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Keynote von Staatsminister Niels Annen zur Veranstaltung „Fragile Staaten weiterdenken – Erfahrungen aus Stabilisierungsmaßnahmen für die Zukunft nutzen“

15.01.2019 - Rede

-- es gilt das gesprochene Wort --

In Europa haben wir Glück. Unser Kontinent ist – auch dank der Europäischen Union als einzigartiges Friedensprojekt – in weiten Teilen von Frieden und Freundschaft geprägt. Seit Ende des zweiten Weltkrieges sind wir immer enger zusammen gewachsen und gerade an Tagen wie diesen tun wir gut daran, uns unseren Gemeinschaftssinn ins Gedächtnis zu rufen. Die Fliehkräfte spüren wir leider alle und das nicht erst seit der nun kurz bevorstehenden “Meaningful Vote” im britischen Parlament.

Die Tendenz, sich auf Nationalstaatlichkeit zurückzuziehen und daran zu glauben, dass man alleine besser dasteht, ist eine Bedrohung. Ihr liegt ein klarer Trugschluss zugrunde, der uns auf Dauer schwächt und zu Spaltung führt. Das ist unsere Baustelle und darum müssen wir uns kümmern, schon damit wir den kommenden Generationen nicht als diejenigen in Erinnerung bleiben, die den Frieden in Europa – ein Kraftakt nach Ende des zweiten Weltkrieges – aus purem Egozentrismus in Gefahr gebracht haben.

Selbstverständlich sieht es in anderen Teilen der Welt viel schlimmer aus. Dort geht es nicht um die Frage der politischen Spaltung oder die Schwächung eines gewachsenen multilateralen Systems, sondern um gewaltsame Auseinandersetzungen und um Kriege mit unzähligen zivilen Opfern.

Meine Damen und Herren, was passiert an einem Ort, der von Kampfhandlungen und teilweise jahrelangen Konflikten geprägt wurde? Welche Perspektiven bestehen, wenn die Waffen niedergelegt wurden und man auf ein Land blickt, dessen Infrastruktur zerstört ist? Wie entsteht Versöhnung oder gar neuer gesellschaftlicher Zusammenhalt?

Diese Fragen müssen in erster Linie von der Bevölkerung eines Landes selbst beantwortet werden. Die internationale Gemeinschaft jedoch kann den Prozess fördern. Für uns als Bundesregierung heißt dieser Unterstützungsansatz „Stabilisierung“. Wir begleiten politische Prozesse der Konfliktbewältigung, stärken legitime Akteure und setzen Impulse für die friedliche Beilegung von Konflikten.

Unsere Stabilisierungsmaßnahmen sollen dazu dienen, ein sicheres Umfeld zu schaffen und die Lebensbedingungen in fragilen Kontexten sichtbar zu verbessern. Legitime lokale Ordnungsstrukturen sollen möglichst schnell in die Lage versetzt werden, der Bevölkerung nach Ende eines Konflikts ein Angebot zu machen, das attraktiver ist als der Status Quo gewaltsamer Auseinandersetzung.

Stabilisierung schafft damit auch erste Voraussetzungen für eine Aussöhnung zwischen Konfliktparteien und den Aufbau eines gesellschaftlichen Grundkonsenses – das Fundament für nachhaltige politische Stabilität, partizipative politische Strukturen und langfristige Entwicklung. Eine möglichst breite und inklusive Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen ist hierbei wesentliche Erfolgsbedingung.

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Afghanistan.

In Nord-Afghanistan haben wir – gemeinsam mit der KfW und dem Aga Khan Development Network – seit 2010 und für insgesamt 112 Mio. Euro kleinere Infrastrukturprojekte umgesetzt. In vier afghanischen Nordprovinzen haben wir Schulen, Straßen, Brücken und Regierungsgebäude gebaut. An Orten, wo Infrastruktur entsteht, Kinder wieder zur Schule gehen können und die örtliche Verwaltung in einem sicheren Umfeld ihren Aufgaben nachgehen kann, entstehen lebenswerte Perspektiven. Der Wunsch nach einer besseren – friedlichen – Zukunft scheint nicht mehr so weit weg.

Diese Art von Engagement erfordert adäquate Strukturen. KfW und Auswärtiges Amt haben hier ähnliche Prozesse durchlaufen. Im Auswärtigen Amt hat er zur Schaffung der Abteilung für Stabilisierung – kurz Abteilung S – geführt. Und bei der KfW zu dem Beschluss, die „Zusammenarbeit in fragilen Kontexten“ zur dritten Säule der Entwicklungsbank – neben der Finanzierung von Entwicklungs- und Transformationsländern sowie der Klimafinanzierung – zu machen.

