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Außenminister Johann Wadephul im Interview mit t-online

12.09.2025 - Interview

Erschienen am 5. September 2025

t-online:

Herr Außenminister. Sie hatten in Indien die Gelegenheit, den Premier Narendra Modi zu treffen. War das Treffen mehr als bloße Symbolik?

Johann Wadephul:

Absolut! Das Gespräch mit Premier Modi hatte wirklich Substanz. Wir haben alle großen Fragen der bilateralen Zusammenarbeit besprochen. Aber natürlich ging es auch um Indiens und Deutschlands Verhältnis zu China und den russischen Krieg in der Ukraine. Und wir haben uns auch über unsere Beziehungen zu den Vereinigen Staaten von Amerika ausgetauscht.

t-online:

Modi hatte beim Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit in China am vergangenen Wochenende Einigkeit mit Kreml-Chef Wladimir Putin demonstriert. Hat der deutsche Pragmatismus im Umgang mit Indien seine Grenzen?

Johann Wadephul:

Klar. Wir erwarten auch von Indien Verständnis für unsere Wertvorstellungen. In den letzten Jahren war dies beispielsweise in Bezug auf unsere restriktive Rüstungspolitik ein Thema. Also: Wir fordern Pragmatismus von Indien ein, müssen diesen aber auch selbst zeigen.

t-online:

Das klingt nach einer interessengeleiteten Außenpolitik.

Johann Wadephul:

Ganz genau.

t-online:

Sollte Deutschland nicht besser auf Indien einwirken, damit Modi sich eben nicht mit Putin händchenhaltend fotografieren lässt? Derartige Bilder haben Signalwirkung, holen Russland immer mehr aus der internationalen Isolation.

Johann Wadephul:

Wir dürfen Modis Bilder mit Putin nicht überbewerten. Die indische Position zu Russlands Krieg ist sehr klar: Sie sind für eine Beendigung des Konflikts und Modi hat vor seiner Reise nach China auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj telefoniert.

t-online:

Die Amerikaner sehen das offenbar anders und vermissen diese indische Klarheit im Umgang mit Russland. Wie bewerten Sie den Schritt der USA, nun Russlands Handelspartner mit Zöllen ins Visier zu nehmen?

Johann Wadephul:

Die Zollpolitik der US-Regierung kann ich nicht völlig nachvollziehen. Wir sehen doch: Trumps Zölle haben die indische Regierung überraschend getroffen und belasten das Verhältnis, nicht nur wirtschaftlich. Aber das wird die indische Regierung in bilateralen Gesprächen mit den USA klären. Für uns als Deutschland in der EU ist klar: Wir stehen für freien und barrierefreien Handel. Die EU ist auf einem anderen Weg als Trump und führt mit Indien Gespräche über ein Freihandelsabkommen.

t-online:

Haben Sie kein Verständnis dafür, dass Trump Russlands Handelspartner ins Visier nimmt, um Putin im Ukrainekrieg an den Verhandlungstisch zu bringen?

Johann Wadephul:

Die Bundesregierung setzt auf eine sehr gezielte Sanktionspolitik gegen Russland. Das hält Deutschland für richtig und ist der Kern der Maßnahmen der Europäischen Union. Wir fordern aber alle anderen Staaten dazu auf, unsere Sanktionen gegen Russland nicht zu umgehen und damit deren Wirkung zu untergraben. Das bleibt richtig.

t-online:

Aber Staaten wie Indien helfen Russland bei der Umgehung westlicher Sanktionen und Putins Kriegskasse wird weiter gefüllt. Ist es dadurch nicht enorm schwer, Druck auf Russland aufzubauen?

Johann Wadephul:

Wir arbeiten gerade weiter daran, Russland den Verkauf von russischen Energieträgern zu erschweren. Auch wenn das nie zu hundert Prozent funktionieren wird, dürfen wir doch eines nicht unterschätzen: Die westlichen Sanktionen gegen Russland sind sehr erfolgreich. Moskau kämpft trotz aller Interventionen der Zentralbank und trotz Umstellung auf Kriegswirtschaft mit einer Inflationsrate von 18 Prozent und immer klammeren Staatsfinanzen. Das ist ein klares Zeichen, dass unsere Maßnahmen wirken.

t-online:

Der Ukraine hilft das aktuell allerdings wenig. Russland hat eine neue Offensive im Herbst angekündigt. Wie kann die westliche Unterstützung für die Ukraine konkret ausgeweitet werden?

