Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

„Nicht warten, bis die Krisen da sind, sondern schon vorher handeln.“

28.11.2019 - Interview

Staastssekretärin Antje Leendertse im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger über Deutschlands Verantwortung in der Welt. Am 29. November diskutiert sie dazu im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Außenpolitik Live“ im Kölner „Forum Blau“.

Frau Leendertse, 2020 wird für die deutsche Außenpolitik ein besonderes Jahr: Zur nichtständigen Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat kommt die EU-Präsidentschaft. Welche großen Brocken will Deutschland bewegen?

Wir müssen feststellen, dass die internationalen Krisen aufgrund einer wachsenden Konkurrenz unter den Großmächten an Schärfe zunehmen.

Deutschland als Teil der Europäischen Union steht vor der Aufgabe, für eine multilaterale und regelbasierte Weltordnung einzustehen und Europa als starke Stimme ins internationale Konzert einzubringen. Die EU hatte in den letzten Jahren große Herausforderungen zu bestehen, wie Finanz- und Wirtschaftskrisen, Migration, komplizierte Brexit-Verhandlungen.

Wir brauchen ein starkes und solidarisches Europa nach innen und ein souveränes Europa nach außen. Im UN-Sicherheitsrat haben die Europäer durch die Zusammensetzung der nichtständigen Mitglieder zurzeit fünf Sitze. Diese Besonderheit haben wir uns bereits zunutze gemacht. Es gab nicht eine Abstimmung, in der Briten, Franzosen, Belgier, Polen und Deutsche getrennt votiert haben. In vielen Fällen haben wir gemeinsam die Haltung der europäischen Mitglieder im Sicherheitsrat verdeutlicht.

Im Juli 2020 hat Deutschland für einen Monat gleichzeitig die Präsidentschaft im Sicherheitsrat und in der EU inne. Das bedeutet eine besonders prominente Verantwortung für das multilaterale System, die wir an beiden Orten, Brüssel wie New York, ausfüllen werden.

Mit welchen Punkten?

Unsere Agenda im UN-Sicherheitsrat wird - genau wie die EU-Präsidentschaft - den Maximen folgen: Multilateralismus, Stärkung des internationalen Rechts und der Zusammenarbeit bei den zentralen Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, künstliche Intelligenz und politische und wirtschaftliche Krisen. Wir werden da überall sehr stark für ein präventives Vorgehen plädieren:

Nicht warten, bis die Krisen da sind, sondern schon vorher handeln. Diese Agenda müssen wir abstimmen. Keine Nation wird die Herausforderungen unserer Zeit im Alleingang lösen.

Der Multilateralismus ist nicht der naive Glaube an Verhandlungslösungen für alles und jedes, sondern ein effektives Mittel zur Durchsetzung unserer Interessen.

Welche Rolle kommt dem Militär zu, dessen Bedeutung Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer vergrößert wissen will?

Wenn wir ein starkes Europa und ein starkes transatlantisches Verhältnis wollen, müssen wir auch die gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik stärken. Dafür macht sich auch die designierte deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stark.

Derweil führt ein traditioneller Partner in der Sicherheitspolitik, das Nato-Land Türkei, in Syrien einen völkerrechtswidrigen Krieg. Ist das nicht das Ende der Diplomatie?

Wir haben diesen Bruch des Völkerrechts öffentlich benannt. Verstöße gegen das Völkerrecht sind nicht hinnehmbar. Außenminister Heiko Maas ist zu Gesprächen nach Ankara geflogen, um unsere Position klarzustellen, aber auch um miteinander zu reden statt nur übereinander. Die Türkei ist und bleibt ein wichtiger Partner in der Nato und unterhält zahlreiche vertragliche Bindungen mit der EU.

Sie nennen die Türkei einen wichtigen Partner. Was ist aber von einem Partner zu halten, der einen erpresst? Stichwort: Weiterschicken von Flüchtlingen nach Europa.

Wir haben der Türkei sehr deutlich gesagt, dass eine menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen nach den Standards des UNHCR die Bedingung für alle Hilfen ist, die von Europa an die Türkei gehen. Dieses - und andere schwierige Themen, insbesondere im bilateralen Verhältnis - kommen bei den Gesprächen mit der Türkei auf den Tisch.

Das scheint Erdogan aber nicht sonderlich zu beeindrucken. Wenn Sie zum „Bürgerdialog“ nach Köln kommen, werden Sie deshalb erklären müssen, inwiefern Diplomatie mehr ist als ein folgenloses „Gut, dass wir darüber geredet haben“.

Da möchte ich an dieser Stelle doch schon vorab mein Metier verteidigen. Diplomatie ist nicht folgenlos. Wenn Deutschland als eine der größten Volkswirtschaften der Welt - und dann am besten noch im europäischen Verbund - für internationale Standards einsteht, dann hat das Gewicht.

Wir müssen in der internationalen Diplomatie immer wieder an Vereinbarungen, Verträge und Abkommen erinnern und uns gemeinsam auf deren Einhaltung verpflichten. Gäben wir das preis, öffneten wir erst recht den Raum für jene, die sich aus regelbasierten Ordnungen verabschieden oder sie gar nicht erst anerkennen. Wir sind fest davon überzeugt, dass letztlich alle von einer regelbasierten Ordnung profitieren.

Interview: Joachim Frank

Außenpolitik Live: am Freitag, 29. November, um 19 Uhr im studio dumont, Breite Straße 72, 50667 Köln. Der Eintritt ist frei.

https://www.ksta.de

Außenpolitik Live

nach oben