Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts

Außenministerin Baerbock zum 75-jährigen Jubiläum des Deutschen Juristinnenbundes

29.01.2024 - Rede

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.

Dass dieser einfache Satz im Artikel 3 des Deutschen Grundgesetzes steht, mag manchen heute wie eine Selbstverständlichkeit vorkommen

Aber – wie Frau Professor Dr. Blumenthal bereits deutlich gemacht hat– genau das war es eben nicht. Als vor 75 Jahren die Mütter und Väter des Grundgesetzes zusammenkamen, wohlgemerkt vier Mütter und 61 Väter, da waren diese fünf Wörter eine feministische Revolution. Weil sie da eben nicht irgendwie automatisch hineingekommen sind, sondern es am Ende eines langen Prozesses und von Diskussionen – das wäre sehr diplomatisch beschönigend ausgedrückt, es waren eher harte Kämpfe – in diesen Text geschafft haben.

Und das verdanken wir vor allen Dingen dem Engagement eines Gründungsmitglieds des Deutschen Juristinnenbundes: Elisabeth Selbert.

Sie war Mitglied des Parlamentarischen Rates, der vor etwas mehr als 75 Jahren eine Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeiten sollte. Zu diesem Zeitpunkt konnten Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes keinen Vertrag schließen, kein Konto eröffnen und keinen Beruf ausüben. Elisabeth Selbert hat schon damals sehr klar gesehen: Das ist Unrecht.

Mit diesem Verständnis, dass es Unrecht war, war sie damals allein auf weiter Flur. Sogar weibliche Parteikolleginnen haben damals gewarnt: „Willst du wirklich mit diesem Satz im Grundgesetz ein ‚Rechtschaos‘ verursachen?“

Ihre männlichen Kollegen haben es nicht so freundlich formuliert, sondern begegneten ihr vor allen Dingen mit Spott, Häme und persönlichen Anfeindungen. Aber sie ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie hatte Mut und sie hatte Ausdauer.

Nichtsdestotrotz, und das ist mir extrem wichtig, gerade auch für jüngere Kolleginnen hier im Raum oder im Livestream: Wir sollten diesen Spott und diese Häme und die persönlichen Anfeindungen nicht einfach so beiseite wischen und zu sagen, Frauen brauchen einfach nur Mut und Ausdauer, denn dann ist es an den Frauen, die keinen Mut und keine Ausdauer zeigen, wenn sie es nicht hinbekommen.

Und wir haben, glaube ich, alle erlebt, dass dieser Spott und diese Häme und heutzutage leider auch noch viel stärker die persönlichen Anfeindungen über Social Media kein Zufall sind, sondern eine Strategie bleiben.

Deswegen ist es an uns allen, genau das mit zu benennen und immer da zu sein, wenn das ausbricht. Auch das lernen wir von Elisabeth Selbert. Es braucht Mitstreiterinnen. Es braucht ein Team.

In einer beispiellosen Kampagne überzeugte sie tausende Frauen, sich ihr anzuschließen. In den Landtagen, in Frauenverbänden, bei Metallarbeitern. Und am Ende zeigte dieser Druck Wirkung.

Als am 8. Mai 1949 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einstimmig beschlossen wurde, da wurde auch Artikel 3 Absatz 2 angenommen: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Wenn man auf dieses Kapitel unserer Geschichte zurückblickt, dann können wir zu Recht sagen: Seitdem haben wir als Gesellschaft eine Menge erreicht. Diese Fortschritte sind auch ein Verdienst von Verbänden wie dem Deutschen Juristinnenbund. Wir sehen jetzt – vor allem an der westdeutschen Geschichte, was diese Verdienste sind.

Nicht nur, dass zu Beginn endlich Frauen auch ohne Unterschrift des Mannes ein Konto eröffnen konnten, arbeiten konnten, sondern dass wir den sogenannten Stichentscheid abgeschafft haben, durch den Väter bei Konflikten in der Familie automatisch das letzte Wort hatten.

Dass Vergewaltigung in der Ehe heute endlich strafbar ist. Dass Ärztinnen und Ärzte nicht mehr kriminalisiert werden, wenn sie auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informieren. All diese Meilensteine wäre nicht möglich gewesen ohne die klugen Argumente mutiger Juristinnen, ohne die Stimmen der Zivilgesellschaft in all diesen Kämpfen.

Die Jüngeren werden sich daran erinnern, an Paragraf 219a. Auch da galt wieder: Nicht nur Mut und Ausdauer, sondern das gemeinsame angehen gegen Hass, Häme und Spott.

