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Außenministerin Annalena Baerbock und Wladimir Klitschko im Interview mit der WELT AM SONNTAG

16.07.2023 - Interview

Frage: Frau Baerbock, in Sachsen wählt jeder Dritte die AfD. Eine Partei, die die Hilfe für die Ukraine beenden, keine Waffen liefern will. Wie lange halten Sie die Unterstützung durch?

Außenministerin Baerbock: Wir unterstützen die Ukraine, solange sie uns braucht, damit auch sie wieder in Frieden und Freiheit leben kann. Ich bin nicht zum ersten Mal in Sachsen, auch nicht zum ersten Mal in Chemnitz. Ich lebe selber in Brandenburg und erlebe an allen Orten unseres Landes, egal ob Ost oder West, Nord oder Süd: Dieser Krieg lässt niemanden kalt.

Frage: Ihre Kritiker würden fragen: Warum wird nicht verhandelt?

Außenministerin Baerbock: Ich habe deutlich gemacht, dass gerade die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Rolle, die sie hatte, bis zur letzten Minute vor Ausbruch dieses brutalen russischen Vernichtungskrieges alles dafür getan hat, dass eine weitere militärische Eskalation abgewendet wird. Es wurde seit 2014 versucht, am Verhandlungstisch eine weitere Invasion zu verhindern. Der russische Präsident wollte genau das Gegenteil, nämlich die komplette Ukraine vernichten.

Wir tun im Auswärtigen Amt nichts anderes, als auf diplomatischem Wege zu versuchen, dass diese brutalen Angriffe Russlands aufhören. Aber solange wir nicht erfolgreich sind, solange müssen wir die Ukraine dabei unterstützen, dass sie ihre Menschen schützen kann.

Frage: Wladimir Klitschko, auf dem Weg hierher sind Sie an einer Demonstration vorbei gekommen mit russischen Fahnen: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so etwas sehen?

Wladimir Klitschko: Wenn ich die russische Fahnen hier sehe, dann gehen mir die Kriegsverbrechen durch den Kopf, die russische Soldaten in der Ukraine begehen. In der Ukraine wird leider jeden Tag, jede Nacht das Leben zerstört, nicht nur Infrastruktur, die man dann wiederaufbauen kann, sondern dabei sterben die Zivilisten, Kinder, Frauen, Männer.

Frage: Macht Sie es wütend, wenn Sie dann Deutsche mit russischen Flaggen sehen?

Wladimir Klitschko: Das zeigt nur, dass die Menschen, die die russische Flagge heute in Deutschland halten, nicht verstehen, wo sie leben. Sie sollten am besten nach Kiew reisen. Da wird man verstehen, dass diese Fahne heute die Zerstörung des Lebens bedeutet.

Frage: Frau Baerbock, es gibt eine hohe Inflation. Menschen müssen sparen, können vielleicht nicht in den Urlaub fahren. Gleichzeitig schnürt die Bundesregierung ein Waffen-Paket für die Ukraine von 700 Millionen Euro. Wie erklären Sie das hier?

Außenministerin Baerbock: Zum einen hätten wir diese wahnsinnige Inflation bei uns nicht in diesem Ausmaß - weltweit ist sie noch viel dramatischer - gäbe es den brutalen russischen Angriffskrieg nicht. Dieser russische Angriffskrieg ist eben nicht nur die Ursache für die katastrophale Situation in der Ukraine, für das Sterben in der Ukraine, sondern ist auch Ursache dafür, dass die Weltwirtschaft in eine weitere Krise nach Corona geraten ist, dass der Hunger in der Welt größer geworden ist, dass wir auch in Europa eine wirtschaftliche Rezession haben, weil wir uns eben unabhängig gemacht haben vom russischen Gas und Öl. Das heißt, all diejenigen, die jetzt sagen: Tut doch was gegen die Inflation, denen antworte ich: Auch deswegen muss dieser brutale russische Angriffskrieg aufhören.

