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Rede von Außenminister Heiko Maas im Deutschen Bundestag zum Brexit

09.11.2018 - Rede

Es kommt eigentlich nicht so oft vor, dass man Gesetze einbringen muss, die man am liebsten gar nicht einbringen würde. In diesem Fall ist es aber so. Das hat einen Grund: Ich glaube, nicht nur ich, sondern ganz viele hier und in ganz Deutschland bedauern den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Aber letztlich akzeptieren wir natürlich die Entscheidung, die die britische Bevölkerung getroffen hat, und setzen uns mit den Konsequenzen auseinander.

Das heute vorliegende Brexit-Übergangsgesetz ist eine dieser Konsequenzen. Dieses Gesetz schafft Rechtsklarheit für die Bürgerinnen und Bürger und für Unternehmen während der geplanten Übergangsphase bis Ende 2020. Neben diesem Gesetz werden wir in nächster Zeit weitere Gesetze vorlegen - auch für den Fall, dass das Vereinigte Königreich am Ende ohne Abkommen austreten wird.

Um es an dieser Stelle einmal ganz klar zu sagen: Natürlich will die Bundesregierung eine Einigung, und das will auch die Europäische Kommission. Wir arbeiten zusammen mit der Europäischen Kommission mit Nachdruck darauf hin, und ich bin optimistisch, dass uns das auf den letzten Metern gelingen wird. Wir sind nämlich auf den letzten Metern; egal ob es jetzt 90 Prozent oder 95 Prozent sind, die bereits in einem Kompromiss ausverhandelt sind, darunter auch durchaus schwierige Teile wie die Rechte der Bürger und die Frage der finanziellen Entflechtung. Das alles sind Fortschritte, die sich in den letzten Tagen noch weiterentwickelt haben. Ich bin zuversichtlich, dass es am Ende zu einem Austritt des Vereinigten Königreiches mit einem Abkommen kommt. Das ist gut für alle Beteiligten.

Der schwierigste Punkt bleibt - das ist hier nicht unbekannt - die Grenzfrage auf der irischen Insel. Das ist deshalb schwierig, weil es eben nicht nur um wirtschaftliche oder Zollfragen geht, sondern letztlich um den vor 20 Jahren mühsam errungenen Frieden in Nordirland. Nordirland verdankt diesen Frieden der Europäischen Union und ihren offenen Grenzen. Alle Seiten wissen das und sind sich auch ihrer Verantwortung für den Erhalt dieses Friedens bewusst - in Europa, aber natürlich vor allen Dingen in Irland und in Nordirland, also im Vereinigten Königreich. Am Ende muss daher ein Austrittsabkommen stehen, das den Frieden in Nordirland, gleichzeitig aber auch - und das ist die eigentliche Problematik - die Integrität des Binnenmarktes als Fundament der Europäischen Union wahrt.

Dabei steht eines völlig außer Frage: Der Brexit darf nicht das Ende unserer Partnerschaft mit unseren britischen Freundinnen und Freunden bedeuten. Das Vereinigte Königreich bleibt Teil unserer Werte- und Handlungsgemeinschaft in Europa, und dieses Europa steht mit oder ohne Großbritannien vor immensen Herausforderungen. Ich denke an die Konflikte in unserer Nachbarschaft, ich denke an den künftigen Umgang mit den USA, mit Russland oder mit China, ich denke an den Terrorismus oder die Bedrohungen für die innere Sicherheit. Wir brauchen auch künftig eine außen- und sicherheitspolitische Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich, die so eng und so weitreichend ist, wie dies außerhalb der Europäischen Union nur möglich ist. Deshalb arbeiten wir schon jetzt parallel mit den entsprechenden Vertretern der britischen Regierung daran.

Gleiches gilt auch für die Handelsbeziehungen. Natürlich werden diese ganz unvermeidbar weniger eng sein, als das heute der Fall ist. Irgendwo muss sich dieser Austritt ja auch bemerkbar machen. Letztlich setzen wir aber alles daran, unnötige Schranken und Hürden zu vermeiden und gleichzeitig den Binnenmarkt und die Wettbewerbsfähigkeit auch unserer Wirtschaft in diesen Verhandlungen zu schützen. Das muss auch ein Teil der Ergebnisse sein.

Für die Europäische Union geht es nicht allein um ihr künftiges Verhältnis zum Vereinigten Königreich. Es geht auch um Glaubwürdigkeit, und es geht, ja, letztlich auch um die Zukunft des gemeinsamen europäischen Projektes. In zwei Tagen, am 11. November, werden überall in Europa die Glocken läuten und uns das Ende des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren noch einmal vor Augen führen. Dieses gemeinsame Gedenken erinnert uns aber auch daran, was die Antwort auf die dunkelsten Kapitel des vergangenen Jahrhunderts gewesen ist, nämlich Europa.

Unsere Antwort auf die Globalisierung, den Klimawandel, die demografische Entwicklung, die Migration liegt nicht in der Rückbesinnung auf den Nationalstaat. Unser nationales Interesse definiert sich eben nicht in Abgrenzung zu unseren Nachbarn. Nur gemeinsam mit ihnen werden wir unsere Werte und Interessen in einer Welt, in der zunehmend wieder das Recht des Stärkeren gilt, durchsetzen können.

Dafür, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen wir das bewahren, wovon frühere Generationen nur träumen konnten, nämlich ein einiges Europa.


Herzlichen Dank.

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