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Rede von Staatsministerin Anna Lührmann im Bundestag zur „Vereinbarte Debatte zum 30. Jahrestag des Kriegsbeginns in Bosnien-Herzegowina“
In diesen Tagen sind wir alle geschockt von den Bildern aus Butscha und anderen ukrainischen Dörfern und Städten. Wir sind geschockt von der Brutalität des russischen Angriffskrieges. Unschuldige Zivilisten sind bestialisch ermordet worden, gezielt erschossen beim Versuch, vor Bomben zu fliehen. Das sind grausame Kriegsverbrechen, die wir auf Schärfste verurteilen. Erinnerungen an den furchtbaren Völkermord von Srebrenica werden wach.
Heute erinnern wir an den Kriegsbeginn in Bosnien und Herzegowina vor 30 Jahren. In diesem schrecklichen Krieg von 1992 bis 1995 haben über 100 000 Menschen ihr Leben verloren, und weit mehr als 2 Millionen sind vertrieben worden. Zwar konnte das Friedensabkommen von Dayton den Krieg beenden. Aber wir sehen, dass die ethnische Spaltung des Landes noch immer den Alltag prägt, die Politik dominiert und die Fortschritte blockiert.
Das Land braucht weiter unsere Aufmerksamkeit und unsere Unterstützung; denn statt aktiver Aufarbeitung und Versöhnungsarbeit sind heute wieder nationalistische und hetzerische Rhetorik Teil des politischen Diskurses. Leider gehören dazu auch die Leugnung von Kriegsverbrechen und Genozid bis hin zu ihrer Verherrlichung. Zusätzlich hat das Parlament der bosnisch-serbischen Entität Republika Srpska konkrete rechtliche Schritte eingeleitet, die Region weiter vom Gesamtstaat abzuspalten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Angriffe auf den einheitlichen Staat Bosnien und Herzegowina. Das sind Angriffe auf Frieden und Stabilität im westlichen Balkan. Das sind Angriffe auf ganz Europa.
Ein solch destruktives Verhalten darf nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die Bundesregierung hat darauf reagiert. So halten wir die bilaterale Unterstützung für die Republika Srpska zurück und setzen uns bei der EU mit anderen Gebern für die gezielte Konditionalisierung von Hilfen ein. Wir halten auch Sanktionen gegen diejenigen, die diesen destruktiven Sezessionskurs vorantreiben, für nötig, allen voran Milorad Dodik.
Wir begrüßen zudem ausdrücklich die Aktivierung der Reserve der europäischen Schutztruppe EUFOR Althea. Diese erfüllt eine sehr wichtige stabilisierende Funktion. Deshalb prüfen wir auch aktuell innerhalb der Bundesregierung Optionen für eine erneute Beteiligung der Bundeswehr an dieser Operation. Damit könnten wir in diesem sehr kritischen Moment für das Land ein klares Zeichen setzen: Wir stehen entschlossen an eurer Seite, für Frieden und für Stabilität. - Über ein mögliches Mandat werden wir hier im Bundestag gründlich und ausführlich beraten.
Die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat mit ihrem Besuch in Sarajevo, in Pristina und in Belgrad Anfang März ein klares Zeichen gesetzt: Der westliche Balkan ist ein Schwerpunkt der Arbeit der Bundesregierung. - Auch die Ernennung des neuen Sondergesandten für die Länder des westlichen Balkans, Manuel Sarrazin, unterstreicht die Bedeutung, die wir dieser Region beimessen.
Es ist wichtig, dass wir vor Ort Präsenz zeigen. Das gilt auch für die Mitglieder dieses Hauses; ich möchte Sie also ausdrücklich zu Reisen ermuntern. Wichtig ist auch unsere volle Unterstützung für den Hohen Repräsentanten Christian Schmidt. Gemeinsam mit unseren Partnern unterstützen wir aktiv den Weg Bosnien und Herzegowinas in die Europäische Union, etwa mit Projekten zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit.
Aber der Reformprozess kommt leider viel zu langsam voran, meine Damen und Herren. Klar ist, dass es ohne Reformen auch keinen EU-Kandidaten-Status geben kann. Hier stehen die politischen Akteure vor Ort in der Pflicht - eine Pflicht nicht nur der EU gegenüber, sondern vor allen Dingen den Menschen in ihrem Land. Dieser Verantwortung müssen die Parteien auch bei der Verfassungs- und Wahlrechtsreform nachkommen. Hier müssen Diskriminierungen beseitigt und wichtige Empfehlungen der OSZE zur Verhinderung von Wahlmanipulation umgesetzt werden. Bei all dem gilt aber: Die Reformen dürfen die ethnische Spaltung im Land nicht weiter vertiefen.
Ebenso klar ist, wenn eine Einigung auf die Wahlrechtsreform nicht gelingt: Die Wahlen müssen wie geplant im Oktober stattfinden. Versuche, die Wahlen zu verschieben oder zu boykottieren, würden nur die innenpolitischen Spannungen im Land verschärfen und das Land weiter zurückwerfen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bosnien und Herzegowina steht ohne Zweifel vor großen Herausforderungen. Das heutige Gedenken an den Kriegsbeginn erinnert uns aber auch an die weite Strecke, die das Land in den letzten 30 Jahren Richtung EU zurückgelegt hat. Ich bin daher überzeugt: Eine demokratische, eine friedliche Zukunft in Bosnien und Herzegowina ist möglich, eine Zukunft in der Europäischen Union. Dafür müssen aber alle politisch Verantwortlichen vor Ort wirklich klar den Kurs in Richtung dieses Zieles setzen, und dabei wird die Bundesregierung das Land und seine Menschen nach Kräften unterstützen.
Vielen Dank.