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Rede der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Bärbel Kofler, anlässlich der Vorstellung der neuen Strategie des Auswärtigen Amts zur humanitären Hilfe im Ausland

04.04.2019 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

Ich freue mich sehr, die heutige Veranstaltung gemeinsam mit dem neu gegründeten Centre for Humanitarian Action auszurichten. Ich wünsche dem Centre, seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, viel Erfolg und ein glückliches Händchen für die verantwortungsvolle Arbeit. Mein Dank gilt auch dem Active Learning Network for Accountability and Performance in Humanitarian Action, ALNAP, für die heutige Vorstellung des neuen “State of the Humanitarian System”-Report. Der Bericht von ALNAP ist informativ und ein wichtiges Referenzdokument für uns als humanitären Akteur und Geber. Er zeigt auf: im Großen und Ganzen funktioniert das humanitäre System. Aber er verdeutlicht auch: das humanitäre System ist im Wandel.

Erstmals hatte das Auswärtige Amt Ende 2012 eine Strategie zur humanitären Hilfe erarbeitet. Seitdem haben sich weltweit humanitäre Krisen verschärft, sie sind intensiver, langanhaltender und komplexer geworden. Angesichts der gewachsenen internationalen Verantwortung Deutschlands als humanitärer Akteur und der immer größeren Herausforderungen für die humanitäre Hilfe ist es daher wichtig, dass wir die 2012 erstellte Strategie zur humanitären Hilfe überprüft und umfassend überarbeitet haben. In der neuen Strategie erläutern wir, wie und mit welchen thematischen Schwerpunkten Deutschland als humanitärer Akteur und Geber künftig agieren und das internationale humanitäre System mitgestalten wird. Es gibt viel zu tun!

Wir erleben Jahre großer Krisen und Konflikte wie in Syrien, Jemen oder Myanmar, aber auch langandauernde, komplexe Krisen wie in Südsudan, am Horn von Afrika oder in Afghanistan und sehen steigende humanitäre Bedarfe, gerade für die vulnerabelsten Menschen. Auch die wachsende Zahl von Naturkatastrophen und der Klimawandel stellen das humanitäre System vor immer neue Herausforderungen. Das humanitäre System muss sich also weiterentwickeln. Dass es dies auch tut, zeigt zum Beispiel das Engagement hin zu mehr vorausschauender humanitärer Hilfe und hin zu immer neuen Ansätzen im Bereich der humanitären Bargeldhilfe. Der Humanitäre Weltgipfel 2016 und der dort geschlossene Grand Bargain sind für uns weiter richtungsweisend. Der Umsetzung des Grand Bargain und der Ergebnisse des World Humanitarian Summit fühlen wir uns weiterhin verpflichtet.

Wenn man Dinge neu macht, dann sollte man dennoch an bestimmten Grundsätzen festhalten – und unser Handeln als humanitärer Geber fußt auf klaren Grundsätzen: das sind die humanitären Prinzipien, der partnerschaftliche Ansatz und die Bedarfsorientierung. Außerdem setzen wir auf verstärkte mehrjährige Förderung, was unseren Partnern eine bessere Planungssicherheit bietet. Wir stärken gezielt die Krisenreaktionsfähigkeit des internationalen humanitären Systems, indem wir in den Zentralen Nothilfefonds der Vereinten Nationen, dem CERF, und in die humanitären Länderfonds einzahlen. Wir fördern aber auch mit Partnern wie dem World Food Programme der Vereinten Nationen und dem Deutschen Roten Kreuz innovative Ansätze in der humanitären Hilfe.

Wir sind mittlerweile der zweitgrößte bilaterale humanitärer Geber weltweit und tragen deshalb umfassende internationale Verantwortung, auch für das Funktionieren des humanitären Systems. Unsere Verantwortung für das humanitäre System bedeutet auch, dass wir eine breite Themenpalette der humanitären Hilfe „mitdenken“ und abdecken müssen und wollen.

Gleichzeitig ist klar: Wir wollen Prioritäten setzen mit dieser Strategie. Diese bestimmen unser Profil. Dazu gehört natürlich unser Engagement für das humanitäre System als Ganzes. Dazu gehören aber insbesondere die folgenden thematischen Schwerpunkte, für die wir uns künftig stärker engagieren wollen.