Johann Wadephul:

Wir müssen über neue Waffensysteme nachdenken, die geliefert werden können und die die Ukraine sich beschaffen kann.

t-online:

Welche?

Johann Wadephul:

Es gibt fast nichts, was die Ukraine nicht braucht. Vor allem Flugabwehrsysteme müssen beschafft werden. Es gibt einige europäische Länder, die noch über Systeme verfügen und diese nicht tagtäglich brauchen. Deutschland regt an, dass sie darüber nachdenken, diese abzugeben.

t-online:

Welche Länder meinen Sie genau?

Johann Wadephul:

Bei allem Respekt für die Reichweite und den Einfluss von t-online – ich halte es für zielführender, die betreffenden Länder nicht über die Medien, sondern direkt und vertraulich anzusprechen.

t-online:

Sie haben prinzipiell begrüßt, dass sich Donald Trump im August mit Putin in Alaska ausgetauscht hat. Wenn Sie generell Dialog für ein positives Signal halten: Warum sprechen Sie nicht mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow?

Johann Wadephul:

Nein. Zum jetzigen Zeitpunkt macht das keinen Sinn.

t-online:

Warum?

Johann Wadephul:

Weil ich auf russischer Seite keinerlei Verhandlungsbereitschaft erkennen kann. Putin führt einen Angriffskrieg und denkt nicht einmal darüber nach, von der Ukraine abzulassen. Wenn es jedoch eine echte Bereitschaft von Russland gibt, von dem Krieg Abstand zu nehmen und wenn Deutschland mit anderen europäischen Partnern dazu einen Beitrag leisten kann, dann werden wir Europäer selbstverständlich auch mit Lawrow sprechen.

t-online:

Trump hat die fehlende russische Verhandlungsbereitschaft nicht gestört. Warum werten Sie sein Gespräch mit Putin trotzdem als positives Signal?

Johann Wadephul:

Das Treffen in Alaska hat eine Blockade aufgebrochen, denn es hat vor allem eines gezeigt: Der Vorwurf, niemand wolle mit Putin verhandeln, ist komplett falsch. Trump hat sich mit ihm an einen Tisch gesetzt und die ganze Welt hat gesehen, wer den Tisch wieder verlassen hat. Es scheitert alles an Putin.

t-online:

Kann Deutschland denn überhaupt noch vertrauensvoll mit den USA zusammenarbeiten? Trump hat mehrfach gezeigt, dass er unberechenbar ist. Er könnte Abmachungen jederzeit wieder einkassieren.

Johann Wadephul:

Ich bin dagegen, dass wir die Probleme überzeichnen. Der NATO-Gipfel war ein großer Erfolg, mit transatlantischer Einigkeit und Entschlossenheit. Und täglich sorgen hier stationierte amerikanische und europäische Soldaten Schulter an Schulter für Sicherheit in Europa – ein solides Fundament. Auch mit Blick auf Russlands Krieg haben die US-Regierung und die Europäer gemeinsame Positionen: Es darf keine Lösung ohne die Ukraine geben, es muss Gespräche zwischen Putin und Selenskyj geben, und es gibt erstmals in der Geschichte dieses Krieges die Zusage der USA, sich an Sicherheitsgarantien zu beteiligen. Dazu steht auch Präsident Trump.

t-online:

Das hat bei Trump aber lange genug gedauert. Ohnehin muss die US-Regierung aus Europa aktuell kaum Kritik fürchten. Kann Deutschland erst wieder selbstbewusst gegenüber Washington auftreten, wenn es sicherheitspolitisch auf eigenen Beinen steht?

Johann Wadephul:

Das Entscheidende ist doch: Wir bauen Selbstbewusstsein auf. Wir haben uns im Rahmen der NATO entschieden, künftig fünf Prozent unserer Wirtschaftsleistung für unsere Sicherheit auszugeben. Wir wollen die stärkste konventionelle Armee in Europa aufbauen. Wir sehen bereits, dass die Verteidigungsindustrie in Europa und besonders in Deutschland nun richtig anläuft. Gleichzeitig haben wir die Verhandlungen für ein Mercosur-Abkommen über den Freihandel mit Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay abgeschlossen und auch das Freihandelsabkommen mit Indien wird uns sehr viel stärker machen. Die EU wird also wehrhafter und erschließt sich neue Märkte.

t-online:

Schwächt Trumps Zoll-Politik also die Weltmachtposition der USA und stärkt sie die Chinas?

