Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zur Eröffnung des Petersberger Klimadialogs

18.07.2022 - Rede

„In zehn Jahren ist mein Zuhause nicht mehr da.“

Das sagte mir vor wenigen Tagen ein Fischer, als ich an den so schönen Stränden von Palau stand.

Ich war nach Palau gereist, um zu sehen, wie wir dort unterstützen können beim Thema Umsiedelung – in den nächsten zwanzig oder dreißig Jahren.

Aber dann, dort am Strand, realisierte ich und hörte ich, dass das keine Frage der nächsten zwanzig oder dreißig Jahre ist – sondern der nächsten zehn Jahre.

Das ist die brutale Realität der Klimakrise – weil wir in der Vergangenheit nicht genug getan haben, um sie zu bekämpfen.

Jetzt müssen wir deshalb unsere Ambitionen verdoppeln – und uns unserer Verantwortung stellen.

Denn es geht nicht nur um Palau – und das wissen viele von Ihnen hier im Raum viel besser als ich:

Sie wissen, wie Stürme Inseln treffen, wie Wasser immer näher rückt an Dörfer, Krankenhäuser und Schulen.

Und wie in anderen Regionen wegen steigender Temperaturen Bäuerinnen und Bauern damit ringen, an Essen zu kommen. Wie Familien nicht wissen, was sie abends ihren Kindern zu essen geben sollen – weil das, was sie anbauen, zerstört worden ist.

Und auch hier in Europa, hier in Deutschland haben wir erst vergangene Woche der verheerenden Flut gedacht, die vor einem Jahr das Ahrtal verwüstet hat.

All das unterstreicht, dass es bei der Klimakrise nicht um die Zukunft geht – sondern dass sie uns hier und jetzt bedroht.

Für uns alle, von den Pazifikinseln über den Sahel bis nach Europa ist die Klimakrise die größte Herausforderung unserer Zeit.

Sie bedroht das Leben von Millionen von Menschen – und Frieden und Stabilität weltweit.

Sie ist die größte Herausforderung für internationale Sicherheit in unserer Zeit.

Deshalb veranstalten wir dieses Jahr den Petersberger Klimadialog erstmalig im Auswärtigen Amt, wo jetzt Deutschlands Klimaaußenpolitik federführend gestaltet wird. Für den Kampf gegen den Klimawandel setzen wir alle Hebel unserer Diplomatie in Bewegung.

Schön, dass Sie heute hier im Auswärtigen Amt und in Berlin sind – noch einmal herzlich willkommen!

Gemeinsam mit unseren ägyptischen Partnern haben wir intensiv daran gearbeitet, einen „Petersberg“ zu organisieren, der die Weichen für eine erfolgreiche COP 27 stellt.

Angesichts der globalen Lage ist das keine leichte Aufgabe.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine verschärft eine weltweite Energie- und Ernährungskrise, die Millionen von Menschen in Armut, Hunger und Elend abrutschen lässt.

Und während wir noch mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen haben, nimmt die Gefahr durch die Auswirkungen des Klimawandels auf der ganzen Welt immer weiter zu.

In dieser Situation verstärkt Deutschland seine Unterstützung für Formate, die Vertrauen bilden und multilaterale Zusammenarbeit fördern.

Das ist heute unser Ziel und unser Angebot an Sie alle – lassen Sie uns den diesjährigen „Petersberg“ nutzen, um Brücken zu bauen.

Wenn wir in die Zukunft blicken, bleiben uns nicht 30, 20 oder zehn Jahre – sondern nur noch acht Jahre, um die weltweiten Emissionen nahezu um die Hälfte zu senken – dazu haben wir uns in Glasgow verpflichtet.

Gleichzeitig müssen wir aber unser Augenmerk auch viel stärker auf die Auswirkungen des Klimawandels legen, die wir nicht verhindert haben.

Das schulden wir den Menschen, die schon jetzt überall auf der Welt unter den Folgen der Klimakrise leiden – auf den Pazifischen Inseln, im Sahel und in vielen anderen Regionen.

Deshalb war es uns wichtig, beim diesjährigen Petersberger Klimadialog den Themen Anpassung sowie Verlusten und Schäden die Aufmerksamkeit zu geben, die ihnen gebührt.

Wie ich meinen Gesprächspartnerinnen und -partnern in Palau vor wenigen Tagen gesagt habe: Wir als Industrieländer müssen unserer Verantwortung gerecht werden und die Zusagen einhalten, die wir in Paris gemacht haben.

Das bedeutet, endlich das 100-Milliarden-Dollar-Ziel für Klimafinanzierung zu erreichen.

