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Rede der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Bärbel Kofler, anlässlich der Konferenz des deutschen Vorsitzes im Ministerkomitee des Europarats

09.12.2020 - Rede

70 Jahre Europäische Menschenrechtskonvention

Happy birthday, EMRK – das ist das Motto der heutigen Konferenz. Und auch ich gratuliere herzlich zu diesem Jubiläum.

Vor 70 Jahren ist die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet worden - ein Meilenstein für den Menschenrechtschutz in Deutschland und in Europa.

Die EMRK ist inhaltlich eng an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angelehnt, deren 70. Geburtstag wir vor zwei Jahren feiern konnten.

1948 verabschiedeten Frauen und Männer aus allen Teilen der Welt in Paris die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Sie hatten alle den Wunsch gemeinsam, dass die Welt von morgen – also unsere Welt von heute – eine ist, in der alle Menschen in ihrer Würde als Individuen geschützt werden; und dass alle Menschen, wie es im Artikel 1 der AEMR heißt „frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind“, also aufgrund ihres Menschsein die gleichen Rechte besitzen: ohne einen Unterschied nach Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion oder anderen Kriterien zuzulassen.

Darauf hat die Europäische Menschenrechtskonvention aufgebaut, aber – und das ist sehr wichtig - die EMRK geht über eine reine Absichtserklärung hinaus, was sich vor allem darin zeigt, dass in der Konvention Klage- und Rechtsschutzinstrumente verankert sind und dass mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Instanz zur Durchsetzung der Rechte geschaffen wurde.

Und genau darum geht es beim Thema Menschenrechte immer: Wie können wir zum einen dafür sorgen, dass diese universellen, unveräußerlichen und unteilbaren Rechte eingehalten werden und wie können zum anderen Betroffene von Menschenrechtsverletzungen Klagen erheben und zu ihrem Recht kommen.

Diese beiden Punkte sind die berühmten zwei Seiten einer Medaille: Rechte haben und Rechte vor unabhängigen Gerichten überprüfen lassen und einklagen zu können.

Ich persönlich halte es für die große Errungenschaft der letzten 70 Jahre, dass wir in Deutschland und in Europa die Prinzipien der Demokratie und Rechtstaatlichkeit fest verankert haben. Dazu gehört die Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative.

Das macht auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sehr deutlich: Menschenrechte sind ein untrennbarer Bestandteil von Demokratie und Rechtsstaat.

Mit der EMRK und dem Gerichtshof wurde zum ersten Mal die Möglichkeit geschaffen, regional alle Rechte einzuklagen.

Jeder einzelne Bürger kann den Gerichtshof anrufen, wenn er oder sie eine Menschenrechtsverletzung im jeweiligen Vertragsstaat sieht. Das ist einzigartig.

Da setzt Deutschland in seinem Vorsitz des Ministerkomitees des Europarats an, den wir vor wenigen Wochen übernommen haben.

Eine der Prioritäten unseres Vorsitzes ist die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Im vergangenen Jahr wurden fast 900 Urteile gesprochen. Das ist nur dann effektiv, wenn diese Urteile auch von allen betroffenen Ländern umgesetzt werden.

Dazu haben sich alle Vertragsstaaten verpflichtet. Wir müssen sicherstellen, dass alle diesen Verpflichtungen nachkommen. Denn: Die EMRK ist nicht eine reine Absichtserklärung, sie ist ein konkretes Instrument des Rechtsschutzes. Und die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit ist eine Grundvoraussetzung für Stabilität.

Das ist nicht immer bequem oder einfach. Natürlich werden Urteile gefällt, die den Ländern nicht unbedingt gefallen.

Eine weitere Priorität unseres Vorsitzes ist der Beitritt der Europäischen Union zur EMRK, da mehr und mehr Bereiche auf EU-Ebene entschieden werden, vom Handel bis zum Schutz der Außengrenzen.

