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Außenminister Sigmar Gabriel zur Eröffnung der Ausstellung: Beyond Duty - als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannte Diplomaten

29.01.2018 - Rede

Sehr geehrter Herr Botschafter Issacharoff,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,

das ist eine besondere Ausstellung, die wir heute hier eröffnen wollen. Sie weist auf den Mut von Menschen hin, in diplomatischen Lebenssituationen, in denen es wirklich gefährlich war. Wir erleben auch heute manchmal schwierige Lagen, manchmal auch gefährliche, keine Frage, in einigen Ländern. Aber so dramatisch, wie sich die Situation in dem Zeitraum zwischen 1933 und 1945 dargestellt hat, als Deutschland überall auf der Welt versucht hat, seine Ideologie durchzusetzen, Menschen umzubringen, insbesondere Juden umzubringen, so dramatisch ist es jedenfalls für dieses Land nicht mehr. Gleichzeitig gab es damals nicht sehr viele, aber immerhin doch eine ganze Reihe von Menschen, die sich dem entgegengestellt haben.

„Es kann sein, dass ich gezwungen sein werde, der Regierung den Gehorsam zu verweigern. Es nicht zu tun, wäre Ungehorsam gegenüber Gott.“

Diese Worte stammen von Chiune Sugihara, japanischer Konsul in Litauen.

1940, kurz vor seiner eigenen Ausreise, sorgte er dafür, dass Tausende Juden mithilfe japanischer Visa ausreisen konnten.

Man muss wirklich großen Respekt und Bewunderung für seinen Mut haben.

Er handelte entschieden gegen die Instruktionen seiner Regierung und verweigerte den Gehorsam. Dafür wurde er 1984 von der Yad Vashem Gedenkstätte als Gerechter unter den Völkern anerkannt.

Yad Vashem definiert die Auszeichnung „Gerechter unter den Völkern“ so:

„In einer Welt totalen moralischen Zusammenbruchs gab es eine kleine Minderheit, die außergewöhnlichen Mut an den Tag legte, um menschliche Werte hochzuhalten. Dies waren die Gerechten unter den Völkern.“

Sie hat sie bislang auch 36 Diplomaten aus mehr als 20 Ländern verliehen.

Es ist mir eine Ehre, heute die Ausstellung „Beyond Duty- als Gerechte unter den Völkern anerkannte Diplomaten“ zu eröffnen, die von Yad Vashem konzipiert wurde.

Vielen Dank an die Botschaft des Staates Israel, die die Initiative ergriffen hat, diese Ausstellung in Deutschland gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt zu zeigen.

Gleichzeitig wird die Ausstellung auch im israelischen Außenministerium gezeigt und eine Gedenkwand für diese Diplomaten enthüllt. Und auch in weiteren Ländern, etwa Aserbaidschan, wird die Ausstellung zu sehen sein.

Dies ist auch, mehr als 70 Jahre danach, keine Selbstverständlichkeit und eine große Geste für die Verbundenheit unserer beiden Länder. Gerade beim Umgang mit der schwierigen, und für so viele Millionen Menschen tödlichen Vergangenheit zeigt sich, wie nah sich Deutschland und Israel wieder gekommen sind.

Die Ausstellung legt dar, wie einzelne Diplomaten Mut bewiesen haben, angesichts des Leids und der Not der jüdischen Bevölkerung zu handeln und menschliche Werte hochzuhalten:

Mut, gegen den Strom zu schwimmen und sich über die Vorschriften der jeweiligen Regierungen hinwegzusetzen.

Was sind schon Vorschriften gemessen am Leben von Menschen.

Mut, die Konsequenzen ihres Handelns zu tragen.

Mut, ihren Status, ihr Auskommen und mitunter auch ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Unter den geehrten Diplomaten finden sich sechs Angehörige des schwedischen Außenministeriums und ich freue mich, dass der schwedische Botschafter heute auch unter uns ist.

Der bekannteste von ihnen war Raoul Wallenberg, der 1944 nach Budapest gesandt wurde, um Pässe und Visa für Juden mit Verbindung nach Schweden auszustellen.

Wallenbergs Engagement ging weit über seinen Auftrag hinaus. Er errichtete Schutzhäuser, unterstützte die Versorgung von tausenden Juden im Budapester Ghetto und rettete Hunderte vor Todesmärschen an die österreichische Grenze.

Sein Schicksal nach dem Einmarsch der Roten Armee ist bis heute nicht endgültig geklärt.

Auch der Mut eines deutschen Diplomaten wird in dieser Ausstellung gewürdigt: Georg Ferdinand Duckwitz, während des 2. Weltkriegs Schifffahrtssachverständiger der Deutschen Gesandtschaft in Kopenhagen.

