voraussetzung ist, dass alle in der Europäischen Union Demokratie und Rechtsstaat achten. Da darf es keine Rabatte geben. Wer die Vorzüge der EU genießt, der muss zu Europas Werten stehen. Nur dann ist Europa auch international glaubwürdig. Im nächsten EU-Haushalt sollten wir die Ausschüttung von Mitteln daher mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze verknüpfen.

Prinzipienfest ist das Grundgesetz, wo es um unsere Menschlichkeit selbst geht. Der menschlichen Würde ordnet es alle staatliche Macht unter. Dieses zentrale Versprechen gilt allen, nicht nur Menschen mit deutschem Pass. Wenn Nationalisten Stimmung machen gegen Migrantinnen und Migranten, dann reicht ein Blick in Artikel 1: Menschenwürde ist keine Frage der Herkunft. Wer anderen die Würde abspricht, weil sie anders aussehen, anders sprechen oder anderswo geboren sind, der ist ein Feind unserer Verfassung. Dem müssen wir mit aller Kraft entgegentreten. Denn so weitsichtig und klug unsere Verfassung auch ist, sie lebt davon, dass wir sie verteidigen.

Die Pflicht, die Menschenwürde zu achten und zu schützen, endet nicht an unseren Grenzen. Sie bindet Deutschlands Außenpolitik. Das bedeutet nicht, anderen Ländern unsere Moralvorstellungen überzustülpen. Diplomatie beginnt, wo andere unsere Wertvorstellungen nicht teilen. Gerade dort müssen wir für unsere Werte eintreten.

Wo aber die Würde des Menschen mit Füßen getreten wird, da reicht Dialog nicht aus. Da haben wir die Pflicht zu handeln. Wir haben deshalb Sanktionen verhängt gegen die Regime in Syrien oder Venezuela, denen das Leid ihres Volkes egal ist. Wir haben geholfen, den Völkermord an den Jesiden im Irak zu stoppen - politisch, humanitär, aber in letzter Konsequenz auch militärisch. Und wir kämpfen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für die Opfer sexualisierter Gewalt in Konflikten weltweit.

Offenheit und Prinzipientreue – diese Mischung hat unser Grundgesetz zum Exportschlager gemacht: Etwa in Afghanistan, wo nun erstmals Grundrechte gegenüber dem Staat eingefordert werden können. Pate stand dabei eine zentrale Idee des Grundgesetzes: Der Bürger ist nicht Diener des Staates. Der Staat hat seinen Bürgern zu dienen. Ein Land, das nach diesem Grundsatz lebt, dessen Menschen für ihr Grundgesetz einstehen, ist auch mit 70 noch in guter Verfassung.

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