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Staatsminister Niels Annen im Deutschen Bundestag zum Antrag der Bundesregierung: „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der “United Nations Interim Force in Lebanon” (UNIFIL)“

14.05.2020 - Rede

Im vergangenen August hat der Libanon wahrscheinlich die schwersten Zusammenstöße seit Ende des Krieges 2006 erlebt. Ich will nur einige Punkte nennen: Drohnenbeschuss in Beirut, Angriffe auf eine israelische Militärstellung mit Panzerabwehrraketen und wiederum Artilleriefeuer der israelischen Seite.

15 Jahre Bürgerkrieg hat dieses Land durchlebt, und das wirkt bis heute nach. Die Autorität des Staates ist weiterhin schwach. Der politische Proporz sichert vielen Protagonisten des Bürgerkrieges bis heute ihre Pfründe und ihre Positionen und lähmt das Land. Die Herausforderungen jedoch sind enorm. Sie sind schwieriger geworden, gerade in den letzten Wochen. Die Covid-19-Pandemie betrifft natürlich auch ein Land wie den Libanon. Das Land befindet sich aber auch unabhängig davon in der wahrscheinlich schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit vielen, vielen Jahrzehnten.

Bei den landesweiten Protesten ist – mit ganz wenigen Ausnahmen – der friedliche Charakter doch sehr bemerkenswert. Wer den Libanon ein wenig kennt, wird den überkonfessionellen Charakter dieser Demonstrationen ebenso bemerkenswert finden. Die Menschen dort fordern einen umfassenden Wandel. Sie haben im Grunde genommen den Finger in die Wunde gelegt: ein Ende des Klientelismus und der Korruption, echte Teilhabechancen, umfassende Reformen und gute Regierungsführung, meine Damen und Herren.

Das hat auch einiges ausgelöst. Wir haben den Rück- tritt der alten Regierung und den Amtsantritt einer neuen Regierung zu verzeichnen gehabt. Diese Regierung hat sich sozusagen ein Programm gegeben – “government of confronting challenges”; das gilt in gewisser Weise für unsere Regierung im Moment ja auch –, und sie hat die Auseinandersetzungen mit den dringendsten Herausforderungen zu ihrem Programm erhoben.

Es gibt eine ganze Reihe von konkreten Dingen, die schon geschehen sind, etwa eine Verkleinerung des Kabinetts. Es gibt in dieser Regierung einen Rekordanteil von Frauen, eine stellvertretende Ministerpräsidentin, die gleichzeitig Verteidigungsministerin ist – die erste Verteidigungsministerin in der arabischen Welt. Ich habe sie in München auf der Sicherheitskonferenz getroffen und vor kurzem mit ihr telefoniert. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

In Beirut, meine Damen und Herren, weiß man: Reformen sind unumgänglich, auch um einen möglichen Kollaps nach dem Zahlungsausfall im März abzuwenden. Deswegen will ich darauf hinweisen, dass wir weiterhin nicht nur wegen der aktuellen Krise zu den wichtigsten bilateralen Gebern und Unterstützern des Libanon zäh- len. Wir setzen unsere bisherige Unterstützung fort. Wir verstärken sie wegen der Covid-19-Pandemie sogar noch, arbeiten mit den Vereinten Nationen und mit der EU zusammen und stellen weitere Gelder zur Verfügung.

Aber die vorhandenen Spannungen in der libanesischen Gesellschaft können jederzeit wieder zum Ausbruch kommen; das wissen wir. Vor allem die zunehmend modernen Waffenarsenale der Hisbollah müssen uns allergrößte Sorge bereiten. Es ist nicht nur ein Angriff auf die Stabilität des Landes, sondern eben auch ein direkter Angriff, eine direkte Bedrohung für Israel und für den Frieden in der gesamten Region.

Ich will aber auf eines hinweisen, meine sehr verehrten Damen und Herren: Diese 15 Jahre Bürgerkrieg haben auch einen weiteren Effekt. In allen Parteien, in allen Wählerschichten sagen die Bürgerinnen und Bürger angesichts dieser Erinnerung: Keinen Krieg mehr! Keinen Rückfall mehr in diese militärischen Auseinandersetzungen, egal ob sunnitische, schiitische oder christliche Bevölkerungsgruppen! – Das ist ein Grund dafür, weshalb dieses Land bisher unter den enormen Lasten – die Ministerin hat darauf hingewiesen – nicht zusammengebrochen ist.