Wir Frauen haben dabei gesehen, was alles geht, wenn wir diese dicken Bretter bohren, sei es manchmal über Jahrzehnte, wie Elisabeth Selbert.

Aber was wir auch feststellen müssen: Echte, vollständige Gleichberechtigung haben wir noch nicht erreicht. Ich würde aber an dieser Stelle sagen: Weil Demokratien zum Glück immer lebendig sind und wir uns immer gemeinsam weiterentwickeln, wird es auch nie das Ende, das Erreichen der Fahnenstange geben.

Nichtsdestotrotz gibt es bei uns in einigen Bereichen noch etwas zu tun – und zwar lieber gestern als morgen.

Viele von Ihnen kennen vermutlich die Mechanismen, die Kritik und den Hohn, der einem begegnet, wenn man etwas verändern will. Und sei es nur, dass man sagt: In einem Entscheidungsgremium wäre es doch ganz gut, wenn wir darauf achten, dass auch bei uns einigermaßen Gleichberechtigung herrscht. In Männerrunden wird einem dann öfter mal erklärt, warum man leider ausgerechnet heute keine Frau gefunden hat, weder im Vorstand noch im Auswahlgremium.

Oder warum es dann doch irgendwie normal ist, dass der männliche Kollege halt 15 Prozent mehr verdient. Ich glaube, viele von Ihnen kennen auch dieses höhnische Schmunzeln, wenn man sexistische Sprüche kritisiert und darauf hinweist, dass das jetzt doch nicht so ein Standardspruch war. Oder die Frage so ganz nebenbei: Ach so, nur noch einmal kurz gefragt, wie machen Sie das jetzt eigentlich mit Ihren Kindern? Schaffen Sie das wirklich, nächste Woche bei dem Termin dabei zu sein? Oder auch die hochgezogenen Augenbrauen, wenn man sich für Frauenrechte einsetzt, weil es doch gerade in diesen Zeiten wirklich wichtigere Dinge gibt als Frauenrechte oder die Änderung von Gesetzestexten zum Frauenthema.

Ja, bis heute ist Feminismus ein Triggerwort. Genau deswegen haben wir unsere Außenpolitik „feministische Außenpolitik“ genannt. Ich wurde, als wir das vorgestellt haben, zusammen mit Svenja Schulze gefragt: Musste das jetzt sein, dass Sie hier so einen Aufruhr machen?

Wenn ich das jetzt genannt hätte „Umsetzung von Artikel 3 des Grundgesetzes“ oder „Umsetzung der Frauenrechtskonvention“ – hätte sich, ehrlich gesagt, kein Mensch dafür interessiert. Auch deswegen habe ich das zu Beginn thematisiert und herausgestellt, dass Gegenwind eigentlich immer wieder zeigt, dass man den Finger in genau die richtige Wunde gelegt hat.

Nichtsdestotrotz höre ich gerade in dieser Krisenzeit dann immer wieder: „Also Frau Baerbock, ist jetzt nicht mal Zeit für wirklich harte Sicherheitspolitik? Sind Sie jetzt nicht angesichts dieser furchtbaren Krisen und Konflikte endlich in der Realität angekommen?“ Die Wahrheit ist: Feministische Außenpolitik ist harte Sicherheitspolitik – in einer harten Realität.

Denn wer die Hälfte der Gesellschaft ausblendet, wird niemals langfristig Stabilität und Frieden erreichen können. Nirgendwo. Deswegen sind für mich – und das ist im Prinzip Kern unserer feministischen Außenpolitik – Frauenrechte auch immer ein Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft, auch ein Gradmesser für den Zustand unserer eigenen Demokratie.

Sabine Fischer hat dazu ein wirklich hervorragendes Buch geschrieben. Das kann ich nur allen hier ans Herz legen, weil sie genau diese These auf so eindrucksvolle Art mit Fakten untermauert. „Die chauvinistische Bedrohung“, in dem sie deutlich macht, wie Sexismus und Imperialismus gerade mit Blick auf den brutalen russischen Angriffskrieg kein Zufall sind.

Wie die Änderung des Strafrechts in Russland 2017, dass man seine Frau mehrfach krankenhausreif verprügelt haben muss, bevor das als strafrechtliche Anzeige aufgeben werden kann, kein Zufall war, wie so oft dargestellt, wenn Frauenrechte unter Druck geraten, sondern Teil des massiven Angriffs auf demokratische Prozesse und Teil einer imperialistischen Weltanschauung.

Daher ist für uns so wichtig in der feministischen Außenpolitik, dass wir eben die Frage von Rechten ganz an den Anfang stellen: Rechte, Repräsentanz und Ressourcen.