Wir sehen, dass aktuell so viele Menschen vertrieben sind wie nie zuvor. Deshalb sind und bleiben Flüchtlingsschutz und die Versorgung von Flüchtlingen zentrale Anliegen unserer humanitären Hilfe. Ende letzten Jahres wurde der Globale Pakt für Flüchtlinge angenommen. Das ist aus unserer Sicht ein bedeutender Schritt hin zu mehr internationaler Solidarität und Verantwortungsteilung, und vor allem zu einer viel stärkeren Lösungsorientierung beim Schutz von Flüchtlingen und ihrer Versorgung. Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass sich Deutschland auch bei der Umsetzung des Global Compact on Refugees intensiv einbringen wird. Und auch, dass sich unsere humanitäre Arbeit im Flüchtlingsbereich künftig an den Grundsätzen des Flüchtlingspakts orientieren wird. Dazu bekennen wir uns auch klar in unserer neuen Strategie!

Und auch für andere Themen wollen wir uns innerhalb des humanitären Systems verstärkt einsetzen:

Ich denke hier vor allem auch an vorausschauende, antizipierende humanitäre Hilfe. Konflikte, der Klimawandel und Naturkatastrophen lassen die humanitären Bedarfe immer weiter steigen. Deshalb macht sich das Auswärtige Amt seit einigen Jahren intensiv für einen Paradigmenwechsel in der humanitären Hilfe stark. Denn was besonders wichtig ist: Es geht nicht nur um eine Reaktion auf Krisen und Katastrophen, sondern um verbesserte und vorausschauende humanitäre Hilfe, um Bedarfe zu minimieren. Das ist zentraler Bestandteil unserer humanitären Katastrophenvorsorge, den wir auch in den kommenden Jahren fortsetzen und ausbauen werden. Wir wissen uns dabei aber nicht alleine. So haben wir gemeinsam mit dem Deutschen Roten Kreuz maßgeblich dazu beigetragen, dass im Zusammenhang mit Extremwettergefahren der sog. Forecast-based Financing (FbF)-Ansatz innerhalb der Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung entwickelt und in verschiedenen Ländern pilotiert wurde. Wir engagieren uns auch mit dem World Food Programme und der Welthungerhilfe dafür, vorausschauende humanitäre Hilfe auch für schleichende Katastrophen, zum Beispiel Dürren, zu entwickeln. Wir werden daher zukünftig großen Wert auf Maßnahmen legen, die sogenannte Multi-Hazard-Ansätze berücksichtigen. Im Kontext der Vereinten Nationen haben wir ein erhebliches Interesse daran, dass die Integration eines systematischen Early Action Mechanismus im Zentralen VN-Nothilfefonds, dem CERF, möglichst zeitnah gelingt. Darüber hinaus beabsichtigen wir, dass die erfolgreichen Instrumente der humanitären Katastrophenvorsorge auch in Konfliktsituationen und in urbanen Kontexten noch besser genutzt werden können.

Innovation ist das Stichwort. Die internationale humanitäre Hilfe sieht sich ständig neuen Herausforderungen gegenüber, denen nicht mit “business as usual” begegnet werden kann. Deshalb wird sich das Auswärtige Amt künftig noch stärker für Innovation in der humanitären Hilfe einsetzen und diese fördern. Bereitschaft und Wille zur Innovation ist auch von unseren Partnern gewünscht. Innovation soll noch mehr Teil unseres und ihres Denkens und Handelns werden. Dabei ist mir wichtig, dass es nicht nur um technische Entwicklungen geht, sondern auch um neue Denkansätze. Ziele sollten dabei unter anderem sein durch innovative Ansätze humanitäre Bedarfe präziser ermitteln zu können und dann passgenauer decken zu können. Es soll uns darum gehen, Prozesse effektiver und effizienter zu machen. Innovativ zu denken erlaubt keine Bequemlichkeit. Es erfordert die Bereitschaft, eingefahrene Arbeitsweisen zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Das gilt für das Auswärtige Amt und für jeden, der in der humanitären Hilfe tätig ist. Dazu wollen wir unter anderem Netzwerke von Akteuren aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und humanitärer Hilfe stärken und eine Innovationskultur fördern. Dabei wollen wir auch lokale humanitäre Akteure und deren Ansätze einbeziehen.
Bei Innovation in der humanitären Hilfe ist es wichtig, immer Chancen und Risiken zu gut abzuwägen. Die Hilfsbedürftigen sind vulnerabel und haben besondere Schutzbedürfnisse. Schauen wir uns zum Beispiel die Digitalisierung in der humanitären Hilfe an: einerseits wollen wir damit eine bessere Bedarfsermittlung, und eine passgenauere Bedarfsdeckung erreichen. Andererseits muss uns klar sein, dass der Schutz der Daten der Betroffenen ihnen manchmal das schiere Überleben ermöglicht.

