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Rede von Staatsministerin Anna Lührmann im Deutschen Bundestag zur „Vereinbarte Debatte zum Arbeitsprogramm 2022 der Europäischen Kommission“

18.02.2022 - Rede

„Europa gemeinsam stärker machen“, das ist der Titel des Arbeitsprogramms der Europäischen Kommission für 2022. Europa gemeinsam stärker machen, das heißt für uns, dass wir die EU resilienter und zukunftsfester machen. Wir müssen unser europäisches Haus zukunftsfest machen, und zukunftsfest bedeutet insbesondere klimaneutral. Dieses Ziel setzt sich auch das Arbeitsprogramm der EU-Kommission. Unser europäisches Haus braucht eine klimaneutrale Kernsanierung.

Aber das wird nur gelingen, wenn das Fundament unter unseren Füßen stabil bleibt. Europas Fundament ist in Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union ausbuchstabiert: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit und Menschenrechte. Das ist es, was uns in Europa verbindet, das ist es, was uns von autoritären Gesellschaften unterscheidet, meine Damen und Herren. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Es gibt nicht etwas Menschenwürde, es gibt nicht etwas Demokratie, und es gibt auch keine halben Rechtsstaaten. Im Rechtsstaat gelten immer die Gleichheit vor dem Gesetz, der Schutze vor staatlicher Willkür und die Gewaltenteilung mit einer unabhängigen Justiz. Da, wo an diesen Grundsätzen gerüttelt wird, ist nicht ein Teilaspekt des Rechtsstaats gefährdet, nein, da ist die Demokratie als Ganzes gefährdet.

Die Rechtsstaatlichkeit ist wirklich eine zwingende Voraussetzung für das Funktionieren der EU. Gemeinsames Handeln braucht gemeinsame Regeln. Es reicht eben nicht aus, nur an die Einhaltung von Regeln zu erinnern, es ist auch nötig, Verstöße gegebenenfalls zu ahnden. Dafür ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Mittwoch ein so wichtiger Schritt; denn das höchste europäische Gericht hat für Rechtsklarheit gesorgt. Es hat gesagt, der Konditionalitätsmechanismus ist rechtskonform. Jetzt gilt in Europa ein einfaches wie wirksames Prinzip: Wer europäisches Recht bricht, der kann nicht mit europäischem Geld rechnen. Im europäischen Instrumentenkasten liegt damit ein starkes zusätzliches Werkzeug, und das brauchen wir. Denn Europa ist eine Rechtsgemeinschaft, und der Rechtsstaatsmechanismus macht Europa jetzt zu einer wehrhaften Rechtsgemeinschaft.

Dieser Mechanismus muss jetzt zügig angewendet werden. Dabei werden wir als Bundesregierung die EU-Kommission nach Kräften unterstützen.

Ich möchte beim Grundwert der Rechtsstaatlichkeit auch mit einem Missverständnis aufräumen. Die Auseinandersetzung zu diesem Thema in der EU ist keine Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Im Eurobarometer vom letzten Jahr konnten wir klar nachlesen: Für die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer ist die Achtung der Demokratie und der Menschenrechte der wichtigste Vorteil der EU, und zwar noch vor wirtschaftlichen Profiten. Das sehen auch die Ungarinnen und Ungaren so. Ebenso steht die Bevölkerung Polens klar hinter diesen Werten. Deshalb sind die Menschen 1989 auf die Straße gegangen, deshalb sind die Länder 2004 Mitglied der EU geworden.

Die Frage der Rechtsstaatlichkeit ist eben keine Frage der Himmelsrichtung; sie ist eine Frage von Freiheit und Demokratie. Rechtsstaatlichkeit beschützt die Freiheit. Wer Rechtsstaatlichkeit angreift, der greift die Demokratie an. Rechtsstaatlichkeit in Europa ist keine Verhandlungssache, meine Damen und Herren.

Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Frage der Rechtsdurchsetzung betrifft auch uns hier in Deutschland. Gerade bei der Umsetzung von europäischem Umweltrecht war Deutschland in den letzten Jahren wahrlich kein Musterschüler. Eines muss klar sein: Wohlstand und Fortschritt brauchen Rechtsdurchsetzung und Rechtssicherheit. Klimaschutz braucht Rechtsdurchsetzung in ganz Europa. Unternehmen brauchen Rechtssicherheit auf dem Binnenmarkt. Nur ein Europa des Rechts kann auch zu einem Europa des Fortschritts werden, und nur durch Fortschritt werden wir das europäische Haus zukunftsfest machen. Vielen Dank.

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