Wir werden darauf in der Diskussion auch noch ein bisschen tiefer eingehen. Als Auswärtiges Amt haben wir dieses Konzept mittlerweile „gemainstreamt“, also in allen Bereichen durchgezogen. Deswegen ist es nicht so, dass es eine Abteilung gibt, die sich jetzt um feministische Außenpolitik kümmert und die anderen haben nichts damit zu tun.

Nein, es ist nun Mainstream im ganzen Auswärtigen Amt, vom Krisenmanagement bis zu unserer Personalpolitik – weil es da bei uns auch einiges zu tun gibt – aber vor allen Dingen im harten Sicherheitsumfeld.

All diejenigen, die zum Beispiel bei meinen Reisen sagen: „Ach Gott, warum treffen Sie sich jetzt auch noch mit Frauengruppen?“ Oder: „Warum fahren sie jetzt in das Dorf, wo Boko Haram war? Können Sie nicht harte Sicherheitspolitik machen?“ – all diejenigen würde ich am liebsten einladen, zu diesen Gesprächen dazu zu kommen.

Denn härtere Gespräche als mit einer Frau, die über acht Jahre von Boko Haram verschleppt worden ist, als 15-jährige damals aus der Schule, die einem dann erzählt, wie sie sich selber nach acht Jahren mit dann mittlerweile zwei kleinen Kindern aus dieser Gefangenschaft befreit hat – ehrlich gesagt, da sind Gespräche mit dem russischen Außenminister oder anderen Herren emotional eher ein Spaziergang.

Nichtsdestotrotz ist es so, dass wir mit Blick auf unsere feministische Außenpolitik nicht nur viel erklären müssen, sondern dass wir auch genau hinschauen müssen, wie wir sie ausweiten können. Denn heutzutage ist der offene Spott und das Lächerlichmachen nicht mehr ganz so en vogue. Das hat man vor gut einem Jahr im Bundestag gesehen, dass das nicht so super gut ankommt, wenn man die feministische Außenpolitik voll diskreditiert.

Aber das heißt noch nicht, dass sie nicht unter Druck steht. Das Lächerlichmachen geht heute etwas anders. Das kommt dann so: „Also, Sie machen doch jetzt feministische Außenpolitik, warum haben Sie das mit den Mullahs jetzt eigentlich immer noch nicht hinbekommen? Da können wir das doch jetzt gleich sein lassen, dass wir uns für Frauenrechte im Iran oder anderen Ländern einsetzen sollten.“

Nein, ganz im Gegenteil. Einen größeren Gefallen könnten wir es ja diesen Regimen gar nicht machen, als zu sagen: „Heute haben wir leider nicht innerhalb von 24 Stunden das Frauenrechtsproblem gelöst. Deswegen hören wir jetzt auf“.

Was wir gelernt haben, in unserem eigenen Land: Es braucht manchmal Jahrzehnte. Genau das ist unser Leitstern.

Weil auch feministische Außenpolitik kein Zaubermittel ist, sondern bedeutet, dass wir tagtäglich dickste Bretter bohren müssen. Genau das machen wir. Mit Zuversicht. Wie Elisabeth Selbert.

Wir wissen, das wissen Sie genauso: Wir brauchen einen langen Atem. Deswegen haben wir diesen langen Atem.

Ich möchte in dem Sinne zwei Erfahrungen aus meiner täglichen Arbeit mit Ihnen teilen, die deutlich machen, dass dieser lange Atem, auch wenn es manchmal länger dauert, jeden Tag einen Unterschied machen kann. Weil im Zweifel eine Mutter mit ihren Kindern freikommen kann. Das ermöglichen zu können, was ihr größter Traum war in all dieser Zeit der Gefangenschaft, woran sie sich festgehalten hat: Dass sie endlich wieder zur Schule gehen kann. Weil wir in den Flüchtlingscamps sind, in denen wir als Auswärtiges Amt fördern, weil wir dort mit den Frauen sprechen und nicht nur mit den UN-Behörden oder Institutionen vor Ort, um auch mit wenig Geld genau das ermöglichen können: Dass wir Bildung nicht nur für die Kinder anbieten, sondern für all die Frauen, denen acht Jahre lang ihre Bildung genommen worden ist.

In den ersten Monaten meiner Amtszeit, einige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, bin ich nach Bosnien und Herzegowina gefahren. Ich habe dort auch mit Überlebenden des Massakers von Srebrenica gesprochen, mit Frauen, die mir berichtet haben, wie sie vergewaltigt worden sind, wie ihre Töchter vor ihren eigenen Augen vergewaltigt worden sind.