Frage: Was sagen Sie Familien, die jetzt in diesem Sommer nicht in den Urlaub fahren können?

Außenministerin Baerbock: Dass mich das natürlich schmerzt. Als Mutter von Töchtern, die sich mit ihrer Familie wie viele andere in diesem Land auf die Sommerferien freut. Und dass wir aber aufpassen müssen, dass wir jetzt nicht in einer Situation, wo wir über Urlaub reden - weil dieser Krieg eben nicht spurlos auch an uns vorüber gegangen ist - anfangen wegzusehen von dem, was in der Ukraine passiert. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir haben in Deutschland bekanntermaßen, dafür steht auch meine Partei, gerade im Bereich von Kinderarmut eine Situation, wo wir sozialstaatlich mehr tun müssten.

Aber das hat mit dem Krieg in der Ukraine überhaupt gar nichts zu tun, dafür bringen wir stattdessen eine Kindergrundsicherung auf den Weg. Dafür haben wir im letzten Jahr eben gerade auch mit Blick auf die Sozialleistungen Erhöhungen vorgenommen. Und jetzt das Leid in der Ukraine gegen Sozialleistungen in Deutschland auszuspielen, das nützt niemanden hier in Deutschland, der wenig Geld hat. Und es wäre ein Hohn für die Menschen in der Ukraine.

Frage: Herr Klitschko, haben Sie das Gefühl, dass die Unterstützung für die Ukraine nachlässt?

Wladimir Klitschko: Fakt ist: Die freie Welt weiß, dass das Böse, der Vernichtungskrieg, von der russischen Seite kommt. Wir sind in einem Boot. Wir haben diesen Krieg nicht angefangen. Russland hat die Ukraine angegriffen. Wir müssen uns wehren. Wenn wir uns nicht wehren, sind wir nicht die letzten, die von Russland angegriffen werden.

Frage: Bekommen Sie dafür genügend Unterstützung?

Wladimir Klitschko: Wir sind unseren Partnern sehr dankbar, aber haben noch nicht genug Unterstützung. Was heißt genug, solange dieser Krieg läuft? Es ist nie genug! Ausdauer spielt die entscheidende

Rolle. Ich glaube nicht, dass Russland stark ist, so wie das viele glauben. Wir haben das bewiesen in der Ukraine. Wir wissen nicht, wie lange der Krieg dauern wird, aber bitte unterstützen Sie uns, bitte nicht schwach werden mit eurer Ausdauer.

Frage: Frau Baerbock, Herr Klitschko sagt, Russland ist nicht stark. Sehen Sie das auch so?

Außenministerin Baerbock: Wir haben erleben müssen, dass offensichtlich der russische Präsident davon ausgegangen ist, dass er in ein paar Wochen die Ukraine vernichten kann. Und er hat eben nicht damit gerechnet, dass ein ganzes Land alles dafür tut und im Zweifel bereit ist, dafür das eigene Leben zu geben, um dafür zu sorgen, dass die Ukraine, dass die Kinder der Ukraine, in Zukunft in einer demokratischen Freiheit leben können.

Frage: Ist Russland schwach?

Außenministerin Baerbock: Offensichtlich hat sich der russische Präsident total verschätzt, sonst würde dieser Krieg nicht 500 Tage dauern. Aber es zeigt eben auch, dass sein Plan, wo er gedacht hat, er wäre so viel stärker als der Freiheitswunsch der Ukraine, dass in dem Moment, wo dieser Plan nicht aufgegangen ist, er immer weitere Mittel eingesetzt hat, die mit jedem Tag mehr ein Bruch nicht nur des Völkerrechts sind, sondern jegliche Regeln von Zivilisation und Humanität angegriffen wurden.

Frage: Ist Putin schwach?

