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Keynote von Staatsminister Tobias Lindner zur feministischen Außenpolitik
Gehalten in der Schwedischen Botschaft in Berlin, aus Anlass der Auftaktveranstaltung des ersten „Feminist Foreign Policy Summit“, organisiert vom „Centre for Feminist Foreign Policy“
-- es gilt das gesprochene Wort --
Zunächst danke ich dem Center for Feminist Foreign Policy und der schwedischen Botschaft sehr herzlich für die Einladung und vor allem für die Initiative zu dieser Veranstaltung.
Vor gut vier Monaten hat die neue Bundesregierung den Koalitionsvertrag verabschiedet, mit dem Deutschland erstmals auch eine feministische Außenpolitik bekommt. Es wird also Zeit, dass wir tiefer einsteigen, diesen Politikansatz erläutern und in einen Dialog darüber kommen, wie die neue Bundesregierung die FFP für sich ausgestalten möchte. Welcher Ort wäre dafür passender, als die schwedische Botschaft, sozusagen als Repräsentanz der „Mutter der feministischen Außenpolitik“. Würden wir heute für Deutschland eine feministische Außenpolitik gestalten, wenn Margot Wallström nicht vor nunmehr acht Jahren Schweden eine FFP gegeben hätte? Ich bin mir nicht sicher. In jedem Fall war Schweden der Agenda-Setter! Feministische Fragen, zumindest die Frage von Gleichstellung war bereits damals für einige westliche Eliten in den Großstädten eine Frage von Normalisierung. Aber trotzdem musste Schweden sehr viel erklären, was sie da eigentlich vorhatten.
Es ist nunmehr sieben Jahre her, dass Justin Trudeau bei der Vorstellung seinen paritätisch besetzten Kabinetts die Selbstverständlichkeit postulierte „because it’s 2015“. Ja, viele von uns betrachteten das damals bereits als eine Selbstverständlichkeit. Aber die Realität sieht eben immer noch ganz anders aus und auch heute müssen wir noch vielen erklären – nicht zuletzt so manchem im Deutschen Bundestag… - welchen Sinn und Zweck eine feministische Außenpolitik hat. Aber das machen wir natürlich gerne!
Ich möchte heute insbesondere auf die folgenden Punkte eingehen:
Erstens möchte ich ein paar erste Hinweise geben, was konkret wir zur Ausgestaltung der FFP im AA tun wollen. Ich füge aber gleich hinzu: Es ist work-in-progress. Wir wollen die ersten Monate jetzt vor allem auch nutzen, um all denen zuzuhören, die die FFP bereits etwas länger betreiben. Nicht zuletzt vielen von Ihnen, die hier heute versammelt sind!
Zweitens möchte ich gerne kurz auf eine Frage eingehen, die mir immer wieder gestellt wird: „Warum kümmern Sie sich eigentlich ausgerechnet als Mann im Auswärtigen Amt um feministische Außenpolitik“? Eine berechtigte Frage.
Und drittens möchte ich – aus traurigem aktuellem Anlass – auf die Situation in der Ukraine eingehen. Denn auch diese ist eins von vielen Beispielen dafür, wie wichtig der Politikansatz einer Feminist Foreign Policy ist.
Wie stellen wir uns also als Auswärtiges Amt die Entwicklung und Umsetzung einer feministischen Außenpolitik vor?
Wir haben uns, wie Sie alle wissen, im Koalitionsvertrag zu einer feministischen Außenpolitik mit Fokus auf die „3 R“ verpflichtet: Wie Schweden möchten wir die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen stärken, sie mit den notwendigen Ressourcen ausstatten und ihre Repräsentation sicherstellen.
Außerdem steht der Einsatz für Diversität weltweit in demselben Satz unseres Koalitionsvertrags. Daher möchte ich gerne noch ein D für Diversität ergänzen. Denn aus unserer Sicht betrifft eine feministische Außenpolitik nicht allein die Belange von Frauen und Mädchen. Der Ansatz zielt vielmehr auf eine inklusive, intersektionale Außenpolitik, die die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft reflektiert – in all ihrer Vielfalt.
