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„Hüten wir uns vor Antiamerikanismus!“

13.12.2018 - Interview

Staatsminister Niels Annen im Interview mit dem Hamburger Abendblatt zu Multilateralismus, die transatlantischen Beziehungen und Europa.

Die Welt, so sagte es der einstige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, ist aus den Fugen. Ist Besserung in Sicht?

Auf jeden Fall. Wir dürfen bei allen Problemen den Optimismus nicht verlieren. Die Zahl der Menschen, die in absoluter Armut lebt, geht beispielsweise zurück. Die Gesundheitsversorgung ist ebenfalls weltweit besser geworden. Und bei allen Problemen sollten wir nicht vergessen: Deutschland ist kein passiver Beobachter, sondern ein starkes Land, das mitgestalten kann.

Trotzdem gibt es eine Gleichzeitigkeit vieler Krisen. Wo sehen Sie die Hauptprobleme?

Ich teile diese Wahrnehmung. Diese Sicht könnte aber auch durch die Informationsflut beeinflusst sein. So nehmen wir die Phase des Kalten Krieges heute als sehr stabile Phase wahr – aber fragen Sie einmal die Menschen in Mittelamerika, Mosambik, Südafrika oder Angola. Dort wurden einst Stellvertreterkriege geführt. Trotzdem haben wir heute viele Probleme: Wir haben angespannte Beziehungen zu Russland. Und zugleich wächst die Sorge, ob wir uns noch auf unsere Verbündeten in Amerika verlassen können.

Die USA werfen derzeit den Multilateralismus oder den Einsatz für den Freihandel über Bord, Prinzipien, die die Welt über Jahrzehnte geprägt haben. Halten Sie das nur für eine vorübergehende Phase unter Trump, oder verändert sich da etwas nachhaltig?

In Deutschland gibt es eine Tendenz, sehr emotional auf die USA zu reagieren. Entweder Hunderttausende protestieren gegen den Irak-Krieg oder genauso viele Menschen jubeln dann dem Kandidaten Barack Obama zu. Wir sind gut beraten, die Linie zu halten und uns vor Antiamerikanismus zu hüten. Deshalb besteht die Amerika-Strategie des Außenministers Heiko Maas ja darin, für den Erhalt der transatlantischen Allianz einzutreten. Und zwar nicht, indem wir so tun, als hätte sich nichts verändert, sondern indem wir unser Verhältnis neu vermessen. Übrigens werben ja nicht nur wir bei der Trump-Regierung für unsere Sichtweise, auch im Kongress und in den Bundesstaaten gibt es viele Stimmen, die sich weiter für eine enge Zusammenarbeit einsetzen.

Was bedeutet das für Deutschland?

Angesichts von „America first“ muss sich Deutschland stärker auf die Verteidigung seiner eigenen Interessen einstellen. Da sind wir sehr klar, etwa in der Handelspolitik oder dem Iran-Abkommen.

Täuscht der Eindruck, dass sich das Verhältnis zuletzt wieder etwas entspannt hat?

Der Ton ist zumindest etwas konstruktiver. Präsident Trump hat inzwischen offenbar verstanden, dass er in Handelsfragen keinen Deal allein mit Deutschland machen kann – oder mit den deutschen Autokonzernen. Das geht nur mit der Europäischen Union. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat auf Augenhöhe mit dem US-Präsidenten verhandeln können. Allein könnte das kein Staat in Europa.

Steuern wir auf einen Kalten Krieg zwischen den USA und China zu?

Eine Großmachtkonfrontation hätte weitreichende Konsequenzen, auch für unsere wirtschaftspolitischen Aussichten. Hamburg ist mit dem China Summit für diese Diskussion ein wichtiger Standort. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr stark wirtschaftlich vom chinesischen Aufstieg profitiert und ein ureigenes Interesse an guten Beziehungen. Wir sind eng mit China verknüpft – ich nenne nur das Beispiel des Hamburger Hafens. Ein Handelskrieg zwischen China und den USA muss auf jeden Fall vermieden werden.

Zugleich sehen aber auch viele Europäer die Expansion der Chinesen kritisch ...

Die chinesische Politik verändert sich und konzentriert sich sehr stark in den Händen von Präsident Xi. Seit Mao war wohl kein Staatschef so mächtig. Die Partei regiert – auch in Deutschland – immer stärker in Unternehmen hinein. Wir müssen deshalb besser darauf achten, wie wir deutsches Know-how schützen können.

Wäre es nicht ohnehin klüger, mehr auf europäischer Ebene zu verhandeln?

