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„Es wird keinen Weg zurück geben“ - Außenministerin Baerbock zu Russland in der ZEIT

08.09.2022 - Namensbeitrag

Namensbeitrag von Außenministerin Annalena Baerbock in der ZEIT

Kein Tag als Außenministerin hat sich mir so sehr ins Gedächtnis gebrannt wie der 24. Februar 2022. Ich hatte die Nachricht seit Tagen befürchtet, aber an diesem Morgen wurde sie grausame Gewissheit: Russland ist in die Ukraine einmarschiert – im eklatanten Bruch mit unserer europäischen Friedensordnung.

Dieser Tag hat die Welt verändert.

Seit sechs Monaten geht es für die Menschen in der Ukraine jeden Tag um Leben und Tod, um das Überleben ihrer Familien und ihrer Heimat.

Seit sechs Monaten setzt Russland die Verknappung von Energie und Getreide als Waffe ein und instrumentalisiert dadurch die Ärmsten dieser Welt.

Seit sechs Monaten zeigt Moskau unverhohlen: Es will die Welt in Einflusssphären aufteilen und unsere Gesellschaften mit gezielter Desinformation spalten.

Wir müssen der Realität ins Auge blicken: Dieses Russland wird absehbar eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa bleiben.

Dieser Satz mag hart klingen. Auch ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass dieser Krieg endlich aufhört. Dass Menschen nicht mehr bei Raketenschlägen auf Bahnhöfen sterben, dass ukrainische Kinder nicht mehr tausende Kilometer von ihrer Heimat entfernt neu eingeschult werden müssen. Und dass sie ihren Vätern in der Ukraine endlich wieder um den Hals fallen können.

Dieser Wunsch treibt mich an, jeden Tag. Aber dieser Wunsch alleine wird der Ukraine keinen Frieden bringen.

Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 dachten viele, dass Putin irgendwann aufhören würde – letztlich vergeblich. Dieses Prinzip Hoffnung haben tausende Ukrainerinnen und Ukrainer – und auch viele junge russische Soldaten, die gegen ihren Willen in diesem Krieg kämpfen – mit ihrem Leben bezahlt. Wir haben gegenüber diesen Opfern die Verantwortung zu handeln.

Was wir erleben, ist ein Zusammenprall zweier Weltbilder. Auf der einen Seite Länder, die an eine regelbasierte internationale Ordnung glauben. Auf der anderen Seite aggressiv-autoritäre Regime, die ihre eigene Bevölkerung unterdrücken und andere mit imperialen Mitteln unterwerfen wollen.

Finnland und Schweden wollten nie in die Nato. Jetzt treten sie unserem Bündnis bei, weil sie Sorge haben vor Putins Russland.

Was wäre es für ein Signal an autoritäre Staaten, wenn wir keine Sanktionen erlassen und keine Waffen geliefert hätten? Dass wir akzeptieren, wenn ein Regime seinen Nachbarn überfällt? Kein kleineres Land wäre mehr sicher!

Deshalb werbe ich, zusammen mit meiner französischen Amtskollegin, in der EU für eine strategische Neuausrichtung der europäischen Russland-Politik, konkret in vier Bereichen.

Erstens: Wir lassen bei der Unterstützung der Ukraine nicht nach. Wir treten der russischen Aggression dauerhaft entgegen. Und wir machen weiter deutlich: Wer so massiv Regeln bricht, ist international isoliert.

Sanktionen sind kein Selbstzweck, sondern Ausdruck dafür, dass Brutalität und Regelbruch Konsequenzen haben. Im Winter in die Ukraine einmarschieren und im Sommer seine Mannschaft zur Fußball-EM nach England schicken wollen, so als wäre nichts gewesen: Das funktioniert nicht.

Wir beschneiden mit unseren Sanktionen langfristig nicht nur Moskaus wirtschaftliche, sondern vor allem auch seine militärischen Fähigkeiten.

Zweitens: Wir stärken Europas Wehrhaftigkeit. Indem wir in moderne Technologie und Ausrüstung investieren, unsere europäischen Verteidigungsindustrien besser koordinieren und den europäischen Pfeiler der NATO stärken.

Putin hat es zudem auf unseren gesellschaftlichen Frieden abgesehen. Deshalb muss unsere Gesellschaft auf allen Ebenen resilienter werden. Wir wehren uns, wenn Russlands Troll-Armeen versuchen, unsere Wahlen zu unterminieren und Hacker unsere Unternehmen angreifen: Mit einer besseren Zusammenarbeit unserer Geheimdienste und einer gemeinsamen Cyberabwehr.

