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Rede von Außenminister Wadephul anlässlich des Empfangs zum Tag der Deutschen Einheit in Damaskus

30.10.2025 - Rede

Berlin. Der 9. November 1989. Ein Tag, der Deutschland, der Europa fundamental veränderte. Die Berliner Mauer, eine schier unüberwindbare Grenze, fiel. Eine Grenze, die über Jahrzehnte deutsche Familien voneinander getrennt und unser Land in Ost und West geteilt hatte. Ich erinnere mich – wie fast alle Deutschen, die diesen Moment selbst miterlebt haben – als wäre es gestern gewesen. Ich hätte mir damals nie vorstellen können, meine Tante, meinen Onkel, meine Cousinen, die Familien, die dazugehörten, einmal bei mir zu Hause begrüßen zu können. Denn in der Zeit der Teilung konnte nur ich als West-Deutscher in den Osten, in die DDR, einreisen. Andersrum ging es nicht. Stacheldraht, eine Mauer, Minen verhinderten es, dass deutsche Familien zusammenkommen konnten. Und dann gab‘ es diesen Tag, an dem die Mauer fiel.

Und ich bin mir sicher: alle Syrerinnen und Syrer hier im Raum kennen dieses ungläubige, unvergleichbare und unvergessliche Gefühl. Das Gefühl von Hoffnung, von Aufbruchstimmung, von einem lang ersehnten Neubeginn – aber auch von einem Bangen, ob die neue Freiheit bleibt, ob sie genug Unterstützung findet von innen und auch von außen. Genauso wie der Fall der Berliner Mauer für Deutschland markiert der 8. Dezember 2024 für Syrien einen Wendepunkt in der Geschichte. Der Tag, an dem die mehr als 50 Jahre andauernde Terrorherrschaft der Assad-Regime endete und tausende Syrerinnen und Syrer weltweit auf den Straßen jubelten. Ein Moment, der als Beginn eines neuen syrischen Kapitels in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Am Anfang stand – in Deutschland wie in Syrien – unendliche Freude, Mut und Hoffnung.

In Deutschland folgte auf den Mauerfall, weniger als ein Jahr später, eben der 3. Oktober 1990, der Tag der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland. Aber der Weg zur vollständigen, gesellschaftlichen Wiedervereinigung war – und ist – nicht immer leicht. Es war ein Prozess vo.ll intensiver Arbeit, geprägt von politischen .Herausforderungen und wirtschaftlichen Unsicherheiten – gerade für die Menschen in Ostdeutschland. Und manche gesellschaftlichen Gräben haben wir bis heute nicht vollständig überwunden. Und das, obwohl wir in Deutschland bald genauso lange in einem Land wieder verbunden sind, wie wir getrennt waren.

Was ich damit sagen möchte: Als Deutscher kann ich nachempfinden, wie groß die Herausforderung ist, vor der Sie jetzt in Syrien stehen. Syrien steht vor dem herausfordernden Prozess des wirtschaftlichen Aufbaus und der gesellschaftlichen Versöhnung. Der lange Bürgerkrieg und die jahrzehntelange Diktatur haben tiefe Wunden hinterlassen. Und Syrien braucht Partner und Freunde. Daher möchte ich Ihnen allen heute sagen: Auf diesem langen Weg des Zusammenwachsens – auf dem Weg in Richtung Freiheit, Wohlstand und Sicherheit – ist Deutschland bereit, Syrien mit seiner Erfahrung zu begleiten und zu unterstützen.

Freiheit, lassen Sie mich damit beginnen, ist die Grundlage einer jeden demokratischen Gesellschaft. Und Freiheit bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Unterdrückung, sondern auch das Mitwirken der verschiedenen Gesellschaftsteile am politischen Leben. Mit ein Grund, weshalb sich Deutschland über Jahre hinweg standhaft gegen das Assad-Regime gestellt und keine Normalisierung zugelassen hat. Und schon heute sehe ich: Syrien ist viel freier als noch vor einem Jahr. Aber wir wissen, dass die syrische Freiheit weiter wachsen, dass der politische Prozess noch inklusiver und partizipativer werden muss. In diesem Sinne freue ich mich, auf den heutigen Austausch mit Ihnen.