Was unterscheidet eine explizit feministische Außenpolitik von der bisherigen Außenpolitik?
Zum einen ist der Einsatz für die „3 R und 1 D“ bei der feministischen Außenpolitik kein isoliertes Thema für eine bestimmte Stelle. Es geht uns vielmehr um eine grundlegende Arbeitsweise, eine Querschnittaufgabe in allen Bereichen der Außenpolitik. Die Stärkung der „3R und 1 D“ wird zukünftig bei jeder außenpolitischen Fragestellung mitgedacht.
Zum anderen werden wir mit einer feministischen Außenpolitik verstärkt die Ursachen in den Blick nehmen: Geschlechterungleichheit weltweit ist kein Zufallsprodukt, sondern die Folge von diskriminierenden Machtstrukturen, sozialen Normen und überholten Rollenbildern. Und genau diese Ursachen von Diskriminierung und mangelnder Repräsentanz müssen wir konsequent beleuchten und unsere Konsequenzen daraus ziehen.
Unseren Kolleg:innen in der Zentrale in Berlin kommt dabei eine ebenso wichtige Rolle zu wie den Kolleg:innen an den Auslandsvertretungen. Und das gilt unabhängig von der Frage, welches konkrete Thema sie bearbeiten. Denn: Es geht um eine horizontale, alle Bereiche umfassende Aufgabe.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf einige Beispiele eingehen, um es konkret zu machen:
Unser bereits bestehendes Engagement für die VN-Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ bauen wir ambitioniert weiter aus. An rund 60 Auslandsvertretungen haben wir kürzlich Ansprechpartner:innen zum Thema benannt.
Über die Analysen, Vorschläge und Initiativen, die diese Kolleg:innen an den Auslandsvertretungen erarbeiten, können wir noch kontextsensibler als bislang weltweit zur Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit beitragen und regionale Besonderheiten besser berücksichtigen.
Denn auch das ist für uns ein entscheidender Aspekt bei der Umsetzung: Wir müssen besser zuhören und sicherstellen, dass unsere Unterstützung zielgerichtet dort ansetzt, wo sie am meisten gebraucht wird.
In unserer Außenwirtschaftspolitik spielt Geschlechtergerechtigkeit eine immer größere Rolle. Die neu gegründete Initiative „Women in Economic Policy“ des Auswärtigen Amtes sorgt dafür, die Repräsentation und Partizipation von Frauen in der internationalen Wirtschaftspolitik zu erhöhen.
Mit der gleichberechtigten wirtschaftlichen Teilhabe können Frauen proaktiv und effektiv für ihre eigenen Rechte einstehen. Für diese Befähigung muss auch international noch viel getan werden. So sind Schätzungen zufolge Frauen von 99% des weltweiten Handels und 99% der weltweiten Beschaffungsverträge ausgeschlossen. Wenn wir diese vielfach klaffende Lücke im Handel-, Finanz- und Technologiebereich schließen, geht es unserer gesamten Gesellschaft und Volkswirtschaft besser. Und der enorme Resilienz- und Innovationsschub, den wir uns daraus versprechen können, ist heute so nötig wie nie zuvor.
In der Auswärtigen Kultur-, Bildungs- und Kommunikationspolitik werden wir uns im Sinne einer feministischen Kultur-Diplomatie konsequent für gleichberechtigte Repräsentanz und Teilhabe aller Geschlechter am kulturellen, sozialen und politischen Leben einsetzen. Wir wollen für ungleiche Machtverhältnisse sensibilisieren und marginalisierten Gruppen Sichtbarkeit und eine Plattform geben. Kommunikation – innerhalb der Bundesregierung, aber auch nach außen – ist unerlässlich, um langfristige Denkprozesse und kulturelle Veränderungen anzustoßen.
Gemeinsam mit Kulturschaffenden weltweit treten wir deswegen solidarisch für die Universalität der Menschenrechte ein. Wir fördern damit gesellschaftliche Diversität.