Im Oktober 1943 plante das NS-Regime die Deportation der jüdischen Bevölkerung Dänemarks. Duckwitz gelang es durch frühzeitige Information seiner Kontakte in Dänemark und Vermittlung mit der schwedischen Regierung, das Schlimmste zu verhindern.

Der Großteil der dänischen Juden konnte in Booten über den Öresund gebracht und gerettet werden.

Seine Hilfestellung war ein Akt des Widerstands gegen ein verbrecherisches System.

Duckwitz war jedoch gleichzeitig auch NSDAP-Mitglied der ersten Stunde. Seine Biographie macht deutlich, dass es für seine mutige Tat auch einer kritischen und sicher schwierigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben bedurfte.

Diesen Weg gingen jedoch im Auswärtigen Dienst nur wenige, viel zu wenige.

Bei allem Lob für einen Diplomaten aus unserem Haus müssen wir uns immer wieder bewusst machen: Das Auswärtige Amt war aktiver Teil der verbrecherischen Politik des NS-Regimes. Es war frühzeitig über die Ausmaße informiert und an der systematischen Vernichtung der europäischen Juden beteiligt.

Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, dann liegt das letzte Originalprotokoll der Wannsee-Konferenz über die Endlösung der Judenfrage hier im Archiv des Hauses.

Nach Gründung der Bundesrepublik wurde lange Zeit im Auswärtigen Amt das Selbstbild gepflegt, es sei ein „Hort des Widerstands“, oder mindestens der inneren Emigration gewesen. Versuche, dieses Bild zurechtzurücken, waren nur mäßig erfolgreich.

Erst von 2005 bis 2010 hat eine Unabhängige Historikerkommission unter meinen Vorgängern die Geschichte des Hauses im Dritten Reich systematisch aufgearbeitet.

Damit stehen wir aber nicht am Ende der Aufarbeitung. Seither hat die Forschung zum Thema neuen Auftrieb erhalten. Das ist wichtig und richtig. Es bleibt unser aller Aufgabe, sich weiter mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen, weil wir ja merken, dass sie leider auch immer noch Teil der Gegenwart in unserem Land ist. Das, was wir an Daten, an empirischer Forschung über Antisemitismus in unserem Land haben, das zeigt uns ja, dass das keineswegs verschwunden ist und dass die Erinnerung jedenfalls nicht so wach und nicht so präsent ist, dass sie dazu führt, dass jedem klar ist, dass dies ein Menschheitsverbrechen war. Angriffe gegen Juden in unserem Land sind immer Angriffe gegen uns selbst. Dass es nicht ein Angriff gegen nur einen Teil unserer Gesellschaft ist, sondern ins Zentrum unserer Gesellschaft stößt und damit uns alle meint.

Denn die Verfassung unseres Landes ist geschrieben worden zum Beispiel mit den Nürnberger Ärzteprozessen vor Augen. Sie ist in Wort gegossenes Manifest dafür, nie wieder genetische und soziale Fragen miteinander verbinden zu wollen. Dieses „nie wieder“ ist der Kern unserer Verfassung. Und wer dem „nie wieder“ widerspricht, meint den Angriff auf den Kern unserer Verfassung und nicht nur, was schlimm genug wäre, den Angriff auf eine bestimmte Religion oder ethnische Minderheit in unserem Land.

Meine Damen und Herren,

am 27. Januar begehen wir den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Dieser Tag ist uns Mahnung, aber, auch wegen der aktuellen Entwicklung, Verpflichtung zugleich. Gerade jetzt, wo die Zeitzeugen auf beiden Seiten immer weniger werden, Opfer wie Täter, ist die Erinnerung an die Gräuel der NS-Zeit etwas, was wir aktiv betreiben müssen und womit wir uns immer wieder auseinanderzusetzen haben. Ob wir Nachkommen von Tätern oder Opfern sind, ob wir in Deutschland aufgewachsen sind oder anderswo, wir alle sind gefordert, uns gegen das Vergessen und vor allem dagegen aufzulehnen, dass Antisemitismus eine Randerscheinung sei. Ich glaube, dass das die wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass wir im Heute und im Morgen der Verantwortung gegenüber dem Gestern gerecht werden.

Es stellen sich natürlich aktuelle Fragen: dass Antisemitismus in Deutschland womöglich nicht deutlich genug bekämpft wurde. Ich habe es immer für eine große Schande für unser Land gehalten, dass vor Synagogen seit Jahrzehnten Polizisten stehen müssen. Heute sind viele Menschen durch die Globalisierung und angesichts der vielen Konflikte rund um die Insel der Seligen hier bei uns in Deutschland und Europa verunsichert. Deshalb kann der Antisemitismus auf dem Humus von Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus wieder wachsen und schafft entsprechenden Parteien und Bewegungen wieder Zulauf. Es ist aber selbst eine schwierige Lebenssituation keine Entschuldigung dafür, zum Antisemiten zu werden oder zum Feind unserer Verfassung. Das sollte uns jedenfalls beunruhigen. Mich besorgt auch, dass Antisemitismus und Antizionismus unter Flüchtlingen und Migranten weit verbreitet sind.