Es gibt aber auch einen weiteren Grund: Das ist das internationale Engagement, und das ist UNIFIL. Es ist uns trotz dieser Situation bisher gelungen, eine ja in der Tat – wie soll es auch anders sein? – prekäre Stabilität aufrechtzuerhalten. Das wäre ohne die Vereinten Nationen, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht mög- lich gewesen. Wir haben zu dieser Mission seit ihrer Neuaufstellung nach dem Krieg zwischen dem Libanon und Israel 2006 lange Zeit mit dem größten deutschen Kontingent in einer VN-Mission sehr viel beigetragen.

Herr Bystron ist nicht der einzige Abgeordnete gewesen, der diese Region mehrfach besucht hat. Ich bin mehrfach in Naqoura gewesen und will deswegen mal darauf hinweisen: Ja, wir sind stolz und froh über die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten, über den Beitrag, den die deutsche Marine leistet. Das ist aber nicht der einzige Beitrag, den wir zu UNIFIL leisten. Es sind dort auch deutsche Soldatinnen und Soldaten, ein kleines Kontingent, stationiert, die eine wichtige Arbeit direkt an der Blue Line machen. Die Drei-Parteien-Gespräche sind im Moment die einzige Möglichkeit für die Vereinten Nationen, um direkte Kontakte zwischen der IDF und der libanesischen Seite aufrechtzuerhalten. Wir beteiligen uns daran. Das ist ein wichtiges Symbol, ein wichtiges Zeichen und wird von beiden Seiten auch wertgeschätzt.

Deswegen will ich hier noch mal sagen: Das UNIFIL- Engagement – es besteht in der Tat seit vielen Jahren – kann das politische Problem in der Region nicht alleine lösen. Wenn man das, was wir Ihnen hier vorlegen, zum Anspruch und sozusagen zur Grundlage der eigenen Entscheidung über das Mandat erhebt: Ja, gut, da darf man sich natürlich nicht wundern. Dann kann man auf dieser Grundlage alles Mögliche konstruieren.

Aber UNIFIL hat über die Jahre Vertrauen aufgebaut. UNIFIL garantiert eine Präsenz und damit auch einen Informationsfluss in einer Gegend, insbesondere im Süden des Libanon, aus der regelmäßig militärische Operationen, vor allem gegen Israel, durchgeführt worden sind, die zu einer Instabilität in der gesamten Region beige- tragen haben.

Deswegen erfolgt unsere Unterstützung der Friedensbemühungen der Vereinten Nationen – das ist wahrscheinlich der wichtigste Beitrag –; aber es handelt sich auch um eine konkrete Leistung gegenüber der libanesischen Marine, der libanesischen Politik, die sich übrigens – das habe ich auch der Verteidigungsministerin gesagt – verpflichtet hat, die Präsenz ihrer eigenen Streitkräfte, insbesondere im Süden des Landes, zu erhöhen. Das ist nicht immer passiert. Aber UNIFIL erinnert die libanesische Seite genau daran, dass der libanesische Staat mehr tun muss, um die staatliche Präsenz in allen Teilen des Landes zu verstärken.

Das ist auch ein konkreter Beitrag zur Sicherheit Israels. Ich glaube, dass uns diese sehr am Herzen liegen muss, dass wir damit einen konkreten Beitrag leisten und auch zeigen, dass wir in dieser Situation verlässliche Bündnispartner für die Vereinten Nationen sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Debatte über die Verlängerung des UNIFIL-Mandates ist eine Debatte, bei der wir uns sehr genau anschauen sollten, wie sich die Lage in der Region weiterentwickelt, wie sich die libanesische Innenpolitik gestaltet. Dieses Land muss gerade in der heutigen Krise wissen, dass Deutschland mit seinem Engagement, dem militärischen, aber auch dem zivilen, weiter an der Seite des Libanon steht. Insofern bedanke ich mich für die bisher immer geleistete große Unterstützung aus diesem Hause, für Ihre Aufmerksamkeit und hoffe auf gute Beratungen.

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