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Rede von Staatsminister Niels Annen anlässlich des Foreign Policy Lunchs des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VKI)

17.09.2019 - Rede

„Alexander von Humboldt 2.0 – Was Deutschland heute in Lateinamerika entdecken kann“

-- es gilt das gesprochene Wort --

Alexander von Humboldt, dessen 250. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, hat Lateinamerika seinerzeit nach den damals modernsten naturwissenschaftlichen Kriterien vermessen. Er hat damit einen völlig neuen Blick freigelegt v.a. für den enormen natürlichen Reichtum der Region und für die Regelhaftigkeit der Natur.

Humboldt hat in einer Epoche großen Fortschrittsglaubens gelebt. Bildung galt als hohes Gut, Universalgelehrtentum wurde gefeiert. Sein Bruder gründete eine Universität, die Naturwissenschaften erfreuten sich besonders großer Beachtung. Alexander von Humboldt wollte allen Dingen auf den Grund gehen. Er war überzeugt davon, dass alles mit allem zusammenhänge, suchte die neuesten Messinstrumente zusammen und vermaß damit die Neue Welt.

Die Ergebnisse seiner Forschung faszinieren und beschäftigen uns noch heute. Deshalb hat das Auswärtige Amt das Jubiläum zum Anlass genommen, 2019 unter der Schirmherrschaft des Herrn Bundespräsidenten gemeinsam mit dem Goethe-Institut und vielen kompetenten Partnern eine umfassende Themensaison in Lateinamerika und der Karibik zu veranstalten.

Diese Vorhaben sind ein deutliches Signal, dass Deutschland den Beziehungen mit Lateinamerika und der Karibik und den von Humboldt vertretenen Werten einer toleranten, interdisziplinären Begegnung der Weltkulturen hohe Bedeutung beimisst. Erneuert werden die Kernbotschaften Humboldts von gegenseitigem Verständnis und Toleranz, Nachhaltigkeit, Innovation und Zukunftsgewandtheit und transdisziplinärer Vernetzung und Wissensaustausch.

Der Titel dieser Veranstaltung „Humboldt 2.0“ passt vor diesem Hintergrund gut. Alexander von Humboldts 250. Geburtstag bietet die Gelegenheit einer neuen Vermessung. Die Zusammenhänge sind heute komplexer, die Welt eine andere. Aber am Anfang sollte die Frage stehen: In was für einer Epoche leben wir heute? Was prägt das Gesicht unserer Zeit?

Wenn wir die außenpolitische Brille aufsetzen, fallen mir folgende vier Stichpunkte ein:

Geopolitischer Umbrüche:
Chinas Vormarsch und Amerikas Rückzug auf dem internationalen Feld zwingen uns dazu, noch mehr als zuvor nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten und mit ihnen enger als zuvor zusammenzuarbeiten. Das ist gemeint, wenn von einer Allianz für den Multilateralismus die Rede ist.

Systemkonkurrenz:
Der augenscheinliche wirtschaftliche Erfolg Chinas und anderer autoritärer Systeme setzt die Demokratie als Regierungsmodell unter Druck. Wir aber haben ein genuines Interesse am Erfolg von Demokratien.

Protektionismus und Handelskonflikte: Beides gefährdet den regelbasierten Freihandel und somit unsere Interessen.

Dimension globaler Herausforderungen: Klimawandel, Umweltzerstörung, Ernährungssicherheit und digitaler Wandel, um nur einige zu nennen.

Meine Damen und Herren,
wenn wir von geopolitischen Umbrüchen sprechen, erkennen wir in Lateinamerika und der Karibik viele natürliche Partner. Die meisten von ihnen sind an einer regelbasierten Welt sehr interessiert. Ihnen ist klar: In einer Welt, in der das Recht des Stärkeren über die Stärke des Rechts triumphiert, können sie – und im Übrigen auch Deutschland – nur verlieren.

Wenn wir von Systemkonkurrenz sprechen, finden wir in Lateinamerika und der Karibik natürliche Verbündete: Es ist nach Europa die Weltregion mit den meisten Demokratien.

Wenn wir über Protektionismus sprechen, müssen wir uns gemeinsam mit den Partnern in der Region für den regelbasierten Freihandel einsetzen.