Der Herr Botschafter und ich werden morgen Nacht nach Israel reisen, zu einer Tagung des Instituts für Strategische Studien eines seiner Vorgänger: von Shimon Stein.

Wir fanden es eine gute Idee, erneut in Gespräche mit der Israelischen Regierung zu treten, auch wenn uns viele Themen trennen. Sie erinnern sich, dass ich es bei meinem letzten Besuch für angemessen hielt, Vertreter der Zivilgesellschaft, auch Breaking the Silence, zu treffen. Das führte dann zur Absage des Gesprächs mit dem israelischen Ministerpräsidenten. Ich gebe offen zu, und das ist auch einer der Gründe, warum ich froh bin, dass wir morgen zusammen reisen und dass wir am Mittwoch auch den israelischen Ministerpräsidenten treffen werden, dass bei aller Richtigkeit, von der ich weiterhin überzeugt bin, nicht auf Treffen mit der Zivilgesellschaft in Israel zu verzichten, es mich tief verunsichert hat, wie groß der Beifall in Deutschland war.

Weil sich in diesem Beifall natürlich nicht nur die Bravo-Rufe für einen standhaften deutschen Außenminister mischten, der sich nicht einschüchtern lässt, sondern vermutlich auch manche dabei waren, die hinter ihren antiisraelischen Positionen eigentlich eine antisemitische Position verborgen haben. Das ist mir jedenfalls da noch einmal klar geworden. Das ändert nichts daran, dass sowohl Herr Netanjahu als auch ich der Überzeugung sind, alles richtig gemacht zu haben beim letzten Besuch – aber wir bekamen beide, wie ich glaube, Beifall von der falschen Seite. Er in seinem Land und ich in meinem. Und deshalb danke ich, dass wir morgen noch einmal die Gelegenheit nutzen zu zeigen, dass unsere beiden Länder sich nicht auseinandertreiben lassen durch politische Differenzen und dass dazu kritischer Umgang gehört, aber eben auch immer wieder das Bewusstsein, dass es eine besondere Verantwortung gibt; jedenfalls für uns, die Deutschen. Nicht zuzulassen, dass sich hinter welchem Deckmäntelchen auch immer, letztlich Antisemitismus verbirgt, auch wenn der öffentlich geäußerte Anlass dem einen oder anderen einsichtig zu sein scheint. Im Kern jedenfalls dürfen wir dem Antisemitismus nicht erlauben, sich zu verstecken und Beifall zu finden in einer politischen Kontroverse, die nichts mit dem Beweggründen von Antisemiten zu tun haben darf.

Für mich ist sehr klar, dass wir hier eine Aufgabe haben, die keine kleine ist. Viele Menschen sind zugewandert in unser Land, die sozusagen den Antisemitismus mit der Muttermilch bekommen haben, dadurch dass in ihrer Herkunft ein schwerer Konflikt existiert. Aber wir dürfen auch nicht so tun, als sei das ein Migrationsproblem, denn die Mehrzahl und zwar die weit überwiegende Mehrzahl von rechtsradikalen Gewalt- und Straftaten gegen Juden oder jüdische Einrichtungen werden nicht von Migranten begangen, sondern werden in steigender Zahl von „Bio-Deutschen“, wie man das heute nennt, begangen, die ihren Antisemitismus und ihren Rechtsradikalismus in unserem Land entwickelt und nicht etwa importiert haben.

Diese Ausstellung soll uns Mahnung sein, nicht wegzuschauen, Mut zu haben. Der ja bei uns weit geringer sein muss als der derjenigen, die hier vorgestellt werden.

Gerade hier im Haus ist es doch so: Im Einsatz für Frieden und Sicherheit weltweit sind wir jeden Tag aufs Neue gefordert, Gewissensentscheidungen zu treffen und Menschlichkeit und Mut unter Beweis zu stellen.

Das betrifft den aktiven dienstlichen Einsatz für Menschenrechte. Aber auch im Alltag ist jeder von uns gefordert, sich gegen Rassismus, Antisemitismus, Intoleranz und Hass einzusetzen.

Also: wo ist unsere Pflichterfüllung? Ich glaube, dass uns das die Ausstellung zeigt. Und wir können froh sein, dass wir heute weit weniger Mut brauchen als die, die uns hier vorgestellt werden.

Ich bin froh, dass Diplomatinnen und Diplomaten heute in den seltensten Fällen der Regierung den Gehorsam verweigern müssen, um nach ihrem Gewissen zu handeln, weil Menschlichkeit heute Leitschnur unserer Verfassung und des Gewissens der Regierungsmitglieder selbst zu sein hat. Vielen Dank noch einmal an alle, die diese Ausstellung möglich gemacht haben.

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