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Statement von Außenministerin Annalena Baerbock beim virtuellen High Level Ministerial Event zur humanitären Lage in Afghanistan

31.03.2022 - Rede

Vor kurzem habe ich mich mit einer Frauenrechtsaktivistin aus Afghanistan getroffen. Sie beklagte, dass die Taliban den Frauen im Land ihre Rechte wieder entziehen. „Es ist, als ob alle Fortschritte, die wir erzielt haben, aus Eis gemacht waren. Dieses Eis wurde in die Sonne gestellt und nun schmilzt alles dahin.“ So hat sie es beschrieben.

Was wir in diesen Tagen in Afghanistan erleben, unterstreicht diese düstere Einschätzung:

Letzte Woche wollten die afghanischen Mädchen voller Ungeduld zurück in ihre Klassenzimmer; sie wollten zurück zu ihren Büchern, ihre Ausbildung wieder aufnehmen und ihre Klassenkameradinnen wiedersehen. Doch als sie in ihren Schulen ankamen, wurden sie wieder nach Hause geschickt. Es hat mir das Herz gebrochen zu sehen, wie die Mädchen vor ihren geschlossenen Schulen weinten.

Aber es hat mir auch Mut gemacht zu sehen, dass viele von ihnen unerschrocken auf die Straße gegangen sind, um für ihr Recht auf Bildung zu demonstrieren. Gemeinsam mit unseren Partnern rufen wir die Taliban eindringlich auf, gleichberechtigten Zugang zu Bildung zu gewähren, und zwar überall im Land. Die Notlage der Mädchen veranschaulicht auf düstere Weise das Leid der Menschen in Afghanistan. Die humanitäre Krise, die die afghanische Bevölkerung durchlebt, zählt zu den schwersten der Welt.

Nach der schlimmsten Dürre in 30 Jahren sind jetzt 23 Millionen Menschen von Hunger bedroht. Die Machtübernahme der Taliban hat die afghanische Wirtschaft schwer getroffen, während die Pandemie gleichzeitig die Krankenhäuser an ihre Grenzen gebracht hat. Und nach Jahren der Gewalt und des Krieges bleiben Millionen Kinder, Frauen und Männer Flüchtlinge im eigenen Land.

Deshalb muss die internationale Gemeinschaft ihre humanitäre Unterstützung für Afghanistan verstärken. Und sie muss an der Seite der Nachbarländer stehen, wo zahlreiche Afghaninnen und Afghanen Zuflucht gesucht haben. Aus diesem Grund wird Deutschland zusätzliche 200 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für die Menschen in Afghanistan zur Verfügung stellen.

Wir unterstützen außerdem die gemeinsame Aufforderung von Martin Griffiths und unseren humanitären Partnern:

Die Taliban müssen Akteuren der humanitären Hilfe ungehinderten Zugang verschaffen und ihre Sicherheit gewährleisten. Und sie dürfen die humanitäre Hilfe nicht einschränken. Es ist inakzeptabel, dass es beispielsweise dem Welternährungsprogramm derzeit nicht möglich ist, die Provinzen Kabul, Kandahar und Ghor mit lebensrettenden Nahrungsmitteln zu versorgen.

Ich bewundere den Mut aller humanitären Helferinnen und Helfer in Afghanistan: Sie retten Leben, jeden Tag. Wir verpflichten uns dazu, ihre Arbeit zu unterstützen, denn wir sind dem afghanischen Volk verpflichtet.

Über die humanitäre Unterstützung hinaus wird unser Engagement in Afghanistan jedoch von den Taten der Regierung der Taliban abhängen. Wir werden sie an diesen Taten messen, nicht an ihren Worten.

Die Taliban kennen unsere Erwartungen: Sie müssen die Menschenrechte achten, eine inklusive Regierung bilden und den Terrorismus bekämpfen. Kein Land kann sich weiterentwickeln und gedeihen, wenn Frauen und Mädchen vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sind.

Die Fortschritte, die die Frauen und Mädchen Afghanistans in den letzten zwei Jahrzehnten errungen haben, dürfen nicht einfach fortgespült werden wie Eis, das in der Sonne dahinschmilzt.

Sie sollten unerschütterlich sein. Das ist unser eindringlicher Appell an die Taliban. „Bildung ist unser Grundrecht und kein politisches Unterfangen“: Das stand auf dem Plakat eines Mädchens, das letzte Woche in Kabul demonstrierte.

Als deutsche Außenministerin und als Mutter zweier Töchter kann ich dem nur zustimmen.

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