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Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit dem Spiegel
Frage:
Frau Ministerin, für wen machen Sie eigentlich Außenpolitik?
Annalena Baerbock:
Für unser wunderbares Land.
Frage:
Wir fragen das, weil nur gut jeder Zehnte bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen für die Ampelparteien gestimmt hat. Das ist auch eine Absage an grüne Außenpolitik, oder?
Annalena Baerbock:
Es ist zum Glück gute Tradition zwischen den demokratischen Kräften, dass in der Außenpolitik nicht die Partei im Vordergrund steht, sondern sie geleitet ist von unserer Geschichte, unseren Werten und Interessen. Mit der Europäischen Union im Zentrum, transatlantisch ausgerichtet und im klaren Verständnis dafür, dass der Schutz der Menschen- und Freiheitsrechte unser Auftrag ist.
Frage:
Ihr Parteivorsitzender Omid Nouripour hat von einer„Übergangskoalition“gesprochen. Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, könnte die Ampel tatsächlich der Übergang gewesen sein zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz.
Annalena Baerbock:
Bis zur Bundestagswahl sind es noch zwölf Monate. Die letzten drei Jahre haben nicht nur gezeigt, wie turbulent die Weltpolitik ist, sondern wie schnell sich Themen und Stimmungen im Land auch wieder drehen.
Frage:
Wie ist Ihr Verhältnis zu Friedrich Merz?
Annalena Baerbock:
Gut.
Frage:
Sie sollen versucht haben, ihn zu einer Aussetzung der Schuldenbremse wegen des Krieges in der Ukraine zu bewegen. Warum ist Ihnen das nicht gelungen?
Annalena Baerbock:
Wir haben als Bundesregierung gleich nach der russischen Vollinvasion in sehr konstruktiven Gesprächen mit der Union – und dafür bin ich sehr dankbar – gemeinsam Milliarden für unsere Sicherheit und für den Frieden in Europa mobilisiert. Das reicht angesichts der Brutalität Putins und seiner Destabilisierungsversuche in ganz Europa aber nicht aus. Es geht doch um die Frage: Wie sichern wir den Frieden unserer Kinder? Damit es nicht am Ende heißt: Wir haben die Schuldenbremse gerettet, aber den Frieden in Europa geopfert.
Frage:
Stattdessen treibt Merz die Ampel vor sich her und drängt auf eine weitere Verschärfung der Asylpolitik. Ärgert Sie das?
Annalena Baerbock:
Terrorismus bekämpft man nicht im Panikmodus. In einer derart aufgeheizten Lage, in der unsere Demokratie von innen und außen herausgefordert ist, braucht es Differenzieren statt Pauschalisieren. Vorschläge, die hart klingen, aber nicht umsetzbar sind, weil sie gegen Grundgesetz oder Europarecht verstoßen, eignen sich vielleicht für populistische Überschriften, machen unser Land aber keinen Deut sicherer. Im Gegenteil: Sie spielen Extremisten – und zwar Islamisten wie Rechtsextremen – in die Hände, weil sie unsere Gesellschaft spalten.
Frage:
Was genau meinen Sie?
Annalena Baerbock:
Die Trennlinie bei der Bekämpfung des Extremismus verläuft doch nicht zwischen hier Geborenen und Zugezogenen, sondern ob man mit beiden Beinen auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht oder eben nicht. Mir ist unerklärlich, was Vorschläge sollen, die pauschal auf alle Syrer abzielen und nicht zwischen einem islamistischen Mörder und einer Familie, die vor dem IS aus Syrien geflohen ist, unterscheiden. Eine liberale Gesellschaft muss die Kraft haben, in einem Atemzug klar und deutlich zu sagen: Schwerstverbrecher, die sich gegen unsere liberale Gesellschaft stellen, haben ihren Anspruch auf Schutz verwirkt. Und ebenso deutlich: Kinder, die hier seit Jahren zur Schule gehen, und deren Eltern, die hier arbeiten, sei es in der Pflege oder in der Industrie, gehören zu Deutschland.
Frage:
Ist vor diesem Hintergrund Schwarz-Grün eine Option für die Zukunft?
Annalena Baerbock:
Mir scheint die Union bei Migration gerade etwas zerrissen, zwischen Staatsverantwortung und Fundamentalopposition.