Die Frauen, die mir berichtet haben, was passiert ist, hatten vor allen Dingen einen Wunsch, den sie mir mitteilen wollten: „Frau Baerbock, nach all den Jahren ist es noch nicht vorbei. Ich spüre diesen Schmerz jeden Tag, aus jeder Pore.“

Weil es keine Gerechtigkeit gegeben hat. Nach wie vor nicht für die Mütter von Srebrenica und ihre Töchter – für einige schon, aber eben nicht für alle. Weil Vergewaltigung damals als fast schon natürliche Begleiterscheinung von Kriegen angesehen wurde.

Am schlimmsten, so haben es mir diese Frauen berichtet, am schlimmsten ist nach wie vor dieses Gefühl, dass die Täter straflos bleiben und unter ihnen sind. Das Gefühl, dass der Schmerz nie aufhören kann, wenn man für seine eigene Tochter, deren Vergewaltigung man schon nicht verhindern konnte, diese Gerechtigkeit nach wie vor nicht schaffen konnte.

Es ist ein Gefühl, dass man an so vielen Orten der Welt spürt. Heute begegnet es mir überall. In Flüchtlingslagern im Nordirak, wo Überlebende des IS-Völkermords gerade in den letzten Monaten oder während Corona Selbstmord begangen haben, weil sie das Trauma der Vergewaltigung nicht verarbeiten konnten, aber auch, weil sie wussten, dass die Täter ein paar Kilometer entfernt leben.

Man spürt es ebenso ganz akut in Butscha, im Umland von Kiew, in Mariupol. In den Gesprächen mit ukrainischen Frauen, mit Mädchen, auch mit ukrainischen Männern, die von systematischer sexualisierter Gewalt in russischer Kriegsgefangenschaft berichten.

Man spürt es jetzt im Nahen Osten, wo die Hamas am 7. Oktober sexualisierte Gewalt bewusst als Waffe eingesetzt hat, gezielt Frauen vergewaltigt und verschleppt hat, ihre Taten – ähnlich der Methode und Struktur beim IS – bewusst gefilmt und im Netz verbreitet hat.

Und warum? Weil sie die israelische Gesellschaft ins Mark treffen wollten. Weil Vergewaltigung eine systematische Kriegswaffe ist, um Frauen in Gesellschaften zu brechen.

In Ruanda, wo ich vor ein paar Wochen war, da haben sie das sehr deutlich im Genocide Memorial auf den Punkt gebracht: “A genocide that doesn't touch women is not a genocide.”

Es ist der Kern des Versuchs, Gesellschaften zu zerstören. Deswegen ist es der Kern unserer Arbeit, auf die Sicherheit von Frauen gerade in Krisenkonflikten und Krisensituationen zu schauen. Ganz aktuell im Sudan. Da waren es vor allen Dingen die Frauen, die vor fünf Jahren bei den Protesten zur Absetzung des Diktators al-Bashir beigetragen haben. Auch da sehen wir, dass die Stärke von Frauenbewegungen in diesen Tagen so einen massiven Unterschied macht, weswegen repressive Systeme besonders die Frauen fürchten und an die Rechte von Frauen heranrangehen.

Auch deswegen ist es jetzt kein Zufall, dass, nachdem vor fünf Jahren vor allem die Frauen für Demokratie und Freiheit eingestanden haben, im aktuellen Sudan-Bürgerkrieg jetzt wieder die Frauen diejenigen sind, die am systematischsten bekämpft werden.

Auch hier wieder: Massenvergewaltigung als systemische Waffe gegen Frauen.

Die Frauenrechtlerinnen und Anwältinnen, mit denen ich gerade gesprochen haben, haben das so deutlich gesagt: „Dieser Krieg im Sudan ist ein Krieg gegen Frauen. Weil sie wissen: Nur mit den Frauen würden wir zurückkommen zur Demokratie.“

Um gerade diese mutigen Frauen, die dort so kämpfen, aus ihrer Ohnmacht herauszuholen, genau deswegen ist die Arbeit von Ihnen hier, von Juristinnen nicht nur in Europa, sondern weltweit so wichtig: Weil diese Frauen das Vertrauen haben, dass ihnen eines Tages Recht gegeben wird.

Genau deswegen setzen wir uns als Auswärtiges Amt weiter gegen Straflosigkeit ein. Nach den Verbrechen von Srebrenica und weiteren ist einiges passiert, damit wir diese Unterdrückung und damit das „Stillmachen“, das „Zum-Schweigen-Bringen“ von Frauen endlich durchbrechen können. Die Jugoslawien-Tribunale Mitte der 1990er Jahre haben damals diesen Wandel eingeleitet, auch weil Frauenrechtlerinnen und Verbände wie der Deutsche Juristinnenbund so Druck gemacht haben.