Dass wir zu verwundbar waren, spüren wir schon jetzt: Unsere Bürgerinnen und Bürger bezahlen mit ihren Gasrechnungen den bitteren Preis für unsere jahrelange Abhängigkeit. Deshalb arbeiten wir daran, so schnell wie möglich wegzukommen von russischem Gas und fossiler Energie. Unser stärkster Schutzschild gegen Moskaus Machtspiele mit Kohle, Gas und Öl ist die gezielte Unterstützung der Menschen, die Sorge haben, im Winter ihre Wohnungen nicht mehr heizen zu können. Zugleich ist jeder Cent für Solarzellen, Windparks und grüne Wasserstoffanlagen eine Investition in unsere Sicherheit.

Drittens: Wir müssen gezielter als je zuvor in unsere Partnerschaften weltweit investieren. Unsere Botschaft ist: Wir hören euch. Wir stehen an eurer Seite.

Dafür müssen wir vor allem unsere Nachbarschaftspolitik im Osten strategischer denken. Zu lange haben wir zum Beispiel auf dem Balkan die Hoffnungen der Menschen enttäuscht. Osteuropa ist nicht Russlands Hinterhof. Dass die Ukraine, Moldau und Georgien den Weg in die EU gehen, ist in unserem ureigenen Interesse.

Aber auch außerhalb Europas versucht Putin, seinen Einfluss auszudehnen. Dabei zielt Putins Propaganda-Maschine besonders auf die Länder des Globalen Südens. Er schickt Söldnertruppen nach Mali, die Menschenrechte mit Füßen treten. Er nimmt in Kauf, dass durch seinen Kornkrieg unzählige Männer, Frauen und Kinder am Horn von Afrika zu verhungern drohen; zugleich streut er die Falschbehauptung, dass dies Folge der Sanktionen sei – obwohl es keine Sanktionen auf Getreide gibt.

Diese Lügen entlarven wir, indem die EU laut, ehrlich und mit einer Stimme kommuniziert – und indem sie aktiv zur Ernährungssicherheit der Länder des globalen Südens beiträgt. Russlands Unterstützung beispielsweise in Afrika ist im Vergleich zur EU minimal. Was wir bieten, sind verlässliche Partnerschaften und faire Investitionen – statt militärischer Abhängigkeiten und Knebelverträge.

Gleichzeitig müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es Länder gibt, die seit Jahrzehnten auf Russland angewiesen sind, zum Beispiel in Zentralasien. Auch diesen Ländern sollten wir zuhören und ihnen alternative Angebote machen. Sonst bleibt die Forderung, dass sich andere Nationen mit uns gegen den russischen Völkerrechtsbruch stellen, ein leerer Appell.

Viertens: Wir überlassen die russische Zivilgesellschaft nicht dem Würgegriff des Regimes. Deshalb wollen wir Kanäle nutzen, auf denen sich junge Menschen in Russland noch mit objektiven Informationen versorgen können. Plattformen wie TikTok oder Telegram sind dafür im Zweifel effektiver als Formate wie der Petersburger Dialog, bei denen wir auch auf staatliche Strukturen in Russland angewiesen sind.

Die russische Diaspora vernetzen wir weiter und fördern unabhängige NGOs. Wir erteilen gezielt Stipendien und Arbeitserlaubnisse und unterstützen russischsprachige Journalistinnen und Journalisten dabei, frei über Russland zu berichten. Auch die Visa-Erteilung sollten wir differenziert betrachten statt sie komplett zu stoppen – gerade für Opfer staatlicher Repression.

All dies wird Putins Weltbild nicht verändern. Aber im Falle des größten Bruchs mit internationalen Regeln, wie dem Angriff auf die Ukraine, muss die EU Farbe bekennen.

Wir schützen mit diesen Maßnahmen die Opfer der russischen Aggression – und wir schützen uns selbst: wir machen die EU langfristig wehrhaft gegenüber Putins Russland, und wir investieren in unsere Partnerschaften weltweit.

Am 24. Februar hat der russische Krieg unsere Welt verändert. Es wird keinen Weg zurück geben. Aber es gibt einen klaren Weg nach vorn, den wir entschlossen, besonnen und solidarisch gehen müssen.

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