Außenministerin Baerbock: Er ist offensichtlich in der Lage, einen unglaublich brutalen Angriffskrieg nicht nur vom Zaun zu brechen, sondern den seit über 500 Tagen zu führen. Und auf der anderen Seite hat man sich selbst total überschätzt. Das ist jetzt aber weder gut noch schlecht, denn es geht allein darum, dass die Ukraine wieder in Freiheit leben kann. Und dafür müssen alle russischen Truppen aus der Ukraine zurückgezogen werden und dafür müssen diese Angriffe unverzüglich aufhören. Und mit jedem Tag des Krieges versuchen wir alles, was uns zur Verfügung steht, zu leisten, damit die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann.

Wir können nur leider nicht zaubern, ansonsten wäre dieser Krieg zu Ende. Deswegen können wir auch weitere Materialien wie zum Beispiel dringende Luftabwehr nicht einfach herbeizaubern. Wir haben Produktionsstätten neu wieder erschlossen, auf den Weg gebracht, damit wir das, was uns weiter fehlt, um noch besser die Ukraine zu verteidigen, dann auch an Unterstützung leisten. Und das ist das, was wir mit den 700 Millionen zum Beispiel gerade als Bundesrepublik Deutschland deutlich gemacht haben.

Frage: Trauen Sie der Ukraine weiterhin zu, das gesamte Territorium zurückzuerobern?

Außenministerin Baerbock: Die Ukraine hat wie jedes Land ein Recht darauf, in ihrem eigenen Staatsgebiet an jedem Ort in Frieden und Freiheit zu leben. Und wann das wie unter welchen Bedingungen der Fall sein wird, das liegt allein in den Händen der Ukraine.

Frage: Wladimir Klitschko, wir waren an der Front und haben dort erlebt, dass viele Soldaten gesagt haben: „Das, was wir hier haben, das reicht nicht“. Was genau braucht die Ukraine und vor allem wie schnell?

Wladimir Klitschko: Wir brauchen es schnell. Wir brauchen Waffen. Es ist inakzeptabel von Nato-Mitgliedern zu hören, dass wir für die Gegenoffensive alles bekommen haben, was wir brauchen. Das stimmt nicht. Wir haben nicht alles bekommen, was wir brauchen. Wir brauchen Kampfjets und Hubschrauber, um uns gegen Kamikazedrohnen und Raketen zu schützen, aber auch an der Front. Unsere besten Leute – Männer und Frauen – fallen. Das ist eine Zeitbombe. Um schnell agieren und überlegen kämpfen zu können, brauchen wir moderne Waffen.

Frage: Frau Baerbock, warum liefert Deutschland zum Beispiel keine Taurus-Langstrecken-Raketen?

Außenministerin Baerbock: Wir haben auf diesem Nato- Gipfel ja deutlich gemacht, dass wir gemeinsam in der Europäischen Union, gemeinsam mit unseren transatlantischen Partnern, immer wieder alles

überprüfen. Wir mussten zu Beginn sehr ad hoc agieren, weil niemand auf diesen brutalen Krieg vorbereitet war. Da mussten wir stückeln. Dann haben wir einen Tausch gemacht. Dann gab es Entscheidungen, die in Deutschland länger gedauert haben als in anderen Ländern.

Und wir haben uns aber über die Zeit sehr stark darauf fokussiert: Wie können wir uns gegenseitig ergänzen? Das heißt, wer kann was liefern, was es besonders braucht? Und deswegen gibt es ja mit Blick auf die Flugzeuge auch eine Allianz von den Ländern, die sagen, wir stellen diese Flugzeuge entsprechend bereit, die, die jetzt auch schnellstmöglich eingesetzt werden. Deutschland hat sich auf die Luftverteidigung fokussiert, weil wir das vor allen Dingen schnell liefern konnten oder dies bei anderen Ländern erreichen konnten.

Frage: Warum wird in Europa noch immer nicht genügend Munition produziert?

