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Interview von Außenminister Johann Wadephul mit der türkischen Zeitung Hürriyet
Frage:
Waren Sie schon mal in der Türkei? Wenn ja, mit welchen Erwartungen sind Sie dorthin gegangen und mit welchen Eindrücken zurückgekommen?
Johann Wadephul:
Im Mai, schon ganz kurz nachdem ich das Amt als Außenminister übernommen habe, war ich anlässlich des NATO-Außenministertreffens in Antalya. Davor war ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestags viele Male in der Türkei. Unter anderem habe ich auch zwei Mal an der Sicherheitskonferenz teilgenommen, die die Konrad-Adenauer-Stiftung in Istanbul veranstaltet.
Bei meinem ersten Besuch in der Türkei hatte ich erwartet, dass das Land mir ein stückweit vertraut sein würde. Die Kultur, die Sprachen, das hervorragende Essen – all das ist ja auch ein Teil unseres gemeinsamen Alltags in Deutschland. Und doch muss man sich beispielsweise einfach selbst in Istanbul an den Bosporus stellen, um die Schönheit, die Energie und die Geschichtsträchtigkeit dieser großen Metropole zu begreifen. Erst vor Ort versteht man, wie vielfältig Ihr großes Land tatsächlich ist. Niemals hätte ich vorher gedacht, dass die Menschen in der Türkei noch Fußball-verrückter sein könnten als wir Deutschen!
Frage:
Auch in Ihrem Bundesland leben viele türkeistämmige Menschen. Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie gemacht?
Johann Wadephul:
In meinem Bundesland Schleswig-Holstein leben zehntausende Menschen mit Wurzeln in der Türkei. Entsprechend vielfältig sind auch die Begegnungen und Freundschaften, in der Schule, der Universität oder auch später in der Politik. Es sind so viele verschiedene Erfahrungen, dass ich das gar nicht pauschal zusammenfassen kann oder will. Und wenn es um den persönlichen Austausch geht, kommt es letztlich auch nicht auf die Familiengeschichte an, sondern nur, ob man sich sympathisch ist oder nicht. Lassen sie mich aber vielleicht einen Wunsch formulieren, wenn wir über meine aktuellen Alltagserfahrungen als Außenminister sprechen – auch bei uns im Auswärtigen Amt sieht man immer wieder Türschilder mit Namen, die aus der Türkei kommen. Seit Antritt dieser Bundesregierung auch auf dem Leitungsflur, mit meiner Staatsministerin und Stellvertreterin Serap Güler. Insgesamt entspricht der Anteil aber noch lange nicht dem Anteil von guten Schülerinnen und Schülern und herausragenden Studentinnen und Studenten mit türkischen Wurzeln, die wir in Deutschland haben. Ich würde mich sehr freuen, wenn noch mehr von ihnen sich für eine Karriere im Auswärtigen Amt entscheiden würden – das wäre sicher eine Stärkung für unseren diplomatischen Dienst und für unser Land.
Frage:
Das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei wurde vor ca. 64 Jahren unterzeichnet. Was bedeutet die Beschäftigung dieser Menschen für Deutschland?
Johann Wadephul:
Das Anwerbeabkommen ist auch heute noch bedeutend und prägend für Deutschland. Es waren ganz entscheidend auch Frauen und Männer aus der Türkei, die mit harter Arbeit unter teils sehr schwierigen Umständen das sogenannte „Wirtschaftswunder“ möglich gemacht haben – sie haben das moderne Industrieland Deutschland mit aufgebaut. Das ist viel zu lange nicht ausreichend gewürdigt worden. Heute sind unsere zwei Gesellschaften untrennbar miteinander verwoben. Es gibt so viele Menschen, die hier wie dort zuhause sind. Mir ist bewusst, dass das noch immer schwierige Fragen von Identität und Zugehörigkeit aufwirft. Ich maße mir nicht an, die Antwort auf alle diese Fragen zu kennen, eine der Antworten muss aber das klare Bekenntnis sein, dass dieser enge Austausch unsere beiden Länder enorm bereichert.
Frage:
Zurzeit leben über 3 Millionen türkeistämmige Menschen in diesem Land. Viele von ihnen sind Deutsche. Trotzdem werden Sie immer noch als „Ausländer“ betrachtet und diskriminiert. Wann werden wir diese Diskriminierungen überwinden?
Johann Wadephul:
Leider erleben wir immer noch zu viel gesellschaftliche Diskriminierung. Ein zentraler Schritt sie zu überwinden ist es, aufzuhören, Menschen in „wir“ und „sie“ einzuteilen. Sichtbarkeit ist dafür ein sehr wichtiger Aspekt: Wir haben in Deutschland Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Sie vertreten Deutschland als erfolgreiche Unternehmerinnen und Unternehmer, in Kunst und Gesellschaft und auch in der Politik. Meine Staatsministerin Serap Güler habe ich erwähnt, auch Verfassungsschutzpräsident Sinan Selen hat Wurzeln in der Türkei. Das sind nur zwei Beispiele für viele Erfolgsgeschichten. Gleichzeitig muss man selbstverständlich keine herausgehobene Stellung haben, um in unserer Gesellschaft dazu zu gehören. Es reicht, dazu gehören zu wollen. Niemand darf diskriminiert werden – dafür steht diese Bundesregierung ein.