Frage:
Aber es muss sich in Sachen Asyl doch etwas ändern oder bestreiten Sie das?
Annalena Baerbock:
Ganz und gar nicht. Einige Kommunen sind wirklich an der Belastungsgrenze. Genau deswegen haben die Innenministerin und ich in harten Verhandlungen in Brüssel die Reform des europäische Asylsystems, kurz GEAS, auf den Weg gebracht. Woran im Übrigen die Union jahrelang gescheitert war. Das gilt es jetzt mit Hochdruck umzusetzen. Also: Registrierung und Grenzverfahren direkt an der EU-Außengrenze. Einen gerechteren Verteilmechanismus innerhalb Europas zur Entlastung auch deutscher Kommunen. Schnelle Rückführungen in andere EU-Staaten sowie die Herkunftsländer. Und auch die von der Union geforderten Leistungskürzungen sowie längere Inhaftnahme und bestimmte Maßnahmen an den Binnengrenzen sind unter anderem mit der Geas-Reform bereits möglich. Jetzt geht es um die Um- und Durchsetzung.
Frage:
Unterstützen Sie das Vorhaben der Union, Geflüchtete, die in anderen Ländern registriert worden sind, an der Grenze zurückzuweisen?
Annalena Baerbock:
Wie so oft bei Debatten, die vor allem in Schlagworten geführt werden, hilft Versachlichung. Ist die konsequente Ausschöpfung der Möglichkeiten, die Geas bietet, gemeint? Gesetzesänderungen? Oder gar ein 3000 Kilometer langer Grenzzaun im Herzen Europas? Das konnte die Union am Dienstag nicht sagen. Wobei der Bundeskanzler bereits klargemacht hat, dass wir uns natürlich an internationale Verträge, europäisches Recht und das Grundgesetz halten. Es wäre doch unverantwortlich, wenn wir den schweren Geas-Kompromiss zu mehr Ordnung, Registrierung, Zurückführung ausgerechnet aus Deutschland schreddern würden.
Frage:
Vor einer Woche wurden seit langer Zeit wieder schwere Straftäter nach Afghanistan abgeschoben. Welchen Anteil hatten Sie als Außenministerin daran, dass dieser Flug stattfand?
Annalena Baerbock:
Sie verstehen, dass die Bundesregierung Details zu diesem Sicherheitsvorgang, der einer sensiblen Abwägung bedurfte, vertraulich behandelt.
Frage:
Steht eine Verschärfung der Asylgesetzgebung nicht im Widerspruch zu grünen Kernanliegen wie Offenheit und Humanität?
Annalena Baerbock:
Humanität und Ordnung bedingen einander. Gerade um sicherzustellen, dass die Schutzbedürftigsten auch Schutz bekommen, brauchen wir schnelle und geordnete Verfahren.
Frage:
Wenn Sie weiter nach Afghanistan abschieben wollen, müssen Sie vermutlich mit den Taliban verhandeln. Werden Sie das tun?
Annalena Baerbock:
Nein, das muss man gerade nicht. Und das werden wir auch nicht. Es geht darum, das Richtige klug zu tun, manchmal auch über Umwege.
Frage:
Zugleich ist es verlogen, die Abschiebungsfrage Partnerländer aushandeln zu lassen, weil man sich selbst die Finger nicht schmutzig machen will.
Annalena Baerbock:
Ich bin die Letzte, die Klartext scheut oder einen Bogen um schwierige Akteure macht. Deswegen gibt es ja unsere technischen Kanäle in Doha. Aber man darf Radikalislamisten doch nicht auf den Leim gehen. Keine Demokratie der Welt hat die Taliban anerkannt. Warum sollten wir die Taliban, die Frauen gerade de facto in den eigenen vier Wänden einsperren, hofieren, wenn es auch anders geht?
Frage:
Der mutmaßliche Attentäter von Solingen stammt aus Syrien. Befürworten Sie Abschiebungen schwerer Straftäter auch dorthin?
