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„Trump darf uns nicht spalten“

19.07.2018 - Interview

Außenminister Heiko Maas im Interview mit dem RND.

Herr Außenminister, vertrauen Sie den Erkenntnissen der eigenen Geheimdienste eigentlich mehr als Wladimir Putin?

Ja, das tue ich.

Beunruhigt es Sie, dass Ihr Verbündeter, US-Präsident Trump, keine ebenso klare Antwort auf diese Frage hat?

Die Aussagen Trumps in Helsinki sind für mich sehr schwer nachvollziehbar. Die Erkenntnisse der westlichen Geheimdienste sind sorgfältig aufbereitet und für unsere Arbeit außerordentlich wichtig. Man muss immer alles kritisch überprüfen, das ist richtig. Wir sollten allerdings schon sehr klar zwischen den Angaben seriöser Quellen und falschen Behauptungen unterscheiden. Die Instrumentalisierung von Fake News auf der politischen Bühne ist für die Debattenkultur sehr gefährlich. Wenn Fake News an die Stelle von Fakten treten, ist das Gift für unsere Demokratie.

Warum agiert Trump bei der Frage russischer Einmischung in die US-Wahlen dann so?

Die US-Geheimdienste arbeiten seit Monaten an der Aufklärung dieser Frage. Ich kann nicht verstehen, warum ein US-Präsident die Erkenntnisse der Dienste in dieser Weise öffentlich infrage stellt. Es müsste doch eigentlich in seinem eigenen Interesse liegen, dass die Wahrheit ans Licht kommt.

Mittlerweile sagt Trump, er habe ein Wort verwechselt und meine das Gegenteil. Wie denken Sie über diese Pirouette?

Offenbar ist dies der Versuch einer Schadensbegrenzung. Besonders überzeugend wirkt das nicht. Seine Angriffe auf die Europäische Union, die Trump als ‚Gegner‘ bezeichnet hat, stehen leider immer noch im Raum. Trumps Europa-Reise hat insgesamt gezeigt, dass sein Verhalten eine große Herausforderung für die Diplomatie ist.

Bei dem Gipfel in Helsinki wurde immerhin auch über einige Sachthemen geredet – etwa die nukleare Rüstungskontrolle. Gibt es Fortschritte?

Das Rüstungskontrollabkommen über Mittelstreckensysteme ist eines der wichtigsten Vertragswerke der internationalen Politik. Es kann nicht sein, dass wir dabei verharren, wie dieser Vertrag zwischen den USA und Russland in sich zusammenfällt. Russland muss die Vorwürfe des Vertragsbruches ausräumen. Wir müssen alles daransetzen, damit das Abkommen am Leben gehalten wird. Alles andere wäre eine Gefahr für den Frieden. Ich hätte mir gewünscht, dass sich Trump und Putin in Helsinki auf ein konkretes Verfahren einigen, wie man mit dieser großen Frage umgeht.

Auch über Syrien sollte gesprochen werden.

Russland und die USA müssen die verschiedenen Gesprächsformate zur Syrien-Frage wieder zusammenführen. Erst dann können wir ernsthaft darangehen, eine dauerhafte politische Lösung zu verhandeln. Die Beendigung dieses scheußlichen Konflikts und des unermesslichen Leids der Menschen in Syrien ist eine der wichtigsten außenpolitischen Fragen der Gegenwart.

Sehen Sie Deutschland in einer Vermittlerrolle?

Wir drängen uns nicht auf, tun aber alles, was wir können, um zu helfen. Wo wir als Vermittler im Syrien-Konflikt gewünscht sind, stehen wir zur Verfügung. Wir sind als großer Geber für Syrien ganz vorne mit dabei. Wir erfahren dafür viel Respekt – auch weil wir in unserem Engagement verlässlich sind. Und: Wir wollen auch den politischen Friedensprozess mitgestalten. Deutschland gehört an die großen Verhandlungstische dieser Welt. Wir sind bereit, eine Führungsrolle beim Wiederaufbau des Landes zu übernehmen, sobald es eine politische Lösung gibt.

Wollen Sie das im Rahmen der Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat ab 2019 angehen?

Die Friedensprozesse für Syrien müssen unter dem Dach der UN zusammengeführt werden. Daran wollen wir mitarbeiten.

Haben Sie darüber hinaus Pläne für die anstehenden zwei Jahre als Mitglied im Sicherheitsrat?

Wir wollen weiter versuchen, eine UN-Friedensmission in der Ostukraine auf den Weg zu bringen. Dieser Konflikt bleibt für Deutschland eine der zentralen politischen Fragen. Aber wir werden uns auch um Länder kümmern, auf die wenige schauen: die kleinen Inselstaaten im Pazifik etwa, die durch den Klimawandel besonders bedroht sind. Verantwortungsvolle Außenpolitik ist immer auch Klimapolitik.

Sie könnten die Zeit auch nutzen, um bei der Frage eines europäischen Sitzes voranzukommen.