Es war auch der DJB, der sich damals als einer der ersten und sehr entschieden – gegen massiven Gegenwind – dafür eingesetzt hat, dass Vergewaltigung als eigenständiger Punkt in die Anklageschrift gegen den Ex-Serbenführer Karadzic aufgenommen wird. Und die Argumente dagegen hören wir auch heute immer noch so oft, wie bei den IS-Anklagen. „Das können wir doch unter ‚Terrorismus‘ subsumieren. Das können wir doch unter ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘ subsumieren.“

Aber genau dann würden wir die Methode, dass es kein Zufall war, dass der Angriff direkt als sexualisierte Gewalt gegen Frauen geht, verschweigen und den Opfern kein Recht zusprechen.

Mittlerweile haben wir viele Lücken im Völkerstrafrecht schließen können. Seit 2002 kann der Internationale Strafgerichtshof diese Gewalttaten verfolgen, die jetzt ausführlicher und besser kodifiziert sind: Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation. All das zählt heute als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wird nicht mehr subsumiert.

So steht es in Artikel 7 des Römischen Statuts. Was jetzt aber heißt, ist, dass es dort nicht nur kodifiziert ist, sondern dass die Täter auch zur Rechenschaft gezogen werden für die gezielten Verbrechen an Frauen und Mädchen in der Ukraine, wegen der Verbrechen der Hamas oder der Milizen in Sudan.

Nur dann haben wir eine wirkliche Chance auf Gerechtigkeit und damit eine wirkliche Chance auf Frieden und Versöhnung.

An dieser Stelle möchte ich deswegen all diejenigen Juristinnen, vor allen Dingen Strafverteidigerinnen, besonders hervorheben und ihnen danken, denn neben der Arbeit, die hier vor Ort bei uns gemacht wird, sind es besonders im gesetzgeberischen Bereich und auch im internationalen Kontext diejenigen, die in die internationalen Missionen gehen und dann vor Ort als internationale Anwältinnen, als Strafverteidigerinnen in den Prozessen vor Ort Frauen, zum Beispiel auf dem Land, in einer Bürgerkriegssituation beistehen.

Ich glaube, wir könnten ewig weiter sprechen, wie dick das Brett ist. Wir sehen das gerade auch mit Blick auf das Verbrechen der Aggression, eigentlich dem Kernverbrechen des Völkerstrafrechts.

Auch hier gilt, wenn man einmal anfängt, ist die erste Reaktion oft: „Um Gottes Willen, warum ist denn das jetzt Ihre Priorität in diesen Zeiten? Brauchen wir denn wirklich so etwas Langweiliges und Trockenes wie Völkerrecht, mit dem Sie sich beschäftigen?“

Aber auch hier ist aus meiner Sicht es notwendig, dass wir unsere Kräfte gemeinsam bündeln, um eben die Stärke des Rechtes in Zukunft deutlich zu unterstreichen und nicht das Recht des Stärkeren.

Mein zweiter Punkt der feministischen Außenpolitik, den ich hier teilen möchte, ist ein ganz anderer. Eben nicht die kodifizierte Rechtsfrage, sondern unsere Haltung in der feministischen Außenpolitik, aber gerade auch bei der Stärkung des internationalen Völkerrechts. Denn: Feministische Außenpolitik ist keine Politik des erhobenen Zeigefingers.

Auch das ist eines der Hauptargumente, mit dem aus meiner Sicht versucht wird, die ganze Frage von feministischer Außenpolitik oder Frauenrechten zu diskreditieren. „Naja, Sie reisen da in die Welt und wollen jetzt anderen erklären, wie das so mit den Frauenrechten ist.“

Das Grundverständnis dessen ist ja schon, dass an anderen Orten der Welt Frauen ihre Rechte gar nicht leben wollen würden. Was für ein Verständnis von Menschenrechten oder von Frauenrechten, dass man sagt, in anderen Regionen der Welt hätte das eben keine Bedeutung.

Auch hier ist die Kodifizierung der letzten Jahrzehnte so zentral gewesen, weil ich darauf antworten kann: Ja, wenn alle die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet haben, die Konvention zum Schutz von Frauen unterzeichnet haben, dann ist es ja offensichtlich keine Erfindung nur von einzelnen Ländern.