Es gibt auch Bereiche, in denen wir Nachholbedarf sehen und in denen dieser Ansatz konsequenter umgesetzt werden muss. Dies gilt zum Beispiel im Kontext von Klimaverhandlungen und bei der Ausgestaltung von Anpassungsmaßnahmen gegen den Klimawandel.
Gerade ist die 66. VN- Frauenrechtskommission mit einem hervorragenden Abschlussdokument zu Ende gegangen. Bei der FRK standen dieses Jahr die Auswirkungen des Klimawandels auf Frauen und Mädchen im Mittelpunkt. Erstmals haben die VN-Mitgliedsstaaten konkrete Maßnahmen zur Stärkung von Frauenrechten bei der Bewältigung des Klimawandels beschlossen.
Besonders betont wurde hier die Wichtigkeit der vollständigen, gleichberechtigten und effektiven Teilhabe von Frauen bei der Aushandlung von Klimaabkommen sowie bei der Ausgestaltung von Anpassungsmaßnahmen gegen den Klimawandel.
Dies ist ein Erfolg, über den wir uns sehr freuen. Gleichzeitig ist es nun an uns, diese progressiven Ergebnisse nachzuhalten und als essentiellen Bestandteil einer feministischen Außen- und Entwicklungspolitik konsequent in die Tat umzusetzen. Mit der neuen Staatssekretärin Jennifer Morgan hat Außenministerin Baerbock eine hervorragende „Steuerfrau“ für die Umsetzung aller Klimafragen im Auswärtigen Amt berufen.
Allerdings ist eine Frau in einer Führungsposition weder Voraussetzung noch automatische Garantie für eine feministische Außenpolitik. Dies bringt mich zu meiner zweiten Frage: Warum kümmere ich mich – als Mann – im Auswärtigen Amt um FFP?
Zunächst einmal: Es geht bei einer feministischen Außenpolitik nicht um eine „Politik von Frauen für Frauen“. Der Feminismus hat die gesamte Gesellschaft im Blick.
Ich sehe einerseits eine Verantwortung für uns Männer: Wir müssen eine aktive Rolle spielen beim Kampf gegen stigmatisierende Rollenbilder und Sexismus, gegen chauvinistische Politik im Inneren wie auch nach Außen. Wir sind gefragt, uns für eine Außenpolitik einzusetzen, die politische Teilhabe der gesamten Gesellschaft – auch von marginalisierten oder benachteiligten Gruppen fordert. Damit diese Politik für alle zu einer Selbstverständlichkeit wird, müssen auch die Männer im AA mitziehen und ich sehe es als meine Aufgabe an, wo nötig hierzu noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Das Ziel muss sein, dass wir kollektiv erkennen, dass unser aller Leben besser wird, wenn Rechte, Ressourcen und Repräsentanz gleichberechtigt verteilt sind.
Eine meiner Aufgaben als Staatsminister im Auswärtigen Amt ist die politische Begleitung der Themen unserer Zentralabteilung. Dazu zählen neben dem Haushalt und allerlei Fragen der inneren Strukturen auch das Thema Personal. Neben den außenpolitischen Fragen des Feminismus geht es natürlich im AA auch um unsere innere Verfasstheit.
Ein paar gute Nachrichten gibt es:
Angefangen natürlich mit Annalena Baerbock: Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte haben wir eine Bundesaußenministerin und ein paritätisch besetztes Bundeskabinett.
Wir haben zwei Staatsministerinnen, zwei Staatssekretärinnen, eine Menschenrechtsbeauftragte.
Bei den Neueinstellungen im AA haben wir inzwischen in allen Bereichen Parität erreicht.
Einige der wichtigsten deutschen Auslandsvertretungen werden von Frauen geleitet, darunter die Vertretungen in Washington D.C., New York, Genf, Tel Aviv und Peking.
Aber wir müssen auch selbstkritsch anerkennen: Nur rund 24% der Führungskräfte im Auswärtigen Amt sind Frauen.