Wir werden unseren Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen europäisch interpretieren. Wenn wir sagen, wir brauchen europäische Geschlossenheit, dann können wir nicht nur die deutsche Stimme sein. Dann müssen wir die deutsche Stimme im europäischen Kontext werden. Wir wollen zeigen, dass wir es ernst meinen mit dem gemeinsamen europäischen Sitz. Denn das bleibt das Ziel. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr internationale Zusammenarbeit. Es geht um die Zukunft des Multilateralismus. Die freie Welt wird heute in New York bei den Vereinten Nationen verteidigt.

Ist der Multilateralismus durch Putin und Trump insgesamt in Gefahr?

Es ist gut, wenn die USA und Russland miteinander sprechen. Man muss die beiden nur offensichtlich immer wieder daran erinnern, dass sie eine enorme Verantwortung für die Sicherheit und den Frieden auf der ganzen Welt tragen. Da sollte niemand sein Land über andere stellen.

Glauben Sie, das politische System in den USA kann Schaden nehmen?

Ich setze auf die Stärke der politischen Institutionen in den USA. Es sieht nicht so aus, als ob der Kongress nur nach der Pfeife des Präsidenten tanzt. Und die Justiz schon gar nicht, wie man gesehen hat. Und: Auch die amerikanische Zivilgesellschaft ist aktiv. Ein Präsident Trump wird die politischen und gesellschaftlichen Korrektive in den USA nicht innerhalb von vier Jahren aushebeln. Amerika ist mehr als das Weiße Haus.

Trotzdem hat sich das Verhältnis zum einst wichtigsten Freund und Partner verändert. Wie nehmen Sie diese Aufgabe an?

Wir müssen um Dinge kämpfen, die früher selbstverständlich waren. Aber nicht alles, was wir als gemeinsames Interesse definieren, wird auch in den USA so gesehen. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass jemals ein US-Präsident neben Russland und China Europa als Gegner seines Landes bezeichnet. Ebenso gilt aber: Ich hätte niemals geglaubt, dass Europa keine andere Wahl hat und so eindeutig auf die Maßnahmen aus den USA antworten und Gegenmaßnahmen – was für ein Wort – also Strafzölle auf den Weg bringen muss...

... eine für europäische Verhältnisse drastische Maßnahme.

Das zeigt, wie dramatisch die Lage ist. Unsere Interessen werden wir selbstbewusst verteidigen. Wir müssen in Europa enger zusammenrücken und dürfen uns durch die Verbalattacken nicht spalten lassen. Unser nationales deutsches Interesse hat einen Namen: Europa. Wenn Europa nicht gemeinsam handelt, wird es in Zukunft nur noch behandelt.

Sie sprechen von Europa als Einheit. Doch immer mehr Regierungen stellen europäische Grundwerte infrage. Wie soll man mit ihnen umgehen?

Wir müssen die Ängste besonders der osteuropäischen Mitgliedsstaaten ernst nehmen. Den Rechtspopulisten dürfen wir jedenfalls keine Argumente für ihre Stimmungsmache liefern. Wir dürfen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger durch Europa laufen. Wir brauchen eine neue Ostpolitik in Europa. Ja, es gibt einige Staaten in Europa, deren Regierungen Entscheidungen treffen, die uns nicht gefallen. Rechtsstaatliche Defizite müssen wir klar benennen. Gleichzeitig dürfen wir niemanden ausgrenzen. Osteuropäer, Italiener, Österreicher – wir brauchen sie alle. Es ist unsere Aufgabe, Europa zusammenzuhalten.

Emmanuel Macron zeichnet eine positive Vision von Europa. Freut Sie das?

Ja, sehr. Präsident Macron bringt nicht nur schöne Ideen mit. Macron hat bewiesen, dass man mit Europa eine Wahl gewinnen kann. Deutschland darf dabei keine verzagte Haltung an den Tag legen. Wir sollten uns mutig in diese Schlacht werfen und entschieden für mehr Europa kämpfen.

Allein kann Macron Europa nicht reformieren. Wo bleibt Deutschland?

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die ausgestreckte Hand von Macron entschlossen ergreifen müssen. Wir brauchen einen radikalen Schulterschluss zwischen Frankreich und Deutschland, die Europa nicht als Oberlehrer, aber als Mutmacher voranbringen müssen. Auf dem deutsch-französischen Gipfeltreffen in Meseberg haben wir vor einigen Wochen erste Schritte in Finanz- und Währungsfragen gemacht.

Bankenunion, Europäischer Stabilitätsmechanismus, Euro-Zonen-Haushalt – reicht das, um die EU voranzubringen?

Nein. Wir brauchen etwa auch eine gemeinsame europäische Außenpolitik. Wir müssen klar Position beziehen. Ich sehe da vor allem einen Weg: Wir müssen den Fluch der Einstimmigkeit beenden. Er führt zu oft zur Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Und er lädt fremde Mächte wie etwa die Chinesen förmlich ein, uns zu spalten und das Blockadepotenzial einzelner Mitgliedsstaaten auszunutzen. Mein Vorschlag ist, dass der Europäische Rat schnell erste Felder definiert, in denen wir ab sofort auch mit Mehrheit entscheiden. Das ist kein Verzicht auf Souveränität. Im Gegenteil: Allein ist kein einziger europäischer Staat in der Lage, in irgendeinem außenpolitischen Konflikt seine nationalen Anliegen durchzusetzen. Egal ob Iran, Ukraine oder Syrien – die Antwort auf solche Konflikte ist immer gleich und sie lautet: Europa muss geschlossen agieren, sonst wird es keine Lösung geben.