Das heißt aber auch, dass wir mit Blick auf die Zusammenarbeit vor allem Bündnisse vorantreiben wollen. Deswegen möchte ich ganz offen und ehrlich sagen: Nein, die deutsche Außenministerin hat sich die feministische Außenpolitik nicht ausgedacht – es wäre schön gewesen, aber ich habe es nicht getan. Rechte, Ressourcen, Repräsentanz haben besonders die Schwedinnen stark geprägt. Aber die eigentliche Idee kam von vielen, auch von Regierungen aus Lateinamerika. An viele Orte, an die ich jetzt reise, zum Beispiel Südafrika, da war die erste Begrüßung – mit ihnen hatten wir unterschiedliche Positionen, auch zum Russlandkrieg und anderen Fragen – der positivste Satz, den ich als erstes gehört habe: „Jetzt habt ihr das endlich auch verstanden mit den Frauenrechten. Gott sei Dank können wir mit euch darüber jetzt vernünftig reden.“

Weil sie aus ihrem Kampf gegen die Apartheid, wo damals die westdeutsche Regierung nicht an der Seite derjenigen gestanden hat, die für ihre Rechte eingestanden sind, das Verständnis hatten: „Wenn es auf die Menschenrechte ankommt, dann kann man nicht automatisch auf sie zählen.“

Auch hier, unser Weltbild „wir sind die Vorreiter“ – da muss man ehrlichkeitshalber sagen: Wenn man in die Welt geht, ist das anders.

Daher ist für mich auch hier die Leitlinie eine große Frau, die verstorbene amerikanische Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg, die einmal gesagt hat: „Kämpfe für Dinge, die dir wichtig sind, aber kämpfe so, dass andere sich dir anschließen wollen.“

Deswegen ist auch für mich bei all diesen Fragen Ihr Einsatz, der Einsatz des Deutschen Juristinnenbundes, für all die Erfolge – gerade auch international – so wichtig: An Dinge anzuknüpfen, bei denen andere schon vorangegangen sind.

Zum Beispiel die Istanbul–Konvention. Wenn ich in Länder reise, zum Beispiel in Zentralasien und sage: „So, ich wollte euch das jetzt mal mit den Frauenrechten erklären“. Dann geht es „hier rein und da wieder raus“.

Wenn man die Frage stellt: „Warum habt ihr die Istanbul-Konvention eigentlich damals ratifiziert?“ oder „warum habt ihr diesen Artikel noch nicht umgesetzt?“

Dann ist das schon eine andere Öffnung. Am besten klappt es, wenn ich sage: „Ich wollte mal fragen, wie das mit euch hier mit der Repräsentanz so funktioniert, weil wir leider im Deutschen Bundestag von 50 Prozent noch weit entfernt sind, wir sind gerade mal über 30 Prozent. Wie habt ihr das in Ruanda eigentlich hinbekommen, dass ihr bei über 50 Prozent seid?“

Oder in der Mongolei zu hören, dass sie jetzt in einer nächsten Gesetzesreform die Quote für ihr Parlament eingeführt haben. Die Anknüpfungspunkte dort zu suchen, wo andere Länder schon weiter sind, öffnet dann auch die Möglichkeiten, über Punkte zu sprechen, bei denen Deutschland weiter ist, zum Beispiel beim Kampf gegen häusliche Gewalt.

Wie wichtig das ist, das erleben wir, nicht nur bei uns hier in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Was ich vorhin angedeutet habe, mit Blick auf Gradmesser von Demokratien: Überall auf der Welt, wo häusliche Gewalt zunimmt oder stark verbreitet ist, ist in allen Gesetzesbereichen die von Gerechtigkeit eher reduziert.

Deswegen haben wir auch in Deutschland noch ein dickes Brett zu bohren, auch bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention. In Deutschland werden jede Stunde mehr als 14 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Uns allen ist das bekannt, aber leider nicht allen in unserer Gesellschaft.

Beinahe jeden Tag versucht ein Partner oder ein Ex-Partner eine Frau zu töten. Deshalb ist es für uns so wichtig, dass wir mit Blick auf die Istanbul-Konvention nicht nur über andere sprechen, sondern immer wieder schauen, wie wir unseren eigenen internationalen Verpflichtungen gerecht werden können und unsere Standards erhöhen.

Vor zwei Jahren hat eine Gruppe von unabhängigen Expertinnen und Experten des Europarates die Umsetzung der Istanbul-Konvention in Deutschland evaluiert. Diese Empfehlungen der Gruppe sind wichtig und ich würde sie hier auch noch einmal teilen, weil wir bei einigen Punkten noch ein bisschen Unterstützung brauchen, um das in allen relevanten Gesetzen einfließen zu lassen. So sieht zum Beispiel Artikel 46 der Konvention explizit vor, dass ein tätlicher Übergriff härter bestraft werden sollte, wenn er von einem Partner oder Ex-Partner ausgeübt wird.