Frage:
Bundespräsident Steinmeier hat im letzten Jahr die Türkei besucht. Das war ein Türkei-Besuch nach 10 Jahren. Jetzt fliegen Sie dorthin. Ende Oktober wird Herr Bundeskanzler Friedlich Merz Türkei besuchen. Kann man das so interpretieren, daß die Beziehungen wieder enger werden?
Johann Wadephul:
Wir haben als Bundesregierung ein großes Interesse daran, mit der Türkei in einem möglichst engen Austausch zu sein. Neben allen gesellschaftlichen Verbindungen, über die ich gesprochen habe, ist die Türkei für uns auch ein wichtiger strategischer Partner, innerhalb der NATO, aber auch der G20. Gleichzeitig ist die Türkei ein einflussreicher Akteur im Nahen Osten, mit dem wir von der Sicherheitspolitik bis zur Migration gemeinsam geopolitischen Herausforderungen begegnen wollen und müssen. Es gibt also viel zu besprechen, und am besten können wir das im direkten Austausch.
Frage:
Wie beurteilen Sie die Bemühungen der Türkei und des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan für die Beendigung der Kriege in der Ukraine und Gaza?
Johann Wadephul:
Die Türkei ist nicht nur aus geografischen Gründen sowohl im Nahen Osten, als auch am Schwarzen Meer ein sehr wichtiger und aktiver Akteur. In der konkreten Beschreibung dessen, was in Gaza geschieht, sind wir nicht immer einer Meinung, aber die Türkei wie auch Deutschland arbeiten hart und mit allem, was uns diplomatisch zur Verfügung steht, an einer nachhaltigen Beendigung des Krieges und an einer besseren Zukunft für die Region. Ich habe die Rolle der Türkei, die sie mit Katar und Ägypten eingenommen hat, um Hamas zu einer Zustimmung zum 20-Punkte-Plan von US-Präsident Trump zu bewegen, auch persönlich gewürdigt. Wir gehören beide zu den wichtigsten humanitären Unterstützern in Gaza. Es ist für uns beide wichtig, dass der Waffenstillstand nach dem Trump-Plan hält. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist es für uns beide wichtig, dass dieser Angriff rasch endet. Istanbul ist ein wichtiger Ort, an dem Verhandlungen möglich sind. Mit dem Montreux-Vertrag hat die Türkei außerdem eine große Verantwortung in Bezug auf das Schwarze Meer.
Frage:
Was erwarten Sie konkret von der Türkei für die Sicherheit Europa?
Johann Wadephul:
Der russische Angriffskrieg bedroht die Sicherheit Europas fundamental und als starker NATO-Alliierter ist die Türkei daran beteiligt, die Abschreckungsfähigkeit der NATO schnellstmöglich weiter zu erhöhen. Insgesamt müssen wir alle miteinander unsere Anstrengungen aber noch weiter verstärken, um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu beenden und die Einnahmen für die russische Kriegskasse noch schneller auszutrocknen.
Frage:
Die CDU/CSU und SPD-Regierung hat die Zustimmung für Eurofighter-Export an die Türkei erlaubt. Aber die vorherige SPD, Die Grünen und FDP-Regierung hatte das blockiert. War das nicht ein Fehler?
Johann Wadephul:
Ich bin überzeugt: Durch Zusammenarbeit können wir mehr erreichen. Vor Deutschland und der Türkei liegen große Herausforderungen, um die Verteidigungsfähigkeit der NATO in Europa auszubauen. Wir haben uns entschieden, dass die Türkei als Alliierter mit Hilfe des Eurofighters ihre Abschreckungsfähigkeit erhöhen kann. Das ist in unserem Interesse, da die Türkei für uns ein zentraler strategischer Partner innerhalb des NATO-Bündnisses ist. Aber noch laufen die Verhandlungen zu den Einzelheiten.
Frage:
1963 wurde zwischen der Türkei und der EWG ein Assoziierungsabkommen (Ankara-Abkommen) unterzeichnet. Der Vertrag stellte der Türkei auch eine Vollmitgliedschaft in Aussicht. Der erste Präsidenten EWG-Kommission Walter Hallstein (CDU) sagte auch damals, „Türkei gehört zu Europa. Türkei soll Vollmitglied werden“. Es sind über 60 Jahren vergangen. Wie lange muss die Türkei noch warten bis sie EU-Vollmitglied wird?
Johann Wadephul:
Wir wollen in Bereichen gemeinsamen Interesses auch auf EU-Ebene eng zusammenarbeiten. An den Kopenhagener Kriterien für den Beitritt zur EU führt dabei allerdings kein Weg vorbei. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt es deswegen zur Türkei: „Eine grundlegende Verbesserung der demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Situation ist für uns ein zentrales Element.“ Was ich damit auch sagen will: Die Türkei hat es selber in der Hand, für die nötigen Fortschritte zu sorgen.