Freiheit schafft Perspektiven. Damit die Syrerinnen und Syrer ihre Zukunft aber wirklich selbst gestalten können, braucht es auch Wohlstand. Das ist mein zweiter Punkt. Ich begrüße es daher, dass die Europäische Union im Mai die Wirtschaftssanktionen gegen Syrien aufgehoben hat. Dafür konnte ich mich als frisch ernannter Außenminister im Rahmen der europäischen Außenminister sofort einsetzen. Zum Glück mit Erfolg. Um der wirtschaftlichen Entwicklung in Syrien den Weg zu ebnen und Zukunftsperspektiven zu schaffen, haben wir das gemacht. Und ich will es ganz deutlich sagen: Deutschland setzt auf eine gute Zukunft Syriens, Deutschland setzt auf intensive Wirtschaftsbeziehungen. Deshalb begleiten mich heute auch Vertreterinnen und Vertreter deutscher Unternehmen, die daran interessiert sind, am Wiederaufbau Syriens mitzuwirken. Gleich im Anschluss werden sie entsprechende Absichtserklärungen unterschreiben. All das zusammen sind wichtige Schritte in Richtung eines neuen syrischen Wohlstands.

Aber ohne Sicherheit – das ist mein dritter Punkt heute – können Freiheit und Wohlstand nicht dauerhaft florieren. Wenn ich von Sicherheit spreche, dann meine ich nicht nur das Ausbleiben von Gewalt, sondern auch stabile staatliche Institutionen. Mich hat heute sehr beeindruckt, dass der syrische Präsident, mit dem ich heute sprechen konnte, immer wieder gesagt hat: „Wir setzen uns dafür ein, dass das staatliche Gewaltmonopol gilt.“ Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine rechtsstaatliche Entwicklung, das freut mich sehr. Sicherheit heißt aber auch Kampf gegen den Terrorismus, die Aufarbeitung begangenen Unrechts und die gesellschaftliche Versöhnung. Deutschland hat in den letzten 14 Jahren mehr als 13 Milliarden Euro in humanitäre Hilfe und Stabilisierung in Syrien investiert. Wir sind auch weiterhin bereit, Syrien auf dem Weg in Richtung Sicherheit zu unterstützen.

Meine Damen und Herren, Deutschland lag nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern, war isoliert und zerrissen. Und die Wahrheit ist: Ohne Unterstützung, ohne Partner und Freunde wäre uns in Deutschland der Wiederaufbau und die Wiedervereinigung nicht gelungen. Diese Erfahrung prägt unser Handeln bis heute.

Deshalb stehe ich hier heute als Freund Syriens. Vor allem, weil ich mir wünsche, dass auch in Syrien – wie damals in Deutschland – wieder zusammenwächst, was zusammengehört.

Aber auch, weil über eine Million Syrerinnen und Syrer heute in Deutschland leben und ein Bestandteil unserer Gesellschaft geworden sind. Weil unsere beiden Länder dadurch eng mit einander verwoben sind. Ich freue mich, dass einige von Ihnen in Deutschland gelebt und gearbeitet haben und ihre Erfahrungen aus Deutschland nun für den Wiederaufbau in Syrien einbringen. Danke, dass sie mit Ihrem Engagement die Brücken zwischen unseren beiden Gesellschaften kräftigen.

Der Tag der Deutschen Einheit ist für uns Deutsche nach wie vor eine große Freude. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass auch Sie in 35 Jahren mit Freude zurückblicken können. Auf Syriens Weg zu Freiheit, Wohlstand und Sicherheit.

Auf die Deutsche und die Syrische Einheit!

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