Besonders bedeutend erscheint mir auch die Thematik der „vergessenen Krisen“. Viele Krisen dauern so lange beziehungsweise finden in so abgelegenen Regionen der Welt statt, dass sie von der Öffentlichkeit kaum oder gar nicht mehr wahrgenommen werden. Auch an Spenden und finanzieller Unterstützung mangelt es. Deshalb hat das Auswärtige Amt die Kampagne #nichtvergesser ins Leben gerufen, deren Schirmherrin ich auch sein durfte. Auch in Zukunft werden wir eigene Kampagnen und die unserer Partner zu vergessenen Krisen unterstützen. Das Auswärtige Amt setzt ca. 20% seiner Mittel für humanitäre Hilfe für Hilfsmaßnahmen in sogenannten vergessenen Krisen ein und ist zweitgrößter Geber des zentralen Nothilfefonds der Vereinten Nationen, dem CERF, der ein Drittel seiner Mittel für vergessene Krisen aufwendet. Wir wollen das Thema „vergessene Krisen“ verstärkt intern im Auswärtigen Amt, mit Partnern und gegenüber anderen Gebern auf die Agenda setzen. Hoffentlich gelangen so auch vergessenen Krisen wieder aus der Vergessenheit.

Wir sehen außerdem in Konflikten, mit denen wir heute in humanitären Krisen konfrontiert sind, zunehmend eine Erosion des humanitären Völkerrechts und eine Missachtung der humanitären Prinzipien. Es werden Umstände reklamiert, in denen das humanitäre Völkerrecht mit Verweis auf den vermeintlichen Vorrang nationaler Gesetze und Antiterrorregelungen angeblich nicht anwendbar sei. Deutschland muss als verantwortungsvoller humanitärer Geber dafür Sorge tragen, dass unsere Hilfe bedürftige Menschen auch tatsächlich erreicht. Wir müssen entschieden den Raum für bedarfsorientierte humanitäre Hilfe einfordern und ihn aufrechterhalten. Und wir müssen uns für den Schutz und die Sicherheit humanitärer Helferinnen und Helfer einsetzen. Ich freue mich, dass es gelungen ist, dass Bundesminister Maas gemeinsam mit seinem französischen Kollegen, Außenminister Le Drian, die Wahrung humanitärer Normen und Prinzipien vor wenigen Tagen in gleich zwei Veranstaltungen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen thematisiert hat. Dabei haben beide Minister gemeinsam einen humanitären Call to Action lanciert. Dieser wird in den kommenden Monaten in enger Abstimmung mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und dem VN-Nothilfekoordinator ausgearbeitet. Er wird konkrete Handlungsempfehlungen enthalten, wie die internationale Gemeinschaft die Aufrechterhaltung des humanitären Raums und damit auch des humanitären Zugangs in der Praxis stärken kann. Eine zentrale Rolle wird dabei die Beachtung der humanitären Prinzipien – Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit - spielen. Es ist bekannt, dass humanitärer Zugang besonders dort erfolgreich mit Konfliktparteien verhandelt werden kann, wo Neutralität und Unabhängigkeit der Helfer und die Unparteilichkeit der Hilfe nicht in Frage stehen. An dieser Stelle möchte ich meine besondere Anerkennung und meinen Dank all jenen humanitären Helferinnen und Helfern aussprechen, die sich unter diesen Prinzipien vor Ort unter oft schwierigen Bedingungen einsetzen und es möglich machen, Leben zu retten. Diesen Einsatz gilt es zu unterstützen.

