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„Es geht nicht um mehr vom Gleichen, sondern um ein anderes Europa“

27.12.2017 - Interview

Außenminister Sigmar Gabriel zu den aktuellen Herausforderungen der Weltpolitik und zur Position Europas in der Welt. Erschienen in der Bild.

Seit knapp einem Jahr sind Sie Außenminister. Was hat das mit Ihnen gemacht? Sehen Sie die Welt jetzt mit anderen Augen?

Wirtschaftsminister suchen rund um die Welt nach Möglichkeiten für die eigene Wirtschaft. Außenminister tun das auch, werden aber gleichermaßen mit den Schattenseiten der Welt konfrontiert. Dem Elend, den Kriegen, dem Hunger. Das macht auch demütig. Denn natürlich ist auch bei uns nicht alles Gold, was glänzt, auch bei uns gibt es Armut und Ungerechtigkeit. Aber verglichen mit dem Rest der Welt leben wir in ungeheuer sicheren Verhältnissen.

Was ist die größte Gefahr für unsere Art zu leben?

Die größte Gefahr ist zu glauben, dass alles so gut weitergeht wie zur Zeit. Wer sich zu sicher fühlt, übersieht die großen Herausforderungen. Die größte Gefahr für uns ist, dass diejenigen, die Weltpolitik nach Regeln betreiben, immer weniger werden. Und dass ausgerechnet diejenigen, die diese Regeln mit aus der Taufe gehoben haben - die USA -, sich immer weniger dafür zuständig fühlen. Dann ersetzt das Recht des Stärkeren die Stärke des Rechts. Und dann wankt unsere Weltordnung.

Brauchen wir deswegen die Vereinigten Staaten von Europa?

Europa muss lernen, eine ernst zu nehmende Macht in der Welt zu werden. Das haben wir bislang anderen überlassen: Frankreich, Großbritannien und den USA. Aber das kann nicht so bleiben. Zumal dann nicht, wenn die USA ein ungewisser Partner werden und neue Mächte auftreten wie China. Die spielen nach anderen Regeln. Die spielen in einer anderen Liga. Und die haben - im Gegensatz zu uns - eine globale Strategie.

Ein vereinigtes Europa mag wichtig sein - aber das brennt den Menschen nicht unbedingt unter den Nägeln.

Wenn man mit den „Vereinigten Staaten von Europa“ das Europa meint, das wir heute kennen, dann mögen Sie recht haben. Aber es geht nicht um mehr vom Gleichen, sondern um ein anderes Europa. Ein Europa, das schützt, wie der französische Präsident Macron es nennt.

Ich finde es gar nicht so schwer, Menschen von dieser neuen europäischen Idee zu überzeugen. Und zwar so: China wächst, Indien wächst, Afrika wächst: Wenn eure Kinder noch eine Stimme haben wollen, dann wird das eine europäische sein. Oder unsere Kinder werden keine Stimme in der Welt haben! Das sind doch die Alternativen.

Wenn Sie mehr Verantwortung für Europa fordern: Warum haben Sie dann so große Vorbehalte gegen das Nato-Ziel, zwei Prozent des Sozialprodukts für Verteidigung auszugeben?

Weil es völlig unrealistisch ist. Deutschland müsste seinen Verteidigungsetat verdoppeln. Außerdem ist es völlig unnötig. Arbeiten wir auf EU-Ebene in der Verteidigung zusammen, spart das Geld und wir können trotzdem mehr Aufgaben übernehmen. Und schließlich wäre es verheerend, wenn Deutschland Europa nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch noch militärisch führen wollte.

Die nächste Bundesregierung sollte sich diesem Ziel nicht unterwerfen. Wir brauchen mehr Zusammenarbeit und Effizienz.

Heute schmeißen wir viel Geld in Europa zum Fenster hinaus, weil alle das Gleiche machen und niemand sich abstimmt. Das muss sich ändern. Außerdem schafft mehr Militär nicht automatisch mehr Sicherheit.

Wer zum Beispiel Flucht und Vertreibung stoppen will, muss in Afrika in Bildung, Wirtschaft und ein besseres Leben investieren.

Werden Sie der nächsten Bundesregierung noch angehören? Oder war der Afghanistan-Besuch vor Weihnachten Ihre letzte Reise im Amt?

Das weiß ich nicht. Aber eines ist klar: Nur weil Deutschland so lange nach einer neuen Regierung sucht, steht die Welt ja nicht still. Deshalb planen wir im Auswärtigen Amt natürlich ins nächste Jahr hinein. Trotzdem ist das schon eine eigenartige Situation. Es mag ein bisschen altmodisch klingen, aber seine Pflicht zu erfüllen, egal ob und wie es weiter geht, ist auch etwas Wichtiges. Dafür sind wir gewählt. Etwas humorvoll gesagt: Es hilft, wenn man Preuße ist.

Schadet die Dauer der Regierungsbildung unserem Land?

Nach innen nicht. Dafür sind unseren Institutionen viel zu stark. Aber nach außen müssen wir das verhindern. Wir benötigen dafür bald mehr Klarheit in der Europapolitik. Dafür brauchen wir eine stabile Regierung.

[…]

Interview: Hanno Kautz.

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