Und wenn wir über globale Herausforderungen wie den Klimawandel sprechen, kommen wir an Brasilien und den anderen Ländern Lateinamerikas und der Karibik nicht vorbei. Wir müssen im Gespräch mit ihnen bleiben.

Humboldt 2.0 würde also, um im Bild zu bleiben, als Kind seiner Epoche Lateinamerika und die Karibik vermutlich als außerordentlich interessanten und wichtigen Partner für eine Vertiefung und Verbreiterung unserer internationalen Beziehungen ansehen.

Meine Damen und Herren,
genau da setzt die Lateinamerika-und-Karibik-Initiative von Bundesaußenminister Maas an: Wir wollen aus den genannten Gründen die Beziehungen mit Lateinamerika und die Karibik auf eine neue Ebene heben.

Ende Mai dieses Jahres fand eine große Konferenz in Berlin statt, bei der die Themen, die ich stichwortartig genannt habe, im Kreis von 29 teilnehmenden Staaten aus der Region intensiv behandelt wurden.

Ich darf Ihnen berichten: Das Interesse auf lateinamerikanischer und karibischer Seite an einem verstärkten Engagement Deutschlands ist sehr groß:

Diese Region sucht die Partnerschaft mit uns als interessante Option neben der Partnerschaft mit China und/oder den USA.

Wir gelten als Schlüsselstaat in der Europäischen Union und als Partner, der dort im Sinne Lateinamerikas und der Karibik „etwas bewegen“ kann. Das wollen wir auch tun, nicht zuletzt während unserer EU-Ratspräsidentschaft im 2. Halbjahr 2020.

Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bedingen einander. Unsere Erfahrungen mit Rechtsstaatlich-keit sind für viele Länder der Region von hohem Interesse. Der gegenseitige Austausch hierüber hat bereits eine längere Tradition. Zu unserer Rechtsstaatszusammenarbeit gehören die Themen Rechtssicherheit, die Verhinderung von Machtmissbrauch und Willkür, Gleichheit vor dem Gesetz und das Diskriminierungsverbot sowie der Zugang zu unabhängigen Gerichten und fairen Verfahren für jedes Individuum. All diese Themen interessieren natürlich auch deutsche Unternehmen, denn Sie brauchen für Ihre unternehmerische Tätigkeit ein berechenbares Geschäftsumfeld.

Für Lateinamerika und die Karibik ist Deutschland natürlich als Wirtschaftspartner besonders interessant. Das Thema Wirtschaftskooperation wurde auf der Lateinamerika-und-Karibik-Konferenz intensiv behandelt. Sprecher waren unter anderem die Außenminister von Mexiko und Argentinien, der Präsident der interamerikanischen Entwicklungs-bank, Siemens-CEO Joe Kaeser, Vertreter deutscher Unternehmensverbände und die Exekutivsekretärin der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik.

Zusammenfassend: Man schätzt Deutschland als Wirtschaftspartner. Die Zusammenarbeit hat Tradition. Die ersten deutschen AHKs in Lateinamerika und der Karibik sind zwar nicht so alt wie der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller, kommen aber auch auf über 100 Jahre.

Meine Damen und Herren,
auf der Konferenz Ende Mai hatten wir Gelegenheit zu einem offenen Gespräch: Die Außenminister Lateinamerikas und der Karibik haben sich sehr klar dazu geäußert, in welchen Handlungsfeldern sie an einer Vertiefung interessiert sind: Investitionen, Technologietransfer sowie eine tatkräftige Unterstützung für einen raschen Abschluss des EU-Mercosur-Abkommens.

Aber es gibt auch Defizite auf der Seite Lateinamerikas und der Karibik. Sie wurden auf der Konferenz ebenfalls klar von Seiten des BMWi (Staatssekretär Nussbaum) angesprochen: Handel und ausländische Investitionen brauchen Stabilität und Verlässlichkeit, gute Regierungsführung, eine Produktivitätssteigerung und ein höheres Maß an regionaler Integration.

Wie geht es mit der LAK-Initiative weiter?

Zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bleiben wir im Gespräch und schließen völkerrechtliche Verträge: Von EU-Mercosur, über das EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit CARIFORUM, bis hin zu verschiedenen bilaterale Assoziierungs- und Freihandelsabkommen.