Ich glaube, die Erfahrung von denjenigen von Ihnen, die am Strafgericht, in Strafgerichten tätig sind, zeigen im Zweifel eher das Gegenteil. Auch heute findet man noch Urteile oder Verhandlungen, in denen deutlich wird, worauf der Deutsche Juristinnenbund immer wieder hingewiesen hat: Dass die Partnerschaft als strafmildernd wahrgenommen wird. Zum Beispiel bei Tötungsdelikten.

Da konnte es für einen Täter strafmildernd sein, wenn er eine intime Beziehung zu seinem Opfer hatte. Nach der Logik: Es kann keine Heimtücke sein – was wir mit Blick auf Mord und andere Fragen mitberücksichtigen–, wenn der Mann seine eigene Frau oder Freundin umbringt. Es ist ja schließlich, „seine“ Frau.

Im letzten Jahr hat der Bundestag, haben wir versucht, genau das anzugehen, auch nach ganz vielen Hinweisen aus dem Juristinnenbund und von anderen. Deshalb haben wir eine Gesetzesänderung erlassen, mit der „geschlechterspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe explizit als strafverschärfend aufgenommen werden.

Diese Tatmotive müssen damit ausdrücklich benannt und verhandelt werden. Das ist ein Schritt vorwärts.

Aber wir sind noch nicht da, wo wir nach der Istanbul-Konvention sein sollten. Ein weiteres Beispiel, das, glaube ich, alle mit Kindern stark umtreibt, ist die Umsetzung von Artikel 31 der Istanbul-Konvention. Damit verpflichtet sich Deutschland dazu, bei Entscheidungen zu Sorge- und Umgangsrecht von Kindern stärker zu berücksichtigen, wenn der Partner schon einmal gewalttätig war, gerade auch gegenüber der Mutter der Kinder.

Viele NGOs und auch der Deutsche Juristinnenbund haben kritisiert, dass deutsche Familiengerichte häufig den Kontaktanspruch des Täters höher bewerten als die Sicherheit von Frauen und Kindern.

Aber eine der furchtbaren Folgen ist, dass es heißt: Ihre Angst ist hier egal.

Auch da kann ich einigen einen guten Beitrag, ein Radiofeature empfehlen, das dazu gemacht wurde. Wenn man sich das anhört; eine Juristin, die das einmal durchgegangen ist, mit Blick auf das Sorgerecht für ihre Tochter und wie es am Ende geendet ist. Die Journalistin, die darüber berichtet, beginnt den Beitrag: „Wenn ich diese Recherchen nicht selber gemacht hätte, hätte ich niemals mein eigenes Feature geglaubt – dass das bei uns in Deutschland noch so möglich ist“.

Denn nach wie vor kann es in Entscheidungen so sein, dass Kinder dazu gezwungen werden, mit Vätern Zeit zu verbringen, von denen sie selbst oder ihre Mütter misshandelt worden sind. Diesen Zustand, diesen Missstand hat die Expertengruppe des Europarats kritisiert.

Auch das ist wieder nicht so einfach, eine einfache Veränderung der jetzigen Gesetzeslage, weil natürlich der Umgang der Kinder mit beiden Elternteilen unglaublich wichtig ist.

Aber es ist ein dickes Brett, was wir aus meiner Sicht metierübergreifend gemeinsam bearbeiten sollen. Genau deswegen haben wir als Bundesregierung diese Empfehlungen ernst genommen, haben eine unabhängige Berichterstatterstelle eingerichtet und wollen in dem Bereich, gerade das Familienministerium, weiter vorangehen, um die Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen weiter einzudämmen.

Warum erzähle ich all diese Beispiele?

Weil ich glaube, weder die Außenpolitik noch das Recht ist dazu da, abstrakt Dinge zu formulieren oder Veränderungen auf den Weg zu bringen. Sondern es geht immer um die Menschen. Es geht immer auch um den Einzelfall. Natürlich leiten wir aus dem Einzelfall noch keine Politik ab. Aber die Summe der Einzelfälle zu sehen, das Licht gerade auf diejenigen, die nicht selbst für sich kämpfen können, ganz, ganz grell zu machen, das ist unser Auftrag und das ist Teil von feministischer Außenpolitik.

Das heißt auch, die dunklen Flecken in Rechtsprechung und Gesetzgebung oder in internationalen Verträgen auszuleuchten.

