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„Jede einzelne Frau mehr in der Politik zählt“ - Außenministerin Annalena Baerbock im Interview mit der Rheinischen Post

07.03.2023 - Interview

Frage: Frau Baerbock, was glauben Sie, warum sind Frauen politisch immer noch deutlich unterrepräsentiert?

Außenministerin Baerbock: Das hat verschiedene Gründe, historische wie strukturelle. Zurückblickend waren in Westdeutschland Frauen oft nicht berufstätig, und entsprechend schwierig war es für Frauen auch in der Politik. Man kann sich das ja kaum noch vorstellen, aber noch bis 1977 mussten es sich verheiratete Frauen in Westdeutschland von ihrem Mann genehmigen lassen, wenn sie arbeiten wollten. Aber auch heute noch stehen Frauen viele Hindernisse im Weg, zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das gilt auch für den Politikbetrieb mit seinen ständig schwankenden Arbeitszeiten und den in vielen Parlamenten noch unzulänglichen Regeln für Elternzeit und Mutterschutz. Darunter leiden zwar auch Männer, aber Frauen deutlich mehr. Und anstatt die Rahmenbedingungen zu verbessen kommt dann oft die Frage: eine Frau mit kleinen Kindern im Parlament, schafft die das überhaupt?

Frage: Gibt es im politischen Alltag immer noch Unterschiede in der Behandlung von Männern und Frauen?

Außenministerin Baerbock: Im Alltag erlebt man immer noch, dass bei Frauen im politischen Streit oftmals eine zusätzliche, sexistische Angriffsebene dazukommt, insbesondere, wenn dem männlichen Gegenüber die Argumente ausgehen: Dann ist mal die Stimme „zu hoch“, mal sind Frauen „zu emotional“, „zu jung“ oder „zu unerfahren“. Das sind Fragen, denen sich Männer so schlicht nicht stellen müssen. Und was vor allem Politikerinnen an Hass und Hetze im Netz aushalten müssen, ist widerlich. Es überrascht nicht, wenn bei dieser Gemengelage noch viel zu viele Frauen davor zurückschrecken, für ein politisches Amt zu kandidieren.

Frage: Welche Auswirkungen hat dieses Ungleichgewicht auf politische Entscheidungen?

Außenministerin Baerbock: Sie sind eindeutig schlechter. Das sieht man insbesondere an dem Zustand der Schulen und Kitas in unserem Land. Wenn Väter und vor allem Mütter mit kleinen Kindern eine absolute Minderheit im Parlament sind, dann stehen Familien leider nicht an allererster Stelle von politischen Entscheidungen. Das haben Eltern insbesondere in Corona-Zeiten bitter erfahren müssen.

Frage: Wie kann politisches Engagement auch für Frauen attraktiver werden?

Außenministerin Baerbock: Wir müssen an die Strukturen ran, Frauen aktiv fördern und Sexismus einen Riegel vorschieben. Jede einzelne Frau mehr in der Politik zählt. Ich erlebe gerade auch auf Reisen in anderen Ländern, wie wichtig es für junge Frauen zu sehen ist, dass auch eine Vierzigjährige hohe Regierungsämter bekleiden kann. Das habe ich selbst erlebt. Ohne Angela Merkel als Bundeskanzlerin, weiß ich nicht, ob ich heute Außenministerin und Nancy Faeser Bundesinnenministerin wäre. Es braucht immer Frauen, die die Türen aufstoßen.

Frage: Ist eine Frauenquote die Lösung?

Außenministerin Baerbock: Ja. Gäbe es im Bundestag nicht Parteien mit einer Frauenquote, dann hätten wir statt den jetzt immer noch traurigen 35 Prozent noch weniger Frauen im Parlament und es säße vielleicht nur auf jedem fünften Platz eine Frau. Eine Frauenquote im Parlament wäre nichts revolutionäres, es gibt sie in der Mehrheit der Länder Lateinamerikas. Wir können hier noch einiges von anderen Ländern lernen.

Interview: Julia Stratmann

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