Diese Abkommen tragen wesentlich zur Integration und zur von der Wirtschaft benötigten Ruhe und Verlässlichkeit bei. Gerade diese Vorteile müssen wir uns bei der Beurteilung des EU-Mercosur-Abkommens vor Augen halten, über das in diesen Tagen und Wochen so viel geschrieben und gesagt wurde. Das Assoziierungsabkommen regelt nicht nur den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen mit einem großen Markt, dessen derzeitige Handelsbarrieren zu den höchsten weltweit zählen. Es stärkt ebenso die Regelbasiertheit des Freihandels, u.a. mit verbindlichen Standards für Arbeitnehmerrechte, Verbraucher- und Umweltschutz. Nachhaltigkeit spielt eine zentrale Rolle bei unserer Bewertung des Abkommens.

Mit einem zukünftigen Inkrafttreten bietet das Assoziierungsabkommen einen wichtigen Hebel zur stärkeren Bindung der Partner aus den MERCOSUR-Staaten an multilaterale Umwelt- und Klimaabkommen, z.B. an das Pariser Klimaübereinkommen mitsamt seinen Vereinbarungen zur Verringerung von Treibhausgasemissionen und zur Beendigung der illegalen Abholzung von Wäldern.

Um es klar und deutlich zu sagen: Brasilien ist am EU-Mercosur-Abkommen sehr interessiert. Es waren die Brasilianer, die 20 Jahre nach Verhandlungsbeginn wichtige Schritte nach vorne gewagt haben. Jetzt steht eine politische Einigung im Grundsatz. Ein Ausscheren aus dem Übereinkommen von Paris, also dem Klimaübereinkommen, ist jetzt nur noch zum Preis eines Scheiterns des EU-Mercosur-Abkommens möglich. Somit ist das EU-Mercosur-Abkommen gewissermaßen ein Garant für das Pariser Übereinkommen.

Es ist keine Frage, dass die Öffentlichkeit hier weiterhin Informationsbedarf hat. Ich finde es sehr gut, dass auch die Wirtschaftsverbände das Ihre tun, um der interessierten Öffentlichkeit diese Zusammenhänge zu erläutern.

Meine Damen und Herren,
mit Blick auf die erwähnte Produktivitätssteigerung müssen wir feststellen, dass – um einen Indikator zu nennen – nur 0,6% der weltweiten Patente aus LAK angemeldet werden. Deutschland ist da weitaus besser aufgestellt. Deswegen wollen wir im Dialog mit den Ländern der Region die Forschungskooperation stärken.

Darüber hinaus wollen wir uns in weiteren Projekten mit Lateinamerika und der Karibik engagieren, von der Förderung von Fragen von Wirtschaft und Menschenrechten, also der Gewährleistung bestimmter Standards, über die Förderung Erneuerbarer Energien und Energieeffizienz, gemeinsame Vorhaben zur Rechtsstaatszusammenarbeit bis hin zu Maßnahmen, die jenseits der Förderung der Wirtschaftsbeziehungen liegen.

Ein Beispiel, das ich hier erwähnen möchte, gehört in den Bereich der Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften. Das Auswärtige Amt hat die Gründung eines deutsch-lateinamerikanischen Frauennetzwerks in die Wege geleitet und unterstützt es tatkräftig, indem es eine Kommunikationsplattform für die Netzwerkmitglieder zur Verfügung stellen wird, Projekte finanzieren und auch einen Preis für Frauenrechte und Demokratie ausloben wird. Wir tun das, weil wir davon überzeugt sind, dass Gesellschaften friedlich miteinander umgehen, wenn Männer und Frauen in den Gesellschaften friedlich miteinander umgehen.

Ich erwähne dieses Beispiel auch deshalb, weil ich weiß, dass der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller sich intensiv mit der Rolle von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft befasst und einen eigenen Ausschuss dafür eingerichtet hat. Hier sind wir auf gleicher Linie.

Erlauben Sie mir abschließend noch die persönliche Bemerkung, dass ich mich der Region schon seit meiner Schulzeit eng verbunden fühle und ich dort auch jenseits von Wirtschaftsdaten und geopolitischen Überlegungen viel Interessantes entdeckt habe. Lateinamerika ist eine Region, die Humboldt 1.0 ebenso fasziniert hat wie unzählige Deutsche und Europäer nach ihm.

In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns allen eine anregende Diskussion.

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