Das Brett ist dick, deswegen brauche ich auch da weiterhin Ihre Unterstützung. Deswegen bin ich sehr dankbar, jetzt für meinen Bereich der Außenpolitik, dass so viele internationale Juristinnen nicht nur heute hier sind, sondern dass wir in unseren unterschiedlichen Gerichtshöfen international so kompetente Frauen haben, mit denen wir eng zusammenarbeiten und die immer wieder deutlich machen: Es lohnt sich.

Es lohnt sich, auch wenn es Zeit braucht.

--

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Elisabeth selber hat ihren Kampf für Artikel 3 einmal als Sternstunde ihres Lebens bezeichnet. Die Geschichte dieses Satzes zeigt, wie wichtig diese Veränderung ist. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass wir als Auswärtiges Amt das Schutzprogramm nach ihr benannt haben, mit dem wir auf der ganzen Welt gefährdeten Menschenrechtsverteidigerinnen einen sicheren Zufluchtsort bei uns geben. Denn wir brauchen diese internationalen Mitstreiterinnen.

Die im letzten Jahr verstorbene Ehrenpräsidentin des DJB, Lore Maria Peschel-Gutzeit, hat einmal geschildert, wie sie Anfang der 1990er Jahre in der Gemeinsamen Verfassungskommission saß, die im Auftrag von Bundesrat und Bundestag Empfehlungen zur Anpassung des Grundgesetzes abgeben sollte.

Dass sie nämlich genau das erlebt hat, was Elisabeth Selbert vorher bei Artikel 3 erlebt hat und wie wichtig es war, dass sie etliche Zeit später diese Mitstreiterinnen hatte. Denn auch dort war die Ergänzung von Artikel 3 im Grundgesetz, die sie vorschlug, kein Selbstläufer, sondern ist auf heftigen Widerstand gestoßen.

Andere Kommissionsmitglieder haben ihre Vorschläge damals abgetan. Nichts als „Rechtschaos“ wie noch Jahrzehnte davor, sondern, so charmant, als „Quallenfett“. Heute würde man vermutlich sagen „Gedöns“.

Ihr großer Vorteil: Sie hatte nicht nur mehr Mitstreiterinnen hier bei uns in Deutschland, sondern sie konnte auf sehr viele andere Länder verweisen, wo dieses sogenannte „Quallenfett“ offensichtlich zur Stärkung der Gesellschaft und des Rechtes beigetragen hat. Am Ende setzte sie sich bekanntermaßen durch. Deswegen steht heute unter Artikel 3 auch der Satz: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Wir alle wissen, wie wichtig dieser Satz ist. Dass bei jeder Frage, warum denn jetzt, wenn schon zwei Frauen mit dabei sind, noch eine dritte Frau dazukommen müsse, damit man irgendwie auf die 50 Prozent kommt – ob das nicht eine Diskriminierung der Männer sei?

Ich jedenfalls verweise dann jedes Mal auf unser Grundgesetz. Deshalb bin ich sehr, sehr dankbar, dass Frau Peschel-Gutzeit, diesen Satz da mit reingeschrieben hat, um deutlich zu machen: Es ist Verfassungsauftrag, dass wir uns nicht damit begnügen, dass die Frauen schon irgendwie kommen. Weil sie doch noch an einige Decken stoßen, ist es unser staatlicher Auftrag, genau das voranzutreiben und das weiter gemeinsam zu tun. Das ist es, worum es uns allen geht.

Ich möchte zum Abschluss deswegen, weil es ja heute ein Geburtstag ist, die vielen, vielen positiven Dinge, die ich hoffentlich anreißen konnte, die Sie erwähnt haben, nicht unter den Tisch fallen lassen. Wir haben alle gemeinsam so viel erreicht. Sie haben so viel erreicht.

Diejenigen, die seit Jahrzehnten für Gleichberechtigung in Deutschland und für Gleichberechtigung international gekämpft haben. Sie haben damit so viel erreicht für Gerechtigkeit und für Sicherheit, weil Gleichberechtigung, Feminismus, die gleichen Rechte, die gleiche Teilhabe und die gleichen Ressourcen kein Gedöns sind. Sondern sie stärken unsere Demokratie und unsere Gesellschaft.

In diesem Sinne herzlichen Dank für 75 Jahre Frauen- und damit harte Sicherheitspolitik.

Vielen Dank für 75 Jahre Stärkung unseres Landes und Stärkung unserer Demokratie.

Ich freue mich schon darauf, wenn wir in 25 Jahren dann gemeinsam das 100. Jubiläum feiern, dass wir zurückschauen und sagen können: „Ja, ja, da hat es ein bisschen Spott und Häme gegeben. Es brauchte Mut und Ausdauer, aber es hat unser Land besser, stärker und sicherer gemacht.“

Herzlichen Dank.

Schlagworte

nach oben