Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede von Außenminister Wadephul bei der Preisverleihung der Mittelstands- und Wirtschaftsunion an das Ukrainische Volk
Es gibt Sätze, die haben sich in das politische Gedächtnis unseres Kontinents eingebrannt.
Sätze voller Mut. Sätze voller Entschlossenheit.
Gesagt an historischen Wegmarken.
In Momenten größter Ungewissheit.
„I have nothing to offer but blood, toil, tears and sweat“
Winston Churchill im House of Commons, 13. Mai 1940.
„Ich bin ein Berliner“
John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus, 26. Juni 1963.
Meine Damen und Herren,
ich glaube, wir alle die wir hier sitzen, können dieser Sammlung mindestens einen weiteren Satz hinzufügen.
„I need ammunition, not a ride.“
Wolodymir Selenskyj in Kyjiw, 26. Februar 2022.
Führen wir sich alle noch einmal die Szenerie vor Augen: Nach Wochen und Monaten von immer deutlicheren russischen Kriegsvorbereitungen steht die ukrainische Hauptstadt unter Beschuss.
Russische Truppen sind mit einzelnen Stoßtrupps bis an die Stadtgrenze vorgerückt.
Manche von ihnen mit einem ganz klaren Auftrag:
den Präsidenten der freien Ukraine im Regierungsviertel zu töten und durch eine Marionette des Kremls zu ersetzen.
Noch rechnen Militäranalysten an vielen Orten der Welt nicht damit, dass die Ukraine dem russischen Ansturm lange wird standhalten können.
Falschinformationen sind im Umlauf.
Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Flucht.
Eine historische Wegmarke. Ein Moment größter Ungewissheit.
Ein Moment existenzieller Krise für die Ukraine.
Und in dieser Situation bieten die USA Präsident Selenskyj am Telefon an, ihn bei der Evakuierung aus der Hauptstadt zu unterstützen.
Ihm zu helfen sein Leben zu retten.
Und was macht er? Er sagt klar und deutlich ab.
Er stellt sich im Halbdunkeln auf die Straßen Kyjiws und sagt seinem Volk nur zwei Worte:
„Президент тут.“ – der Präsident ist hier.
Mit diesem Mut sendet Präsident Selensky in diesen ersten, entscheidenden Kriegstagen ein unmissverständliches Signal an seine Landsleute – und an die Welt.
Wir laufen nicht weg, wir verstecken uns nicht.
Wir müssen uns nur an diese ersten Kriegstage erinnern, um allen hier bewusst zu machen, worum es in diesen Tagen, fast vier Jahre später, auf dem europäischen Kontinent geht.
Darum, zu einem Frieden zu kommen, der gerecht und vor allem dauerhaft ist.
Wir sind in Europa dankbar für das Engagement und den Nachdruck, mit dem unsere amerikanischen Partner um einen Frieden in Europa bemüht sind, um ein Ende des Sterbens.
Und zugleich muss klar sein: Entscheidungen, die die Sicherheit Europas und die der Ukraine betreffen, können nur mit der Beteiligung Europas und der Ukraine getroffen werden.
Dasselbe gilt für Entscheidungen über die Zukunft der NATO und der EU.
Die Gespräche, die wir in den letzten Tagen in Genf hierzu geführt haben, und die der Herr Bundeskanzler hierzu in Südafrika und Angola geführt hat, haben uns hierbei entscheidende Schritte weitergebracht.
Und ohne, dass ich heute und hier über Details sprechen kann, müssen wir zunächst einmal nüchtern konstatieren: die Ukraine will Frieden. Europa will Frieden.
Aber: ob dieser Krieg bald endet, ob wir zunächst einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand als ersten Schritt erreichen, das wissen wir heute nicht.
Denn es hängt zuallererst an Russland, einem Staat, der die Ukraine seit 11 Jahren mit Gewalt überzieht.
Einem Staat, der in seiner heutigen Form kein friedfertiger Akteur ist.
Ein Akteur, dem sich das ukrainische Volk entgegenstellt.
Wir ehren die Ukraine, die Ukrainerinnen und Ukrainer heute für Ihren Mut.
Für ihren Mut zur Freiheit.
Für die Entschlossenheit, für diese Freiheit zu kämpfen.
Für ihre Unbeugsamkeit gegenüber Aggression, Gewalt und blanker Menschenverachtung.
Wir ehren ein Land, dass sich für Europa, für die Demokratie entschieden hat.
Das sagt: „Українці тут.“ – „Die Ukrainer sind hier“.
Seit 1371 Tagen. Seit nahezu vier Jahren.
Und ich spreche selbstverständlich nicht nur vom Präsidenten.
Ich spreche von den Soldatinnen und Soldaten, die im Osten des Landes, im Süden, unter schwierigen Bedingungen die Stellung halten.
Von den Feuerwehrleuten, den Sanitätern und dem Zivilschutz, die Tag für Tag Bilder des Grauens erleben – und doch immer wieder nach Angriffen ausrücken.
Ich spreche von den Kindern, denen es in manchen Städten zur Gewohnheit geworden ist, in U-Bahn-Schächten zur Schule oder in Bunkern zum Kindergarten zu gehen.
Ich spreche von ganz normalen Menschen, die weiter machen – der Grundschullehrerin, dem Straßenarbeiter, der Journalistin.
Meine Damen und Herren,
die russische Aggression richtet sich unmittelbar gegen die Ukraine.
Aber sie meint uns hier in Europa.
Die imperialen Ambitionen Putins gehen über die Ukraine hinaus.
Und das bedeutet: der Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer ist einer für ganz Europa.
Es ist ein Kampf bei dem wir, an der Seite der Menschen in der Ukraine bleiben.
Wir sind die Anwälte der Ukraine in der Welt.
Deutschland wird in diesem Jahr der größte Unterstützer der Ukraine sein.
Mit zusätzlicher Hilfe bei der Luftverteidigung.
Mit einer Aufstockung unserer Finanzmittel für die bilaterale militärische Unterstützung der Ukraine
Mit Unterstützung beim Schutz und bei der Reparatur von Energieanlagen.
Meine Damen und Herren,
wir sagen häufig, die Ukraine führe diesen Krieg, um ihre Freiheit zu bewahren.
Um die Gültigkeit des modernen Völkerrechts zu bewahren.
Den Frieden in Europa.
Nun bin ich bekanntermaßen ein konservativer Politiker.
Aber ich bin der festen Überzeugung: es wäre ein Irrglaube zu denken, dass es in der Ukraine nur um das Bewahren geht.
Denn dieser Krieg hat heute Europa schon verändert.
Europa nach dem russischen Angriffskrieg wird ein anderes sein.
Ein größeres, ein stärkeres Europa.
Ein Europa, das den Preis der Freiheit kennt, und den Wert des Mutes.
Das bereit ist, sich zu verteidigen gegen den russischen Aggressor.
Ein Europa das – in Abwandelung des Wortes von Präsident Selenskyj – sagt:
„Європа тут.“
Hier ist Europa.
Und dafür ist es mir eine Ehre, Ihnen, sehr verehrter Herr Botschafter, heute den Deutschen Mittelstandspreis in der Kategorie „Politik“ stellvertretend für Ihr ganzes Land zu übergeben.