Und es bedeutet, die gemeinsame Finanzierung für Anpassungsmaßnahmen im Vergleich zu 2019 zu verdoppeln.

Ich weiß, dass viele von Ihnen hier und auf der ganzen Welt da ganz genau hinschauen.

Die Industrieländer haben als große Emittenten eine besondere Verantwortung.

Deshalb wird Deutschland weiter seinen Teil leisten – mit eigenen Beiträgen und indem wir andere dazu bringen, Maßnahmen zu ergreifen und Transparenz walten zu lassen.

Unsere Sonderbeauftragte für internationale Klimapolitik, Jennifer Morgan, wird hier eng mit dem kanadischen Umwelt- und Klimaminister Steven Guilbeault zusammenarbeiten – bei der Erstellung des Fortschrittsberichts zum im vergangenen Jahr vorgelegten Delivery Plan für Klimafinanzierung.

Gleichzeitig wird mehr Geld allein nicht alle Probleme lösen.

Wir müssen auch ein System schaffen, das sichergestellt, dass Finanzmittel und Unterstützungsmaßnahmen bei den notleidenden Bevölkerungsgruppen und Menschen ankommen.

Viele von Ihnen arbeiten bei der Anpassung an den Klimawandel bereits an vorderster Front – und ringen mit verändertem Wetter und neuen Wachstumsperioden bei Erntepflanzen.

Deshalb wollen wir mit Ihnen zusammenarbeiten, um das Global Goal on Adaptation mit Leben zu füllen – indem wir uns auf globale und regionale Anpassungsprioritäten verständigen, etwa den Anbau von Pflanzen, die weniger Wasser brauchen, oder bewährte Verfahren, um Städte kühler zu halten.

Wir sollten auch Hand in Hand daran arbeiten, nationale Aktionspläne besser in finanzierbare Projekte umzusetzen – etwa indem wir auf Instrumenten wie dem Anpassungsfonds aufbauen, zu dem wir letztes Jahr 50 Millionen Euro beigetragen haben.

Und wir müssen bei der Unterstützung der Menschen vor Ort schneller werden. Oft dauert es Jahre, bis Finanzierungsanträge genehmigt werden – und noch länger, bis sie umgesetzt sind. Das ist viel zu lang!

Wir alle wissen aber auch, dass Anpassung nicht ausreicht – denn es gibt klimatische Auswirkungen, an die wir uns eben nicht anpassen können. Das ist die brutale Realität.

Verluste und Schäden sind Tatsachen, denen wir uns stellen müssen.

Es ist klar, dass wir uns ansehen müssen, wie wir die bestehende Unterstützungsarchitektur für Verluste und Schäden kohärenter machen – seien es Entwicklungszusammenarbeit, Katastrophenhilfe, humanitäre Hilfe oder das Sondieren von Finanzierungsmöglichkeiten.

Im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft haben wir erste Schritte in diese Richtung unternommen:

Als G7-Außenministerinnen und -minister haben wir vereinbart, die vorausschauende humanitäre Hilfe hochzufahren.

Mit dem globalen Schutzschild („Global Shield“) reichen die G7-Entwicklungsministerinnen und -minister ihren Gegenübern in gefährdeten Ländern die Hand, um Finanzierungs- und Versicherungslösungen im Zusammenhang mit Katastrophenrisiken auszuweiten.

Und wir werden die Bemühungen des UN-Generalsekretärs unterstützen, innerhalb der nächsten fünf Jahre alle Menschen durch Frühwarnsysteme zu schützen – damit sie sich rechtzeitig vor tödlichen Stürmen in Sicherheit bringen können.

All diese Initiativen werden Teil eines Maßnahmenpakets sein, auf das wir uns gemeinsam verständigen müssen, mit neuen Ansätzen – und ich denke, das haben wir in Glasgow gelernt – innerhalb und außerhalb des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC).

Dieses Paket wollen wir heute und auf dem Weg nach Scharm el-Scheich mit Ihnen diskutieren.

Gleichzeitig möchte sich niemand den Anpassungsdruck und die Verluste vorstellen, die drohen würden, wenn wir keine stärkeren Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels ergreifen.

Deshalb ist und bleibt die Dekarbonisierung unserer Volkswirtschaften und die Beschleunigung der globalen Energiewende unsere oberste Priorität.

Das heißt: Den Ausstoß von Treibhausgasen in allen Ländern schneller senken, insbesondere in allen großen Emittenten.

Und ich höre die Sorgen derjenigen, die uns fragen, ob die Staaten Europas und auch Deutschland jetzt wegen des russischen Krieges bei ihren Klimaverpflichtungen zurückrudern.

