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Rede von Staatsministerin Michelle Müntefering anlässlich der Benennung eines Besprechungsraums im Auswärtigen Amt nach Hildegard Hamm-Brücher
Sie kennen bestimmt die Rätsel, wo man eine Reihe von Bildern sieht und herausfinden muss, welches Bild davon aus der Reihe fällt. Die Ahnengalerie hier auf dem Flur ist nicht unbedingt ein Rätsel, denn die Antwort ist ziemlich einfach: Fast alle Gesichter, die einem entgegenblicken, sind Männer. Ein Rätsel bleibt vielmehr, warum das bis heute noch so ist.
Eines der wenigen weiblichen Porträts gehört Hildegard Hamm-Brücher. Einer Frau, die ihrer Zeit voraus war; und: die vieles von dem erkämpft hat, was uns heute selbstverständlich erscheint.
Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich bin dankbar, dass wir auch in diesen Zeiten in diesem wenn auch begrenzten Rahmen zusammenkommen.
Hildegard Hamm-Brücher hat bleibende Spuren hinterlassen, nicht nur auf diesem Flur, sondern auch in besonderer Weise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - als leidenschaftliche Demokratin der ersten Stunde.
1948 wurde sie in München mit 27 Jahren jüngste Stadträtin Deutschlands. Wir denken daran: Das Grundgesetz gab es damals noch nicht. Und damit auch noch keinen Gleichberechtigungsartikel. Ebenso wenig gab es eine freie Namens-, Berufs- oder Wohnortwahl für Frauen.
Ehemänner hatten das Recht, ein Dienstverhältnis ihrer Ehefrau fristlos zu kündigen. Sie hatten das Letztentscheidungsrecht in allen Eheangelegenheiten. Im Bürgerlichen Gesetzbuch galt das Leitbild der „Hausfrauenehe“. Und an den Zugang zu Führungspositionen in vermeintlichen Männerberufen war für Frauen noch gar nicht zu denken.
Auch die Politik wurde natürlich von Männern dominiert. Und genau dieses Umfeld mischte Hildegard Hamm-Brücher kräftig auf: mit Leidenschaft, Kampfgeist und innerer Unabhängigkeit.
Sie bereicherte die parlamentarische Demokratie mit eigenständigen Positionen und klugen Gedanken.
Jahrzehntelang setzte sie sich für liberale Grundwerte, für soziale Gleichstellung sowie für die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen ein. Als Staatssekretärin im Hessischen Kultusministerium und anschließend im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft stritt sie für die Demokratisierung der Bildung.
Als sie 1976 in der Sozial-Liberalen Koalition unter dem damaligen Kanzler Helmut Schmidt als erste Frau zur Staatsministerin im Auswärtigen Amt ernannt wurde, prophezeiten einige, dass sie nicht lange durchhalten würde. Das lag sicher nicht an Kompetenz, mangelndem Durchsetzungswillen, oder klarer Haltung. Im Gegenteil: Manchem hatte sie - als Frau - davon wohl zu viel.
Zur Genugtuung der Emanzipationsgeschichte wurde aus dem „nicht lange“ sechs erfolgreiche Jahre, in denen sie für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik zuständig war.
Ein Teil ihres Schaffens, dass auch für mich der ganz wichtig ist: Unter ihrer Leitung gelang der Paradigmenwechsel weg von einer rein repräsentativen zu einer auf Austausch und Kooperation gerichteten Kulturpolitik.
Als Hildegard Hamm-Brücher 2016 mit 95 Jahren starb, hatte sich die Bundesrepublik der Nachkriegszeit gründlich gewandelt. Nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz von Frauen wie Hildegard Hamm-Brücher. Die Gleichstellung der Geschlechter wird heute oft als Selbstverständlichkeit gesehen.
Und dennoch: Von wirklicher Gleichberechtigung sind wir auch heute noch immer weit entfernt.
Covid-19 hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, dass es nach wie vor die Frauen sind, die die Hauptlast bei Kinderbetreuung, Pflege und im Haushalt tragen. Sie verdienen weniger. Sie arbeiten häufiger in prekären Beschäftigungen. Sie leiden häufiger an häuslicher Gewalt. Und sie sind in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft immer noch deutlich unterrepräsentiert. Heute beträgt der Frauenanteil im Bundestag gerade einmal 31%. Das ist der niedrigste Anteil seit 1994. Nur zum Vergleich: Auf dem afrikanischen Kontinent treffe ich auch in der Diplomatie viele starke Frauen.
Und auch bei uns im Auswärtigen Amt haben wir noch viel Arbeit vor uns. Im Gleichstellungsindex der obersten Bundesbehörden tragen wir auch dieses Jahr wieder die rote Laterne. Klar, es gibt auch hier Fortschritte. Wir haben endlich wieder eine Staatssekretärin, ich freue mich, dass einige unserer größten Botschaften von Frauen geleitet werden, darunter Washington, Tel Aviv und Tokyo. Aber: immer noch sind knapp 80% der Missionsleiter Männer. Und noch immer ist es viel normaler für Frauen, ihre Ehemänner ins Ausland zu begleiten und Karriereeinbußen hinzunehmen als umgekehrt.
Meine Damen und Herren,
es muss möglich sein, in einer Gesellschaft leben zu können, in dem Frauen dieselben Möglichkeiten und Chancen haben wie Männer – nicht nur rechtlich, sondern auch faktisch. Das ist eine Frage von Gerechtigkeit und Demokratie. Es geht aber auch darum, dass wir es uns schlicht und ergreifend nicht leisten können, auf das Potenzial von Frauen zu verzichten. Das gilt auch für die Außenpolitik.
Klar ist: Es braucht einen langen Atem. Und den Mut, etwas zu ändern.
Wir dürfen uns nicht mit dem Status Quo zufriedengeben, sondern müssen immer wieder konkrete Maßnahmen anstoßen und auch gesetzliche Regelungen treffen, um voranzukommen. Das Führungspositionengesetz, wie wir es gerade gemacht haben, ist leider auch heute noch dringend notwendig.
Aber auch im Kleinen gilt es Zeichen zu setzen: Zum Beispiel mit der heutigen Raumbenennung nach einer Frau. Und bei genauerem Hinsehen ist das alles andere als unbedeutend.
Lassen Sie mich dazu zum Abschluss eine kleine Geschichte erzählen: Eines meiner Patenkinder war 7 Jahre alt, als sie mit ihrer Mutter ein großes Kunstmuseum im Madrid besuchte. Am Ende des Rundgangs fragte sie: Mama, gab es eigentlich keine Frauen, die gemalt haben?
Die Sichtbarkeit von Frauen ist entscheidend. Nicht nur in den Museen, der Literatur, der Musik, Wissenschaft und Wirtschaft ist ihr Schaffen noch immer zu wenig präsent. Wie hier auf Flur.
Hildegard Hamm-Brücher, die sich Zeit ihres Lebens, darunter 38 Jahre lang als Volksvertreterin, für unsere Demokratie eingesetzt hat, hat eine solche Würdigung jedenfalls ohne Wenn und Aber verdient. Ihr Leben ist gleichfalls ein beispielhaftes Wirken in und für unsere deutsche Demokratiegeschichte.