Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenministerin Annalena Baerbock bei der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung

07.11.2022 - Rede

Herzliche Grüße auch von meiner Außenministerkollegin und Freundin Catherine Colonna. Wir waren ja gerade noch zusammen in Münster beim G-7-Treffen im Friedenssaal - dieser Saal wurde ganz bewusst gewählt -, wo 1648 der Westfälische Frieden geschlossen wurde und damit dieser furchtbare, grausame Dreißigjährige Krieg beendet werden konnte. Dieser Friedensvertrag, der Westfälische Frieden, begründete auch ein neues Prinzip für unser gemeinsames Europa, das Europa bis heute entscheidend prägt, nämlich: Frieden durch Recht. Auf dieses Prinzip haben wir nach dem Zweiten Weltkrieg unsere europäische Friedensordnung gemeinsam aufgebaut. Dieses Prinzip ist das Herzstück unserer Europäischen Union, und es ist fester Teil der deutsch-französischen Freundschaft.

Heute ist dieses Prinzip buchstäblich unter Beschuss. Russland hat mit seinem brutalen Angriff auf die Ukraine auch die europäische Friedensordnung attackiert. Wir haben gemeinsam in den letzten Monaten auf diesen Angriff eine klare Antwort gegeben: in der Europäischen Union, in den Vereinten Nationen, in der NATO, in den G7 und - das ist wichtig - den G20. Wir haben gezeigt: Gemeinsam sind wir stärker als dieser furchtbare Krieg. Ich möchte klar sagen: Das hätten wir nicht ohne einen starken deutsch-französischen Schulterschluss geschafft.

Mit keinem anderen Land haben wir eine so enge Bindung wie mit Frankreich. Mit keinem anderen Land stimmen wir uns so eng ab wie mit Frankreich, und zwar tagtäglich. Dafür steht - das haben die beiden Präsidentinnen bereits deutlich gemacht - zum einen der Élysée-Vertrag mit der Aussöhnung unserer Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg. Dafür steht aber eben auch der Vertrag von Aachen, der unsere Freundschaft zum Kern unserer politischen Identität gemacht hat.

Aber unsere Partnerschaft geht weit über Verträge hinaus, und niemand weiß das so gut wie Sie alle als Parlamentarierinnen und Parlamentarier unserer beiden Länder. Viele von Ihnen haben seit Langem enge Beziehungen zu ihren Parlamentskolleginnen und -kollegen im Nachbarland. Aber es ist ja der Mehrwert unserer starken Demokratien, dass wir nicht nur Politikerinnen sind und in Regierungs- bzw. in Parlamentsgebäuden sitzen, sondern dass wir vor allen Dingen vor Ort sind, in unseren Städten und Dörfern und in unseren Gemeinden und daher tagtäglich diese Beziehungen zwischen den Menschen, die Städtepartnerschaften, den Austausch zwischen unseren Wahlkreisen gemeinsam leben. Einige von Ihnen - wahrscheinlich sogar fast die Mehrheit von Ihnen - stammen aus Grenzregionen und bringen dort Menschen mitten im Leben zusammen: von der grenzüberschreitenden Straßenbahn bis hin zum Schulaustausch oder auch dem zweisprachigen Abitur. Sie alle füllen unsere Freundschaft jeden Tag mit Leben.

Ich bin froh, dass unser wichtigster Nachbar zugleich unser bester Freund - oder wir müssen vielleicht sagen: unsere beste Freundin - ist. Dieses Vertrauen ist unendlich kostbar, aber es ist eben keine Selbstverständlichkeit. Und ich glaube, das müssen wir uns in diesen so schwierigen und zum Teil brutalen Tagen immer wieder vergegenwärtigen: Freundschaft kostet etwas. In Freundschaft muss man investieren, gerade - auch das wurde bereits angesprochen - wenn man mal unterschiedlicher Meinung ist; denn vor uns stehen große Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bestehen können.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer sehen einem harten Winter entgegen. Der russische Präsident zerbombt bewusst die Infrastruktur; Wasser, Strom und Wärme sind damit so kostbar wie nie zuvor in diesem so brutalen Krieg. In der EU haben wir uns deswegen eng abgestimmt mit Blick auf die Winterhilfe und diese als G7 noch mal gemeinsam beschlossen. Aber wir haben gerade in der deutsch-französischen Zusammenarbeit zwischen Catherine Colonna und mir Vorschläge entwickelt, wie wir unser Verhältnis zu Russland strategisch neu gestalten können, auch über den heutigen Tag hinaus; denn wir sind uns mit Frankreich absolut einig, dass uns Putins Russland absehbar als Bedrohung gegenüberstehen wird.

Auch um die Klimakrise einzudämmen, brauchen wir die deutsch-französische Partnerschaft. Seit gestern beraten in Sharm el-Sheikh die Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention auf der COP27, und dort ist Catherine gerade mit vor Ort. Es gab wohl noch keine Weltklimakonferenz, die unter so schwierigen geopolitischen Vorzeichen stattgefunden hat. Aber trotz der schwierigen Ausgangslage werden wir alles dafür tun, dass wir ein ambitioniertes Ergebnis bekommen. Wir werden uns bis zuletzt für jedes Zehntelgrad weniger Erderwärmung einsetzen, und wir werden solidarisch sein mit den Ländern, für die die Klimakrise schon jetzt eine Frage von Leben und Tod ist.

Meine Damen, meine Herren, das alles sind schwierige Aufgaben. Aber als Politikerinnen und Politiker sind wir ja alle Berufsoptimistinnen und -optimisten. Deswegen bin ich überzeugt: Gemeinsam werden Deutschland und Frankreich mit ihren Partnerinnen und Partnern unsere europäische Sicherheit neu aufstellen. Wir werden unsere europäische Souveränität stärken und wir werden die EU zu einem geopolitischen Akteur weiterentwickeln.

Hierfür brauchen wir Vertrauen; aber wir brauchen auch ehrliche Diskussionen unter Freunden. Gerade dass wir nicht immer einer Meinung sind oder die gleiche Herangehensweise wählen, macht doch unsere besondere Freundschaft aus. Gerade deshalb setzen wir immer wieder gemeinsame Impulse. Oder um es auf Deutsch zu sagen: Es gibt keine Familie, in der alle zu hundert Prozent einer Meinung sind. Man kann seinen Ehepartner manchmal verfluchen, weil er die Zahnpastatube nicht zumacht. Aber der Wert einer solchen Beziehung besteht doch darin, dass man sich nicht über diese Kleinigkeiten zerstreitet, sondern die tiefe Verbundenheit über allem steht. Und ich spüre das Vertrauen in unsere Partnerschaft jeden Tag in der ganz konkreten Zusammenarbeit.

Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie alle dazu beitragen, weil es manchmal mehr braucht als zwei Außenministerinnen oder zwei Parlamentspräsidentinnen oder zwei Ehepartner, dass Sie als Parlamentarier und Parlamentarierinnen diese deutsch-französischen Beziehungen jeden Tag leben, in Freundschaft, aber eben auch in Arbeitsgruppen; auch das zeichnet unsere Parlamente ja aus.

Ensemble, nous sommes plus forts que cette guerre. Vive l’amitié franco-allemande ! Vive la liberté ! Vive l’Europe !

Merci beaucoup. Herzlichen Dank.

Schlagworte

nach oben