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Rede von Außenminister Wadephul im Deutschen Bundestag zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten Operation EUNAVFOR MED IRINI

15.10.2025 - Rede

„Um uns vor dem wahllosen Beschuss in Sicherheit zu bringen, habe ich meine ganze Familie in einem Raum versammelt.“ So zitierten Medien einen Familienvater aus Libyen, aus Tripolis, im Mai dieses Jahres. Rivalisierende Milizen lieferten sich nach der Tötung eines Milizenführers in der libyschen Hauptstadt heftige Gefechte. Die schwersten Gewaltausbrüche in der Stadt seit Jahren. Noch bis vor wenigen Wochen dauerten die Spannungen in und um Tripolis an. Und trotz eines seit Mitte September geltenden Waffenstillstandes bleibt die Sicherheitslage fragil.

Genau in dieser Situation ist es unerlässlich, dass wir als Deutschland, dass wir als Europäische Union mit der Operation EUNAVFOR MED IRINI unseren Beitrag zur Stabilisierung eines der längsten und komplexesten Konflikte im Mittelmeerraum leisten. Geht es doch bei der EU-Operation IRINI nicht nur um Schiffe, Flugzeuge oder Mandatszahlen – sondern vor allem um eins: um Verantwortung. Verantwortung für Frieden und Sicherheit im Mittelmeerraum, für die Stabilität in unserer europäischen Nachbarschaft, und für die praktische Umsetzung und Überwachung des VN-Waffenembargos gegen Libyen.

Die Operation EUNAVFOR MED IRINI überwacht seit 2020 das vom Sicherheitsrat beschlossene VN-Waffenembargo gegen Libyen. Außerdem unterstützt IRINI bei der Beobachtung illegaler Ausfuhren von Erdöl und Erdölerzeugnissen – wichtige Bausteine für Frieden und Stabilität in der gesamten Region. Denn eines ist klar: Wenn wir den Zustrom von Waffen und Finanzmitteln an die Konfliktparteien nicht unterbinden, kann es keinen Frieden geben. Dabei leistet die Operation IRINI mehr, als oft gesehen wird. Seit Beginn des Einsatzes vor fünf Jahren hat sie über 20.000 Schiffe abgefragt, mehr als 30 verdächtige Frachter inspiziert, in mehreren Fällen die Ladung beschlagnahmt und so konkrete Waffenlieferungen nach Libyen verhindert.

Als Deutschland beteiligen wir uns mit Stabspersonal im Hauptquartier in Rom sowie mit einem Seefernaufklärungsflugzeug. Damit leisten wir nicht nur unseren Beitrag im EU-Rahmen, sondern unterstreichen auch unser Bekenntnis zur transatlantischen Lastenteilung. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Soldatinnen und Soldaten danken, die für uns und für unsere Bundeswehr auf See, an Land oder in der Luft ihren Beitrag für mehr Sicherheit leisten. Im Mittelmeerraum und in Deutschland.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, EUNAVFOR MED IRINI ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt. 27 Mitgliedstaaten unter einem europäischen Kommando im Einklang mit dem Völkerrecht, die gemeinsam zeigen: Wir setzen auf Recht statt auf Willkür, wir setzen auf Kooperation statt auf Konfrontation. Und wir tun das in Europa gemeinsam.

Und es ist gut, dass solche Einsätze in diesem Haus stets kontrovers diskutiert werden. Wann immer wir als Hohes Haus potentiell gefährliche Auslandseinsätze mandatieren, gebietet das der Respekt vor unseren Soldatinnen und Soldaten, vor den Männern und Frauen, die für unser Land in der Welt eingesetzt sind. Aber ich möchte daran erinnern: Der Einsatz deutscher Streitkräfte in multinationalen Missionen und Operationen dient nicht den abstrakten Interessen anderer. Er dient unseren eigenen Interessen, unserer eigenen Sicherheit. Denn wenn das Mittelmeer instabiler wird, wenn Waffen unkontrolliert zirkulieren, wenn staatliche Strukturen in Nordafrika weiter zerfallen, dann spüren wir das ganz unmittelbar auch in Europa, auch in Deutschland. Durch Fluchtbewegungen, durch organisierte Kriminalität, durch neue geopolitische Spannungen. IRINI ist also keine Operation „fern von uns“ oder eine reine Übung in europäischer Solidarität, sie schützt vielmehr unmittelbar unsere Sicherheitsinteressen.

Deshalb beantragt die Bundesregierung, das Mandat – fast ohne Änderungen – um ein Jahr zu verlängern. Unverändert sollen die einzusetzenden Fähigkeiten, die rechtlichen Grundlagen und die personelle Obergrenze mit bis zu 300 Soldatinnen und Soldaten bleiben. Hinzukommen wird gegenüber der letzten Mandatsverlängerung die Nebenaufgabe „Sammeln von Informationen über andere illegale Aktivitäten“. Dadurch verbessern wir das maritime Lagebild im Mittelmeer insgesamt und stellen uns breiter auf. Außerdem soll das Operationsgebiet geringfügig erweitert werden. Damit wollen wir vor allem vermeiden, dass Schiffe, die in libysche Hoheitsgewässer einfahren oder diese verlassen, das Operationsgebiet schlicht und einfach umfahren können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit im Mittelmeer bedeutet auch Sicherheit für Europa. Deshalb steht Deutschland seit Beginn an zu dieser europäischen Operation. Und dabei haben wir nicht nur auf Schiffe und Aufklärungsflugzeuge gesetzt, sondern auch diplomatisch vermittelt. Seit 2020 unterstützen wir mit dem sogenannten Berliner Prozess die Bemühungen der Vereinten Nationen. Fakt ist: Libyen hat Fortschritte gemacht, aber die Lage bleibt fragil. Das Land ist nach wie vor gespalten, die politischen Institutionen blockiert, und ausländische Akteure mischen mit eigenen Interessen mit. Deshalb flankieren wir die militärische Operation weiterhin mit intensiver Diplomatie. Deutschland steht hinter der VN-Sonderbeauftragten Tetteh und ihren Bemühungen, durch freie und transparente Wahlen den demokratischen Übergangsprozess zu vollenden. Die Wiedervereinigung Libyens in Politik, Wirtschaft und Sicherheit sowie die Achtung der Menschenrechte sind essenziell, damit Frieden und Stabilität nachhaltig gedeihen können.

Kolleginnen und Kollegen, europäische Soldatinnen und Soldaten können keine politische Lösung für Libyen erzwingen, aber sie können helfen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Sie können verhindern, dass immer neue Waffen den Konflikt anheizen. Sie können Seewege sichern, Aufklärung leisten und helfen, das Vertrauen in die Einhaltung internationaler Regeln zu stärken. Und sie können für Deutschland und Europa Verantwortung übernehmen.

Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag der Bundesregierung auf Mandatsverlängerung zuzustimmen. Weil dieser Einsatz notwendig ist. Damit es für die Bevölkerung in ganz Libyen endlich wieder Sicherheit geben kann. Und damit wir als Europa selbst Verantwortung für unsere Sicherheit übernehmen.

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