In beiden Fällen waren und sind weitere Anstrengungen erforderlich, um institutionelle Beharrungskräfte und tradierte Grundsätze der Entwicklungszusammenarbeit zu überwinden. Ein solcher Prozess ist eine enorme Anstrengung, aber am Ende wird es sich lohnen.

Meine Damen und Herren, auf wechselnde politische Umstände im Krisenkontext müssen wir schnell und flexibel reagieren können. Das kann Stabilisierung – denn sie ist genau darauf ausgelegt, ein post-Konflikt-Vakuum gar nicht erst entstehen zu lassen und der Bevölkerung schnell zu zeigen: Wir unterstützen den Wunsch nach Frieden. Schnell vor Ort zu sein, bedeutet natürlich auch höhere Risiken in Kauf nehmen. Nicht blind und unüberlegt, sondern aus guten politischen Gründen und in der Erkenntnis, dass es im Krisenkontext keine „Vollkasko-Versicherung“ geben kann. In und unmittelbar nach einer Krise erwarten die Menschen schnelle Zuwendung – dieses Momentum müssen wir immer wieder nutzen.

Mit der KfW verbindet uns eine jahrelange sehr gute und vertrauensvolle Kooperation. Unsere Zusammenarbeit geht über Afghanistan hinaus – in Irak haben wir den ungebundenen Finanzkredit i.H.v. 500 Mio. Euro umgesetzt. Und im Syrienkontext haben wir uns mit dem Syria Recovery Trust Fund an ein international einmaliges Finanzierungsinstrument gewagt, das wesentlich dazu beigetragen hat, auch unter schwierigsten Bedingungen legitime zivile Akteure zu unterstützen.

Die Bedeutung des Syria Recovery Trust Funds geht weit über die eines reinen Finanzierungsinstruments hinaus. Er bietet nämlich über seine Steuerungsgremien ein einzigartiges Forum für den politischen Austausch zu Syrien – mit nicht immer einfachen Partnern.

Die gemeinsamen Projekte von AA und KfW sind Sinnbild dafür, was in fragilen Kontexten und mit Hilfe der uns zur Verfügung stehenden Mittel möglich ist. Unsere Maßnahmen haben einen überprüfbaren politischen Mehrwert und erzielen – das bestätigt beispielsweise auch die Begleitforschung zu unserem Stabilisierungsengagement in Nord-Afghanistan – eine Wirkung in fragilen Kontexten, die unterschiedliche Sicherheitssituationen überdauert.

Meine Damen und Herren, unser Ansatz ist auf verschiedene fragile Kontexte übertragbar. Egal über welchen konkreten Krisenkontext wir sprechen, die Schnelligkeit der positiven Veränderung nach Ende eines Konflikts ist besonders relevant für die Wirkkraft der stabilisierenden Maßnahmen. Die Bevölkerung muss diesen Prozess natürlich mitgestalten. Wir müssen immer wieder nach partizipativen und möglichst inklusiven Lösungen suchen, um die Legitimität öffentlichen Handelns zu stärken und die Friedensdividende für alle spürbar zu machen. Denn das, meine Damen und Herren, ist schließlich eines der übergeordneten Ziele stabilisierender Maßnahmen.

Meine Damen und Herren, die aktuelle Lage in Afghanistan zeigt, dass Stabilisierung ein Risikogeschäft bleibt. Das Gewaltniveau im Land hat sich nicht verbessert, die Taliban sind nicht zurückgedrängt. Berichte über angebliche Rückzugspläne der USA führen zu Unruhe unter den Akteuren und schaden den Bemühungen um einen politischen Prozess, die in den letzten Monaten so intensiv wie nie zuvor stattgefunden haben. Im 18. Jahr unseres Engagements in Afghanistan sollten wir die Situation nicht schönreden. Aber wir sollten auch nicht in Pessimismus verfallen. Stabilisierung ist und bleibt aber eine zentrale Säule deutschen außenpolitischen Engagements, die den vernetzten Ansatz der Bundesregierung für mehr Frieden und Sicherheit vervollständigt.

Ich freue mich auf die Perspektive Seiner Hoheit, dessen Stiftung seit Jahrzehnten in vielen fragilen Kontexten tätig ist, und auf den Austausch mit Ihnen.

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