Ein Beitritt der EU würde auch ein starkes Zeichen setzen gegenüber Vertragsstaaten, in denen Urteile nicht ausreichend umgesetzt werden – dass Menschenrechte auch und gerade in Krisenzeiten eine zentrale Rolle für uns genießen und dass ihr Friedensauftrag Priorität hat.

Unser Vorsitz im Europarat fällt in eine Zeit, in der Deutschland sich in einem noch nie dagewesenen Umfang in internationalen Institutionen engagiert und dort die Menschenrechte voranbringt.

So sind wir aktuell im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen, noch bis Ende des Jahres nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats und haben die Ratspräsidentschaft der EU inne. All das ist Teil eines praktischen, eines gelebten Multilateralismus. Unser Kampf für Menschenrechte in diesen Foren ist ein Kampf für Frieden in der Welt.

In allen internationalen Foren stellen wir uns der Umdeutung von Menschenrechten entschieden entgegen, auch als Europäische Union.

Im Menschenrechtsrat haben wir mit anderen Partnern an Statements beziehungsweise Resolutionen zu verschiedenen Ländern gearbeitet.

Im Sicherheitsrat haben wir uns für die Stärkung der Rolle von Frauen bei Friedensprozessen eingesetzt – die Resolution Frauen, Frieden, Sicherheit feiert dieses Jahr ihr 20. Jubiläum.

Als EU-Ratspräsidentschaft haben wir jahrelange Verhandlungen abgeschlossen, wonach Exporte von Überwachungstechnologien wegen menschenrechtlicher Bedenken abgelehnt werden können.

Und erst vor wenigen Tagen haben die EU-Außenminister unter deutschem Ratsvorsitz ein Sanktionsregime beschlossen. Damit bekommt die Europäische Union ein weiteres Instrument, mit dem in Zukunft schwere Menschenrechtsverstöße weltweit geahndet werden können.

Ein Jubiläum wie der 70. Geburtstag der EMRK ist daher immer Anlass zur Freude über bisher Erreichtes, gleichzeitig aber auch immer Anlass zu einer kritischen Bilanz.

Wenn wir auf die aktuelle Lage der Menschenrechte weltweit schauen, dann sind meine Sorgen sehr groß.

Menschenrechtsverteidiger in aller Welt stehen unter Druck, – nicht erst seit Corona, aber die Krise hat den Trend in autokratischen Systemen noch einmal verschärft.

Wir sprechen von „Shrinking Spaces“ – wobei der Begriff noch verharmlost, was wirklich passiert: es gibt Einschüchterungen, Diffamierungen, strafrechtliche Verfolgungen, Gefangenschaft und Folter.

Wir können Menschenrechtsverteidigern am besten helfen, wenn wir dies gemeinsam tun. Dabei ist die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern ganz zentral.

Zum Beispiel vergeben das Auswärtige Amt und das französische Außenministerium jedes Jahr den Deutsch-Französischen Menschenrechtspreis. Auch dieses Jahr werden wieder 15 beindruckende Menschen für ihren Mut ausgezeichnet – von einer Aktivistin für Transgender-Rechte in Pakistan bis hin zu einer Verteidigerin der Rechte indigener Gruppen in Brasilien und einer Verfechterin der Rechte von Minderheiten in Europa.

Zum internationalen Tag der Menschenrechte morgen werden die Preisträgerinnen und Preisträger in ihren Ländern gewürdigt. Wir werden auch morgen hier in Berlin in der Volksbühne einen Preis stellvertretend überreichen.

Happy birthday, EMRK! Was ich mir für die Zukunft wünsche? Dass die EMRK als Friedensprojekt auch in Zukunft einen entscheidenden Beitrag zur Förderung von Menschenrechten auf unserem Kontinent und darüber hinaus leisten wird. Als „lebendiges Instrument“ ist sie zwar 70 Jahre alt, aber so modern, dass sie auch zukünftig konkrete Antworten auf aktuelle Fragen geben kann.

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