Johann Wadephul:

Sie werden in Berlin wie in Washington sicher viele Analysten finden, die das so einschätzen. Als deutscher Außenminister und überzeugter Transatlantiker sage ich – das kann und sollte vermieden werden.

t-online:

Die Amerikaner sind auch der zentrale Akteur im Nahen Osten, um Einfluss auf Israel zu nehmen. Ihre Vorgängerin Annalena Baerbock hat sich in der Region für ein Ende der Kämpfe eingesetzt, auch Sie haben immense Anstrengungen unternommen. Sind die Möglichkeiten deutscher Außenpolitik hier begrenzt?

Johann Wadephul:

Ich war zu keinem Zeitpunkt so naiv zu glauben, dass der Nahostkonflikt schnell gelöst werden kann. Natürlich war für mich aber die dramatische Zuspitzung mit dem Terrorangriff der Hamas und der israelischen Terrorbekämpfungsmaßnahmen vorher nicht vorstellbar. Das Leiden, das es auf beiden Seiten gegeben hat, und die Opferzahlen sind erschreckend.

t-online:

Aktuell schockiert viele vor allem die Brutalität Israels. Muss Deutschland politisch weitere Schritte gegen die israelische Regierung unternehmen, falls sie ihre Angriffspläne auf Gaza-Stadt umsetzt und ihre Siedlungspolitik im Westjordanland vorantreibt?

Johann Wadephul:

Wir haben die Lieferung von Waffen an Israel gestoppt, die im Gaza-Krieg eingesetzt werden können. Damit hat Deutschland ein klares Signal gegeben und bewirkt mehr als die bloßen Erklärungen von anderen Staaten. Diese Entscheidung halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für ausreichend. Wir verfolgen die Lage aber genau und sind dazu mit unseren europäischen Partnern im Gespräch.

t-online:

Schon der Stopp von Waffenlieferungen rüttelt am Selbstverständnis ihrer Partei und Sie standen intern in der Kritik. Ist der Streit um eben diese Frage in der Union nun beigelegt?

Johann Wadephul:

Das ist ein Prozess. Viele sehen sich naturgemäß und richtigerweise als enge Freunde und Partner Israels. Es ist gleichzeitig wichtig, auch nachzuvollziehen, dass gerade die Kriegsführung der israelischen Regierung im Gazastreifen zu einer immensen Zahl an Toten, Verletzten und Hungernden geführt hat. Das wirft die berechtigte Frage auf, ob dieser Militäreinsatz richtig und sinnvoll ist. Diese Diskussion führen wir in der Union weiter.

t-online:

In den ersten 120 Tagen der Bundesregierung gab es auch Debatten um schlechte Absprachen. Etwa, als Sie sich zur Höhe künftiger Rüstungsausgaben oder zur möglichen Beteiligung der Bundeswehr an einem Friedenseinsatz in der Ukraine äußerten. Sind diese Konflikte aufgetreten, weil Sie mit manchen Äußerungen etwas vorschnell waren?

Johann Wadephul:

Nein. Stellen Sie sich vor, es gäbe einen SPD-Außenminister.

t-online:

Was wäre dann?

Johann Wadephul:

Sie könnten weit mehr über Differenzen in der Wortwahl, Gegensätze in der Kommunikation und Abweichungen in politischen Einschätzungen schreiben. Das wäre angesichts der Anzahl und der Intensität der aktuellen Konflikte auch verständlich. Friedrich Merz und ich lesen vom selben Blatt, und es gibt in der Sache keine Unterschiede. Das halte ich bei der aktuellen Weltlage für einen Vorteil für unser Land.

t-online:

Warum halten Sie die Kritik an Ihrer Kommunikation für unberechtigt?

Johann Wadephul:

Zurück zu Ihren Beispielen: Das Fünfprozentziel, das ich angekündigt habe, wurde auf dem Nato-Gipfel beschlossen. Meine Aussage skizzierte also nur die konsequente Verwirklichung dessen, was wir uns gemeinsam vorgenommen haben. Und natürlich braucht die Ukraine Sicherheitsgarantien, aber es ist noch verfrüht, über Art und Umfang der deutschen Beteiligung zu reden.

t-online:

Trotzdem haben Sie darüber gesprochen.

