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Rede von Außenminister Johann Wadephul im Plenum des Ministerrats der OSZE 2025

04.12.2025 - Rede

„Die Teilnehmerstaaten enthalten sich der Androhung oder Anwendung von Gewalt, die gegen die territoriale Integrität irgendeines Staates gerichtet ist.“

Kurz: das Prinzip des Gewaltverzichts. Prinzip Nummer 2 der KSZE-Schlussakte. Eines von zehn Prinzipien, zu denen wir uns – Staaten des damaligen „Westens“ und „Ostens“ – vor 50 Jahren in Helsinki verpflichtet haben. Eines von zehn Prinzipien, die Russland mit seinem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine seit fast vier Jahren allesamt tagtäglich bricht.

Indem sich Russland jeden Tag aufs Neue entscheidet, seinen unprovozierten, menschenverachtenden Krieg gegen das eigene Nachbarland fortzuführen und dessen Souveränität zu missachten. Indem Russland diesen Winter so massiv wie nie zuvor die ukrainische Energieinfrastruktur angreift, um so den Widerstandswillen der Ukrainerinnen und Ukrainer zu brechen. Indem Russland weiter drei ehemalige OSZE-Mitarbeiter illegal in Haft hält – neben zehntausenden ukrainischen Soldaten und Zivilistinnen. Mitarbeiter jener OSZE-Beobachtermission, deren Auftrag bis 2022 darin bestand, die Einhaltung der Waffenstillstandsvereinbarungen zu beobachten.

Und auch während der laufenden Gespräche über einen möglichen Friedensplan zeigt Russland keinerlei ernsthafte Absichten, seinen Angriffskrieg zu beenden. Im Gegenteil: Putin intensiviert seine Rhetorik gegenüber Europa, hält an seinen Maximalforderungen fest und setzt weiter auf militärische Mittel – wie die vergangenen Großangriffe auf Kyjiw erneut verdeutlichen. Denn Russland – unter seinem heutigen Regime – ist kein friedfertiger Staat. Das haben uns die letzten Jahre eindrücklich gezeigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der russische Angriffskrieg richtet sich nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen das Fundament unserer gemeinsamen Sicherheitsordnung. Damit steht die OSZE, die für die Sicherheit Europas geschaffen wurde, vor elementaren Herausforderungen. Aber die russische Aggression ist bei weitem nicht die einzige Herkulesaufgabe, die die OSZE fordert. Weltweit sehen wir eine Vielzahl von Kriegen, Krisen und Konflikten. Für die wir Teilnehmerstaaten allein – jeder für sich – keine belastbaren Lösungen finden können.

Nur wenn wir in internationalen Organisationen zusammenarbeiten, wenn wir auf multilaterale Kooperation setzen, sind wir stark. Daher bin ich überzeugt: Wir brauchen eine flexible und zukunftsfähige OSZE, die auf Dialogbereitschaft, Zusammenarbeit und gemeinsame Prinzipien setzt.

Wenn wir aber die OSZE – als weltweit größte regionale Sicherheitsorganisation, in der wir weiterhin mit den USA, Russland und der Ukraine, den Westbalkanländern und den Staaten des südlichen Kaukasus sowie Zentralasiens an einem Tisch sitzen – stärken wollen, dann müssen wir ehrlich zu uns selbst sein. Dann müssen wir zugeben, dass weitreichende OSZE-Beschlüsse schon seit Langem der Vergangenheit angehören. Dazu gehört auch, dass wir seit 2021 keinen Haushalt mehr verabschieden konnten und aktuell vor Forderungen nach drastischen Kürzungen stehen.

Fakt ist: Unsere Organisation steht unter erheblichem Druck. Das gefährdet unsere Strukturen, die die Weltlage derzeit so dringend fordert – von Feldmissionen über Wahlbeobachtungen, von militärischer Vertrauensbildung und Grenzmanagement bis hin zur Waffenstillstandsüberwachung.

Wie also weiter? Das Gebot der Stunde sind Reformen und auch Einsparungen.

An dieser Stelle möchte ich dem finnischen Vorsitz und der sehr geschätzten Kollegin, Elina Valtonen, sehr herzlich für das Engagement danken. Danke, dass Finnland dieses Jahr genutzt hat, um dringend nötige interne Reformen anzustoßen.

Sehr geehrter Herr Generalsekretär, lieber Feridun Sinirlioğlu, in dieser angespannten Situation bauen wir auch auf Sie. Viele der Einsparwünsche verdienen eine genaue Prüfung – aber natürlich müssen wir gleichzeitig handlungsfähig bleiben.

Deutschland steht fest zur OSZE. Wir sind bereit, diesen Reformprozess auch unter dem kommenden Schweizer Vorsitz mit Ihnen weiter zu beschreiten. Als zweitgrößter Beitragszahler und größter freiwilliger Geber sind wir überzeugt: Ein funktionierendes OSZE-System ist ein Gewinn für die Stabilität und Krisenprävention im gesamten euro-atlantischen Raum.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 50 Jahre ist es her, dass die OSZE – damals noch KSZE – inmitten des Kalten Krieges gegründet wurde. Auch das waren keine einfachen Zeiten. Dennoch gelang etwas Bemerkenswertes: Staaten mit sehr unterschiedlichen politischen Systemen verständigten sich auf gemeinsame Prinzipien und schufen eine dauerhafte Plattform für Dialog und Kooperation. Eine Plattform, die Gespräche auch dann ermöglicht, wenn die Lage aussichtslos erscheint.

Das ist ein historischer Erfolg. Deshalb brauchen wir keine neue Sicherheitsarchitektur. Was wir brauchen, ist das Bekenntnis zu den bestehenden Verpflichtungen und den politischen Zusagen, die wir vor einem halben Jahrhundert gemeinsam eingegangen sind. Und v.a. deren tatsächliche und vorbehaltlose Umsetzung!

Ich danke Ihnen.

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