China wird in Kürze die größte Wirtschaft der Welt sein. Wenn wir unsere Interessen effektiv vertreten wollen, dann geht das nur europäisch. Deshalb informieren wir unsere Partner stets über unsere Konsultationen mit China. Das bedeutet zugleich, dass wir alle Versuche, Europa zu spalten, sehr kritisch sehen. Chinas exklusives Gesprächsformat mit 16 Staaten aus Mittel- und Osteuropa, die sogenannten „16 + 1“-Treffen, ist der falsche Weg. Europa muss gestärkt werden, nicht geschwächt. Aber wenn sich Europa selbst nicht einig ist, sinkt das Gewicht.

Europa zerfällt derzeit leider eher in mehrere Teile: Ost gegen West, Nord gegen Süd ...

Es gibt diese Fliehkräfte. Die Wahl von Donald Trump hat uns in der Außen- und Sicherheitspolitik aber auch geeint. Was wir hier in den letzten zwei Jahren erreicht haben, ist mehr als in den zehn Jahren zuvor. Viele Länder wollen vorangehen und intensivieren jetzt ihre Zusammenarbeit. Über diese Erfolge müssen wir auch reden!

Warum sehen das viele nicht?

Viele Menschen sehen mit großer Sorge auf die Welt und übersehen dabei die positiven Entwicklungen. Das ist angesichts einer wachsenden Unübersichtlichkeit nachvollziehbar. Unsere erste Priorität ist es, Sicherheit und Wohlstand für unsere Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Dafür muss Europa mit einer Stimme sprechen.

Fürchten Sie die Europawahl?

Nein. Aber jeder muss wissen: Bei dieser Wahl geht es um nichts weniger als die Zukunft der Europäischen Union. Unsere Spitzenkandidatin Katarina Barley wird klarmachen, dass uns Europa Handlungsfähigkeit zurückgibt und die Konzentration auf den Nationalstaat uns vor allem Möglichkeiten nimmt. Gemeinsam sind wir souveräner, als wenn Deutschland allein mit Trump verhandeln müsste.

Was hat sich für Sie eigentlich persönlich verändert? Sie sind plötzlich Deutschland ...

Wenn man das eigene Land vertritt, ist das eine besondere Verantwortung. Ich spüre aber überall den großen Respekt, der Deutschland entgegengebracht wird. Wir haben gerade bei der Wahl der nicht ständigen Mitglieder in den UN-Sicherheitsrat ein Rekordergebnis bekommen. Die Erwartungen an Deutschland sind mitunter sogar so groß, dass es eher meine Aufgabe ist, diese Erwartungen zu dämpfen.

Woran liegt das?

Wir haben kein großes koloniales Erbe und unsere Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg aufgearbeitet. Wir werden als vertrauenswürdiger Partner geschätzt. Es gibt daneben natürlich auch finanzielle Wünsche an uns: Deutschland ist inzwischen der zweitgrößte Geber weltweit für humanitäre Hilfe. Wir haben zum Beispiel unsere Fördermittel für das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen für die Palästinenser erhöht, nachdem die USA dort ihre Hilfe gestrichen haben.

Die Amerikaner fordern von Deutschland mehr Führung.

Das klingt ja auch erst einmal plausibel. Aber es kann niemals deutsche Politik sein, autoritär die Richtung vorzugeben. Wir müssen, auch das ist ein Ergebnis unserer Geschichte, überzeugen. Wir müssen nicht immer die Lautesten sein, sondern eher schauen, dass wir keine Gesprächsfäden abreißen lassen. Deutschland muss einen eigenen Weg finden. In unserem Verhältnis zu Polen muss es einen Weg geben, Meinungsunterschiede auszutragen, ohne sich öffentlich zu beschimpfen. Das gilt im Übrigen auch für Italien. Das erfordert viel Fingerspitzengefühl und einen ausgeglichenen Charakter.

Wann normalisiert sich das Verhältnis zur Türkei?

Das liegt stark an Präsident Erdogan. Derzeit gibt es in den Beziehungen ein Auf und Ab. Noch immer sitzen deutsche Staatsbürger in der Türkei unbegründet in Haft. Die türkische Regierung weiß, dass wir an diesem Punkt klare Erwartungen haben. Die autoritäre Politik der Türkei müssen wir mit deutlichen Worten ansprechen, gleichzeitig haben wir kein Interesse daran, die Türkei als Verbündeten zu verlieren. Was hätten wir davon, wenn sich die Türkei verstärkt an China oder Russland orientiert? Nichts. Unser Ziel sind bessere Beziehungen und eine demokratische Türkei. Doch dafür muss in Ankara noch einiges passieren.

Interview: Matthias Iken und Lars Haider

Hamburger Abendblatt

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