Größter Gegner der europäischen Einigung ist die Flüchtlingspolitik. Hat dieser Streit das Zeug zu spalten?

Wir müssen alles dafür tun, dass die Flüchtlingspolitik kein Spaltpilz ist. Deswegen sind die von allen EU-Partnern getragenen migrationspolitischen Kompromisse so wichtig. Nicht alles von dem entspricht immer vollständig meiner persönlichen Haltung. Aber ich kann nicht einerseits gegenüber Horst Seehofer darauf verweisen, dass nationale Alleingänge nicht gehen – und mich zugleich einem europäischen Kompromiss verweigern, wo doch klar ist, dass es in Europa nicht ohne Kompromisse gehen wird. Wer nach europäischen Lösungen ruft, der muss zu Zugeständnissen bereit sein. Europäische Lösungen gibt es nur, wenn jeder zu vertretbaren Kompromissen fähig ist, egal ob er von rechts oder links kommt.

Einer der Kompromisse beinhaltet afrikanische Sammellager. Ist das denkbar?

Ich habe nichts gegen Lösungen, die rechtsstaatlichen und humanitären Kriterien entsprechen. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg. Nordafrikas Regierungen lehnen derzeit Sammellager ab. Und: Es ist unrealistisch, dass gerade die Menschen in diesen Zentren ausharren würden, die wissen, dass ihre Chancen auf Aufnahme in die EU gen null gehen.

Auf dem Mittelmeer spielen sich derweil humanitäre Katastrophen ab. Müssen Flüchtlinge, die dort gerettet werden, in die EU gebracht werden?

Die libysche Küstenwache jedenfalls führt jene Menschen, die sie an der Überfahrt hindert, zurück nach Libyen.

Wie beurteilen Sie die Arbeit privater Rettungsinitiativen?

Ich habe großen Respekt vor der Arbeit privater Seenotretter. Ihr humanitärer Einsatz darf jedoch nicht ausgenutzt werden von Schleppern. Wir dürfen die privaten Seenotretter nicht alleinlassen, und natürlich müssen sich alle an internationales Seerecht halten. Die libysche Küstenwache, aber auch die internationalen Mittelmeermissionen müssen daran arbeiten, dass Menschen gar nicht erst die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer antreten.

Stört es Sie, dass sich der Kapitän des Rettungsschiffs „Lifeline“ vor Gericht verantworten muss, obwohl er 230 Menschen gerettet hat?

Ich fühle mich damit nicht wohl. Dass es zu Prozessen gegen Menschenretter kommt, ist nicht gut. Aber wenn die maltesische Justiz dort Fragen hat, ist es ihr Recht, diese Fragen zu prüfen und zu klären.

War die Abschiebung des mutmaßlichen Bin-Laden-Leibwächters Sami A. nach Tunesien rechtens?

Diese Frage müssen die Gerichte entscheiden.

Die Frage bekommt neue Brisanz, da Tunesien nun als sicheres Herkunftsland eingestuft ist. Kann ein Land, in dem Folter droht, „sicher“ sein?

Auch wenn ein Land als sogenannter sicherer Herkunftsstaat eingestuft ist, erfolgt eine Prüfung, ob im Einzelfall Folter droht. Ich warne vor Pauschalurteilen. Bloß weil wir nicht mit allen politischen Entwicklungen in den Maghreb-Staaten einverstanden sind, sollten wir sie nicht zu Folterstaaten erklären.

Sie sind viel unterwegs, der SPD scheint dies aber kaum zu nutzen. Warum ist das so?

Viele von den Themen, die mich umtreiben, sind parteiübergreifend. Ich vertrete Deutschland. Genauso klar ist: Gegen neuen Nationalismus und für mehr internationale Zusammenarbeit kämpfe ich nicht nur als Außenminister, sondern auch als Sozialdemokrat. Im Übrigen glaube ich, dass in der letzten Zeit insgesamt die Skepsis gegenüber Parteien und Politikern gewachsen ist.

Die vergangenen Wochen der Regierungskrise haben kaum Vertrauen zurückgebracht.

Bedauerlicherweise haben unsere Regierungspartner CDU und CSU in den vergangenen Wochen mit ihrem Streit ganz wesentlich zum Verdruss an Politik und ihren Vertretern beigetragen. Die SPD hat sich in dieser Krise verantwortungsvoll und seriös verhalten.

Wünschen Sie sich von der CSU, dass sie sich jetzt ernsthaft an die Regierungsarbeit macht?

Das wünsche ich mir nicht – das erwarte ich von den Kollegen. Hier geht es um Grundtugenden der Zusammenarbeit: Verantwortung und Verlässlichkeit.

Interview: Marina Kormbaki und Gordon Repinski
www.maz-online.de

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