Annalena Baerbock:
Wie bereits gesagt: Schwerstverbrecher verwirken ihren Schutz, unabhängig davon, wo sie herkommen. Und wie ebenfalls bereits gesagt, gilt für einen Rechtsstaat, dass die Lage vor Ort zu berücksichtigen ist. Abschiebungen nach Syrien sind daher alles andere als trivial. Zumal Syrien nicht gleich Syrien ist. Wenn wir den Mörder Baschar al-Assad und damit auch seine Verbündeten Iran und Russland stärken, dann hätten wir sicherheitspolitisch mit Zitronen gehandelt. Zugleich in anderen Gebieten, die Assad wiederum nicht kontrolliert…
Frage:
Sie meinen den kurdisch kontrollierten Nordosten Syriens?
Annalena Baerbock:
Zum Beispiel. Mit den dortigen Autoritäten haben wir bereits kooperiert, etwa bei der Rückführung von deutschen Kindern und ihren Müttern, die sich dem IS angeschlossen hatten. Allerdings gibt es auch dort Kampfhandlungen, nicht zuletzt türkische Militärschläge.
Frage:
Aber Sie geben der CDU recht, in Syrien gebe es so sichere Regionen, dass man dorthin abschieben kann?
Annalena Baerbock:
Die Machtverhältnisse und damit die Sicherheitslage in Syrien ist hochkomplex. Wer da mit Pauschalaussagen kommt, offenbart vor allem seine außenpolitische Ahnungslosigkeit. Die Vereinten Nationen sehen weder die beiden genannten Regionen noch den Nordwesten, wo die Islamisten der Hayat Tahrir al-Sham herrschen, noch Azaz, wo die syrische Übergangsregierung sitzt, als sicher an. Von zahlreichen anderen Akteuren wie dem IS und der katastrophalen humanitären Lage ganz zu schweigen. Im gesamten Land kommt es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit zivilen Opfern.
Frage:
Wäre es im deutschen Interesse, wieder eine Botschaft in Damaskus zu eröffnen?
Annalena Baerbock:
Je größer die Differenzen mit einer Regierung oder einem Regime, desto wichtiger ist ein eigenes Lagebild vor Ort. Deswegen sind wir nicht aus Russland rausgegangen. Deswegen habe ich auch nicht die Botschaft in Teheran geschlossen. Und deswegen versuchen, wir wieder in Nordkorea präsent zu sein. Wir sollten uns dabei aber nicht erpressbar machen oder so naiv sein, auf das Entgegenkommen von Diktatoren zu setzen. Die Staaten der Arabischen Liga können bei Assad ein Lied davon singen.
Frage:
Sie sind nun fast drei Jahre im Amt. Sie haben eine Strategie zur Nationalen Sicherheit und zur Klimaaußenpolitik sowie Leitlinien zur feministischen Außenpolitik erarbeitet und haben fast 200 Auslandsreisen unternommen. Was haben Sie außer vielen Papieren, Flugmeilen und schönen Bildern diplomatisch erreicht?
Annalena Baerbock:
Ernsthaft? Soll ich jetzt hier das restliche Interview wirklich darauf verwenden, runter zu rattern, was wir alles erreicht haben – von der Sudan-Evakuierung und der Visa-Digitalisierung über die Neuausrichtung unserer Sicherheitspolitik, die Rettung von Waisen aus Gaza, die Armenien-Aserbaidschan-Friedensverhandlungen bis zur Nahost-Pendeldiplomatie, dem Fonds für Klimaschäden und Verluste und der Ukraine-Unterstützung? Zumal: Außenpolitik hat viele Facetten – der größte Erfolg ist manchmal die abgewendete Krise, die keine großen Schlagzeilen macht. So wie unsere Moldau-Plattform, die den Kollaps des Landes verhindert hat.
Frage:
Aber in den großen Krisen sind die diplomatischen Initiativen von anderen Akteuren gekommen, im Ukrainekonflikt zum Beispiel von der Türkei, den Südafrikanern, der Schweiz.
Annalena Baerbock:
Jetzt mal nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Russland hat im Februar 2022 nicht nur die Ukraine angegriffen, sondern auch unsere europäische Friedensordnung. Als größter EU-Staat war und ist unsere wichtigste Aufgabe, ein weltweites Bündnis zur Unterstützung der Ukraine zu schaffen und zusammenzuhalten. Und ja, daran arbeite ich weiter Tag und Nacht. Damit die Ukraine nicht von der Landkarte verschwindet und es irgendwann hoffentlich Frieden geben kann.