Wir wollen die humanitären Verhandlungskapazitäten und die gezielte Fürsorge für die exponierten Helferinnen und Helfer, die in der ersten Reihe stehen, weiter stützen und stärken.

Heute ist auch der „Internationale Tag der Minenaufklärung“. Das humanitäre Minen- und Kampfmittelräumen ist als ein Schwerpunkt auch in der Strategie abgebildet. Auch die Räumung von Minen und Kampfmitteln leistet einen wichtigen Beitrag dazu, humanitären Zugang zu verbessern. Das Auswärtige Amt hat eine eigene Strategie zum humanitären Minen- und Kampfmittelräumen erarbeitet. Sie stellt die Grundlage für das wachsende Engagement auch in diesem Bereich dar.

Auch andere Themen, wie Wasser-, Sanitärversorgung du Hygiene, werden für uns weiter wichtig sein. Ohne nun genauer auf weitere Themen einzugehen halte ich fest: Die neue Strategie zur humanitären Hilfe beinhaltet ambitionierte Vorhaben. Wir wissen: wir sind nur ein Akteur innerhalb des internationalen humanitären Systems. Zudem sind nicht wir es, sondern die vielen Praktiker vor Ort, die die Hilfe leisten. Deshalb setzen wir weiterhin auf die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Partnern aus dem Bereich der NGOs, dem VN-System und der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung. Der mittlerweile sehr bewehrte Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe, in dem regelmäßig alle Akteure zu einem konstruktiven Austausch zusammenkommen, ist ein Forum, das wir gerne weiterführen wollen. Wir freuen uns auch in Zukunft auf den engen Austausch mit der Zivilgesellschaft und mit humanitären Organisationen, um durch gemeinsame humanitäre Hilfe die Situation der notleidenden Menschen weltweit zu verbessern und ihnen ein Leben in Würde und Sicherheit zu ermöglichen. Vielen Dank.

Hintergrund:

Das Auswärtige Amt hat heute seine neue Strategie zur Humanitären Hilfe für die Jahre 2019 bis 2023 im Rahmen einer Panel-Diskussion öffentlich vorgestellt.

Weltweit geraten immer mehr Menschen durch Konflikte, Naturkatastrophen und Epidemien in Not. Auch die steigende Dauer und Komplexität humanitärer Krisen bringen die Kapazitäten humanitärer Akteure und des internationalen humanitären Systems an ihre Grenzen. Fehlender Zugang von Helferinnen und Helfern zu Notleidenden, vergessene Krisen und immer größere humanitäre Bedarfe sind nur einige der vielen Herausforderungen, vor denen die humanitäre Hilfe steht.

Vor diesem Hintergrund wachsen auch die Herausforderungen an das humanitäre System weiter: Initiativen wie der Humanitäre Weltgipfel oder der Grand Bargain wurden ins Leben gerufen und Themen wie Lokalisierung, vorausschauende humanitäre Hilfe und Innovation gewinnen immer mehr an Bedeutung. Deutschland ist inzwischen zum zweitgrößten bilateralen humanitären Geber geworden – und damit sind auch die Erwartungen an die Mitgestaltung des humanitären Systems durch Deutschland gestiegen.

Angesichts des Wandels, der sich innerhalb des humanitären Systems vollzieht, hat das Auswärtige Amt seine Strategie zur humanitären Hilfe im Ausland umfassend überarbeitet. Sie legt dar, wie und mit welchen Schwerpunkten das Auswärtige Amt sich künftig als einer der größten humanitären Geber engagieren wird.

Die neue Strategie wurde auf einer Panel-Diskussion zum Thema „Humanitäre Hilfe im Wandel – globale Entwicklungen und die Herausforderung humanitären Zugangs“ öffentlich vorgestellt. Dabei wurden aktuelle Herausforderungen der humanitären Hilfe, insbesondere der zunehmend schwieriger werdende humanitäre Zugang in zahlreichen Krisen und Konfliktregionen, thematisiert. Die Veranstaltung wurde gemeinsam mit dem in Berlin ansässigen Centre for Humanitarian Action (CHA) und dem Active Learning Network for Accountability and Performance (ALNAP) aus London durchgeführt.

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