Johann Wadephul:

Deutschland und Europa reden doch aktuell über Sicherheitsgarantien und deswegen kann man auch seine Einschätzung dazu geben. Als Außenminister bin ich Kraft Amtes derjenige, der noch früher als der Kanzler mit der Thematik konfrontiert ist – auch in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern. Weil ich als erster dazu gefragt werde, muss ich mich dazu positionieren.

t-online:

Fällt die Debatte über Fähigkeiten der Bundeswehr nicht in den Kompetenzbereich von Verteidigungsminister Boris Pistorius?

Johann Wadephul:

Natürlich. Ich habe auch klargemacht, dass nur Boris Pistorius die Antwort auf diese Frage geben kann. Meine Formulierung war ganz klar: Ich habe gesagt, dass ich die Frage nach einer Beteiligung der Bundeswehr an Sicherheitsgarantien für diskussionswürdig halte. Das war sie zeitlich aber schon lange vor meiner Äußerung.

t-online:

Aber war der Zeitpunkt dieser Aussage nicht unpassend? Immerhin war der Bundeskanzler kurz vor Gesprächen mit Trump in Washington.

Johann Wadephul:

Nein. Denn auch lange vor dem Besuch des Kanzlers im Weißen Haus war das Thema bereits diskussionswürdig. Es hat dazu eine unrichtige Meldung gegeben, in der fälschlicherweise stand, dass ich die Beteiligung der Bundeswehr an Sicherheitsgarantien für die Ukraine ablehne. Das habe ich zu keinem Zeitpunkt gesagt. Noch einmal: Ich mahne in der Frage zur Zurückhaltung.

t-online:

Hat Sie in den ersten Monaten Ihrer Amtszeit überrascht, wie viel Resonanz und Ärger Ihre Aussagen erzeugen können?

Johann Wadephul:

Mich hat das grundsätzlich nicht überrascht. Ich möchte ein wahrnehmbarer Außenminister sein – und das nicht aufgrund der eigenen Profilierung. Ich finde, dass die Welt wissen muss, wo Deutschland steht. Deswegen wird es von mir an der ein oder anderen Stelle Aussagen geben, die nicht jedem gefallen.

t-online:

Das sollte aber in der Bundesregierung abgestimmt sein.

Johann Wadephul:

Klar. Das muss in Deutschland abgestimmt und das sollte im Deutschen Interesse sein. Ich fand meine Aussage zum Fünfprozentziel deswegen richtig, weil es in der Situation Vorreiter brauchte. Ich bin der Auffassung, dass Deutschland im sicherheitspolitischen Bereich klar sein muss. Wir stehen international immer unter Verdacht, Russland nicht klar entgegenwirken zu wollen. Das wollte ich entkräften.

t-online:

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Viele Menschen kennen Sie erst, seitdem Sie für ihr heutiges Amt ins Gespräch gebracht wurden. Wie haben Sie den rasanten Bekanntheitsanstieg empfunden?

Johann Wadephul:

Das war für mich unkompliziert. Ich habe das Privileg in Schleswig-Holstein in einer Umgebung zu leben, die damit sehr normal umgeht. Es ist weder eine Last für mich, noch hat sich mein Privatleben grundlegend verändert. Lediglich die Zeit für Privates ist viel weniger geworden, aber das war vorhersehbar. Ich fühle mich rundherum wohl in der neuen Rolle.

t-online:

Wie gelingt es Ihnen, in dem anhaltenden geopolitischen Krisensturm privat abzuschalten?

Johann Wadephul:

Ich laufe gerne, schwimme gerne, spiele Tennis.

t-online:

Und Hockey?

Johann Wadephul:

Nein, kein Hockey, wie man am Mittwoch gesehen hat. Ich mache keine Mannschaftssportarten, weil ich einfach nicht regelmäßig zu Terminen kommen kann. Aber Individualsportarten machen mir auch sehr viel Spaß. Außerdem bin ich glücklich und zufrieden, wenn ich mich im Kreis meiner Familie aufhalten kann. Das ist für mich die Top-Entspannung.

t-online:

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Minister.

Interview: Patrick Diekmann

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