Frage:
Sie stecken auf Ihren Reisen viele Ressourcen in schöne Bilder und Social-Media-Aktivitäten. Wie wichtig ist Ihnen die Inszenierung Ihrer Politik?
Annalena Baerbock:
Aktive Kommunikation gehört zu einer modernen Diplomatie wie Gespräche hinter verschlossenen Türen. Wenn unsere humanitäre Hilfe in Krisengebieten nicht nur vor Ort ankommt, sondern man auch über Instagram oder X davon erfährt, stärkt das unsere internationale Glaubwürdigkeit. In einer Welt, in der Demokratien von Autokratien herausgefordert werden, sind wir auch in einem globalen Wettbewerb der Narrative. Und im Übrigen: Ohne soziale Medien würden wir bei uns in Deutschland viele junge Menschen gar nicht mehr erreichen.
Frage:
Unser Eindruck Ihrer Israel-Diplomatie ist: Sie haben sehr viel Ihrer Zeit mit der Verteilung von Hilfsgütern verbracht, aber bei den entscheidenden Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln, einen Waffenstillstand oder eine Friedenslösung sitzen Sie nicht dabei. Warum nicht?
Annalena Baerbock:
Unter den ersten Geiseln, die freikamen, waren nicht durch Zufall viele Deutsch-Israelis. Wer den Nahen Osten kennt, weiß, dass Fortschritte sich hier in Millimetern bemessen. Und man nur mit Partnern, die einem vertrauen, vorankommt. Genau das ist meine Rolle als Außenministerin des Landes, das eine besondere Verantwortung für Israel und seine Menschen trägt: Durch stete Pendeldiplomatie gemeinsam mit den zentralen arabischen Ländern sowie den Amerikanern Wege aus der Krise zu suchen. Und humanitäre Hilfe ist angesichts des unermesslichen Leids in Gaza keine Nichtigkeit. Die Polio-Impfkampagne, der enorm viel Diplomatie vorausging, kann hunderttausende Kinder in Gaza schützen. Dass die Hilfsgüter die Menschen erreichen, ist nicht zuletzt einer der zentralen Punkte bei den Verhandlungen über einen Waffenstillstand.
Frage:
Sie haben beim Thema Waffenlieferungen immer dafür geworben, dem ukrainischen Präsidenten zu vertrauen. Nun lässt Wolodymyr Selenskyj mit westlichen Waffen auf russisches Gebiet schießen. Der Kanzler sagt zwar, die derzeitigen ukrainischen Angriffe seien vom Völkerrecht gedeckt, zugleich hat Olaf Scholz immer vor einer Eskalation gewarnt. Hat er recht?
Annalena Baerbock:
In der Ukraine-Politik sind der Bundeskanzler und ich uns einig – wenn auch nicht in jedem Detail: Wir werden weiterhin alles für einen dauerhaften und gerechten Frieden in der Ukraine tun – as long as it takes.
Frage:
Die Frage, ob man die weitreichenden Marschflugkörper Taurus an die Ukraine liefern sollte, ist aber kein Detail.
Annalena Baerbock:
Das kann man so sehen.
Frage:
In ein paar Wochen wird in den USA gewählt. Haben Sie schon Richard Grenell getroffen, den früheren US-Botschafter in Berlin und möglichen nächsten US-Außenminister unter Donald Trump?
Annalena Baerbock:
Das ist ja alles andere als ausgemacht: Harris macht das beeindruckend stark. Aber ja, Herr Grenell und ich kennen uns.
Frage:
Sie sind noch ein Jahr im Amt, was wollen Sie erreichen?
Annalena Baerbock:
Natürlich Frieden. Aber das liegt nicht allein in meiner Hand.
Frage:
Wo sehen Sie Ihre eigene politische Zukunft nach dieser Legislatur?
Annalena Baerbock:
Das entscheiden die Wählerinnen und Wähler.
Frage:
Und die Grünen? Vizekanzler Robert Habeck sagte jüngst, 2021 hätte der Ball für Ihre Partei auf dem Elfmeterpunkt gelegen, jetzt lägen sie 0:4 zurück. Das war eine klare Spitze gegen Sie als damalige Kanzlerkandidatin.
Annalena Baerbock:
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man manchmal Bilder benutzt, die dann anders klingen als gemeint.
Frage:
Frau Baerbock, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Interview: Martin Knobbe und Christoph Schult