Hier wollen und müssen wir besser werden – aber ich sage auch ganz ehrlich: Über die Jahrzehnte wurden im höheren Dienst einfach deutlich zu wenig Frauen eingestellt. Das macht uns heute das Leben schwer und es ist eine echte Herausforderung, zügig 50% bei den Führungspositionen mit Frauen zu besetzen. Das ist bitter.
Auch an ganz aktuellen Krisen wie dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine – und da bin ich dann bei meinem dritten Punkt - zeigt sich die Bedeutung einer feministischen Außenpolitik:
Zunächst ein augenfälliger Gedanke: Gerade der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine erscheint wie ein Paradebeispiel dafür, wohin uns toxische Männlichkeit und ein unangefochtenes Patriarchat bringen können. Ein Stückweit haben wir uns in den letzten Jahren darüber belustigt, wie Putin mit nacktem Oberkörper in Sibirien auf Wildpferden ritt, oder wie er ihm vor die Flinte geschubste Bären erlegte. Er wirkte dabei wie eine Karrikatur.
Heute denke ich: Hätten wir dieses übertriebene Verhalten besser noch ernster genommen als ein Indikator dafür, dass hier einer am Werk ist, der in allen Dimensionen chauvinistisch handeln würde. Nicht nur gegenüber seiner Gesellschaft, sondern auch – wiederholt – gegenüber den Nachbarstaaten Russlands. Aber in der Außenpolitik war eine solche Analyse von Putin und seiner Politik bislang für die meisten von uns keine Kategorie.
Die Anwendung einer feministischen Außenpolitik wird uns zukünftig alertieren, derart chauvinistisches Verhalten im Innern als ein Sicherheitsrisiko im Außenhandeln von Staaten zu werten.
Ein anderer wichtiger aktueller Punkt: Frauen und Mädchen sind, sobald ein Konflikt ausbricht, oft besonders betroffen: bestehende Ungleichheiten werden durch Krisen verstärkt und Frauen und Mädchen sind auf der Flucht oder in Konfliktsituationen besonderen Gefahren ausgesetzt.
Gerade in akuten Konfliktsituationen wird sexualisierte Gewalt oft als besonders perfide Waffe eingesetzt, die nicht nur die Überlebenden selbst trifft, sondern auch ihre Familien und Gemeinschaften nachhaltig schädigt.
Gerade weil dies so ist, müssen wir bei unserer Antwort auf Krisen konsequent die spezifischen Bedürfnisse und Notlagen von Mädchen und Frauen mitdenken.
Das reicht von der Zusammensetzung humanitärer Hilfspakete bis hin zur gendersensiblen Ausgestaltung von Notunterkünften, zum Beispiel durch räumliche Trennung der Sanitärbereiche, um das Risiko sexueller Übergriffe zu verringern.
Deswegen haben wir es uns in der humanitären Hilfe zum Ziel gesetzt, Projekte und Unterstützung zu 100% gendersensibel umzusetzen. Die Frage, ob die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen hinreichend berücksichtigt werden, muss bei jedem Projekt bejaht werden, ansonsten muss nachjustiert werden. Dies gilt zudem in der Krisenprävention ebenso wie bei der Stabilisierung, der Friedensförderung oder unserem Einsatz für die Stärkung von Menschenrechten.
Meine Damen und Herren, dies ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was eine feministische Außenpolitik ausmacht. Wie ich bereits eingangs sagte: Eine Neufestlegung einer Politik ist immer ein Lernprozess, bei dem wir uns wieder und wieder kritisch fragen müssen, ob wir auf dem richtigen Weg sind.
Wir haben uns vorgenommen, dass wir auf diesem Weg von vielen Seiten lernen wollen: von Kolleg:innen in der Bundesregierung, von Expert:innen aus der Zivilgesellschaft, von Partnerorganisationen wie z. B. unseren Kulturmittlern, und sicherlich von Regierungen, die bereits eine feministische Außenpolitik entwickelt haben und jetzt umsetzen.
Ich wünsche allen Teilnehmer:innen dieses ersten Summits for Foreign Policy einen erfolgreichen und bereichernden Austausch. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.