Außenministerin Baerbock: Na ja, es wurde jetzt gerade eine neue Produktionsstätte genau dafür geschaffen. Wir müssen jetzt aufpassen, nicht in Schwarz-Weiß-Debatten zu verfallen.

Frage: Wie sehen Sie die Situation in den Regionen, wo die Ukraine momentan versucht Gebiete zurück zu erobern?

Außenministerin Baerbock: Es ist unglaublich, in welcher Größe das Gebiet vermint worden ist. Das heißt, wir brauchen Material, was über diesen Minengürtel rüber geht, damit man dahinter die Menschen befreien kann. Welches Gerät braucht es jetzt, um über diesen Minen-Gürtel hinwegzukommen? Auch das sind Gespräche, die wir gemeinsam vertraulich führen, damit das dann auch gemeinsam erreicht wird.

Frage: Sind Sie also für die Lieferung von Taurus?

Außenministerin Baerbock: Eine der großen Lehren der letzten anderthalb Jahre war es auch, dass es sinnvoll ist, bei solchen Fragen gemeinsam mit unserem Partner, mit den Verbündeten zu schauen, wer kann wie, wo was in welchem Bereich schnell liefern, was dann auch entsprechend passt.

Frage: Kann der Krieg wirklich gewonnen werden?

Außenministerin Baerbock: Wenn die Ukraine diesen Krieg verlieren würde, dann verliert ganz Europa, weil nämlich die Friedensordnung Europas in diesem Krieg angegriffen wird. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen und wir werden alles dafür tun, damit wir das gemeinsam erreichen können.

Frage: Wladimir Klitschko, was sagen Sie denjenigen, die so skeptisch sind, was die Front-Entwicklung angeht?

Wladimir Klitschko: Skepsis bringt uns nicht weiter. Wir sind im Kampf. Da gibt es nur nach vorne schauen, nur kämpfen, wir verteidigen unser Leben und vor allem auch das von unseren Partnern. Weil ohne Partnerschaft, ohne Weggefährten, ohne weitere Unterstützung, humanitäre und vor allem militärische Unterstützung, wird dieser Krieg länger dauern. Die Menschen in Russland müssen verstehen, dass der Angriff auf die Ukraine ein Riesenfehler war.

Frage: Können Sie sich vorstellen, dass Wladimir Putin in der nächsten Zeit stürzt?

Außenministerin Baerbock: Keine Ahnung. Das ist ja genau die Situation. Wir wissen nicht, wann dieser Krieg zu Ende geht. Wir wissen nicht, was in Russland passiert. Weil wir es eben nicht mit einem Land zu tun haben, was wie wir zum Glück eine Demokratie ist.

Frage: Wünschen Sie sich, dass Putin stürzt?

Außenministerin Baerbock: Es geht nicht ums Wünschen, sondern es geht darum, dass wir alles dafür tun, dass die Ukraine den Frieden wieder zurückgewinnt. Wenn wir sagen, die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren, die Ukraine muss den Krieg gewinnen, heißt es, sie muss den Frieden zurückgewinnen können. Und das funktioniert nur, wenn dieser brutale russische Angriffskrieg beendet wird. Wenn die russischen Soldaten die Ukraine verlassen und diese tagtäglichen nächtlichen Angriffe per Drohnen, per Raketen, per Bomben auf die Ukraine aufhören.

Frage: Herr Klitschko, denken Sie, dass Annalena Baerbock eine gute Kanzlerin wäre?

Wladimir Klitschko: Ich weiß nicht, was in zwei Jahren ist, aber was ich sagen kann: Deutschland hat mit Frau Baerbock eine echte Expertin. Ich möchte ihr und der gesamten Bundesregierung Danke sagen für die Unterstützung. Und bitte nicht aufhören! Wir wissen nicht, wie lange es dauern wird. Bitte unterstützen Sie uns, bitte nicht schwach werden.

Interview: Paul Ronzheimer

https://www.welt.de/

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