Und ich sage offen: Wir müssen kurzfristig schwere Entscheidungen treffen, die uns nicht gefallen, um unsere Abhängigkeit von russischem Gas und Öl zu verringern.

Wir müssen für einen kurzen Zeitraum Kohlekraftwerke als Reserve herrichten – aber nur als Notreserve.

Das bedeutet nicht, dass wir das 1,5‑Grad‑Ziel aufgeben.

Und es bedeutet auch nicht, dass wir in unserem Elan beim Ausbau der Erneuerbaren nachlassen. Im Gegenteil!

Das ist wahrscheinlich nicht, was Präsident Putin geplant hatte. Aber angesichts des Kriegs in der Ukraine kämpfen wir jetzt noch stärker für den Ausbau erneuerbarer Energien.

Russlands Krieg hat auch die letzten Skeptikerinnen und Skeptiker in Deutschland überzeugt, dass wir nur mit mehr erneuerbarer Energie und Energieeffizienz unsere Energiesicherheit gewährleisten können.

In diesen Zeiten bedeutet erneuerbare Energie auch „Freiheits-Energie“.

Deshalb hat diesen Monat der Bundestag das ehrgeizigste Erneuerbare‑Energien‑Gesetz seit Jahrzehnten beschlossen – Wind- und Solarenergie werden massiv beschleunigt und wir haben das Ziel gesetzt, dass bis zum Jahr 2030 mindestens 80% des verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen.

Darüber hinaus haben sich die Ministerinnen und Minister im Rat der Europäischen Union gerade auf ebenso ambitionierte Gesetzgebungsvorschläge geeinigt, um die „Fit für 55“-Agenda der EU voranzutreiben.

Mein Kollege, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck, wird morgen darüber sprechen.

Wir sehen erneuerbare Energien als den Weg, unsere Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten – aber natürlich bleibt die Energiewende für uns auch ein zutiefst kooperatives Unterfangen!

Wir stehen bereit, internationale Zusammenarbeit zu beschleunigen: bei Lieferketten für Erneuerbare, bei einem Weltmarkt für grünen Wasserstoff und bei Regulierung für Speicherung und Energieeffizienz.

Wie können wir beim Kühlen oder Heizen von Häusern und Wohnungen besser werden? Wie können wir unsere Kraftwerke und Übertragungsnetze effizienter managen? Wie schaffen wir es, dass Beschäftigte und Gemeinden, die vom Kohlebergbau leben, nicht abgehängt werden?

Mit diesen gleichen zentralen Fragen ringen wir alle – und wir müssen sie daher regelmäßig als Ministerinnen und Minister und im Mitigation Work Programme im Rahmen des UNFCCC diskutieren.

Deutschland ist zu einem Wissens- und Erfahrungsaustausch bereit, zum Beispiel innerhalb der Klima- und Energiepartnerschaften, an denen wir aktuell mit verschiedenen Partnern arbeiten.

Und nicht zuletzt müssen wir für eine schnellere Energiewende Finanzflüsse in Richtung Klimaneutralität umlenken.

Dafür sollten Entwicklungsbanken noch stärker in Wind und Sonne investieren.

Und das „Nitty-Gritty“ bei technischen Details muss stimmen: Öffentliche Rahmenbedingungen und Steuersysteme müssen dafür sorgen, dass Gelder in grüne Investitionen fließen.

Und wir müssen den Privatsektor dazu bringen, sich noch stärker zu beteiligen, denn mit öffentlichen Geldern allein werden sich unsere Volks- und Energiewirtschaften nicht umbauen lassen.

Meine Damen und Herren,

die Klimakrise trifft uns jetzt schon schwer.

Zuvorderst in Staaten wie Palau oder Niger – und in so vielen Ländern, die Sie heute hier repräsentieren.

Für uns war es deshalb wirklich wichtig, heute eine vielfältige globale Gemeinschaft hier an diesem Tisch zu versammeln, die für das 1,5 Grad-Ziel kämpft.

Wir können die Auswirkungen des Klimawandels, die wir jetzt schon sehen, nicht mehr ignorieren.

Wir müssen uns an die Folgen des Klimawandels anpassen – und für Schäden aufkommen, die er schon verursacht hat.

Denn wir müssen an der Seite der Kinder, Frauen und Männer stehen, die heute schon überall auf der Welt leiden.

Das ist unsere gemeinsame Aufgabe auf dem Weg zur COP27.

Es liegt an uns – wir sind heute hier, um etwas zu bewegen.

Und ich danke Ihnen allen, dass Sie dafür zu uns gekommen sind.

Schlagworte

nach oben