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Interview von Außenminister Johann Wadephul mit der Funke Mediengruppe

01.10.2025 - Interview

Erschienen am 01.10.2025

Frage:

Herr Minister, Russland verschärft seine Provokationen gegen die NATO, auch gegen Deutschland. Nach den neuen Drohnen-Vorfälle sind viele Bürger besorgter denn je. Sie auch?

Johann Wadephul:

Wenn wir unbesorgt wären, wären wir unaufmerksam. Das können wir uns nicht erlauben. Aber das heißt nicht, dass man sich von Sorge zerfressen lassen muss. Wir müssen aufmerksam sein und reaktionsfähiger werden. Das ist ein Prozess. Aber in der Analyse des russischen Verhaltens sind wir sehr klar.

Frage:

Wie lautet die Analyse?

Johann Wadephul:

Russland testet uns jetzt und möchte wissen, was wir uns gefallen lassen. Es sind Eingriffe in unsere Souveränität, deshalb müssen wir reagieren können. Gerade im Bereich der Luftverteidigung werden wir also zusätzliche Fähigkeiten aufbauen.

Frage:

Die bisherigen Reaktionen scheinen Wladimir Putin nicht beeindruckt zu haben. Er macht ja immer weiter. Müsste man nicht nur abwehren, sondern auch abschrecken?

Johann Wadephul:

Ich finde, wir haben sehr angemessen reagiert. Jetzt zu überziehen wäre ein Fehler. Wir erleben es ja schon bei der verbalen Auseinandersetzung, dass Russland versucht, den Spieß umzudrehen – das wäre erst recht der Fall, wenn wir jetzt mit Waffengewalt reagieren würden. Es ist ja gerade das Ziel von Putin, Unruhe zu stiften. Die beste Antwort darauf ist ruhig zu bleiben. Gleichzeitig darf man nicht davon ausgehen, dass Putin einfach so zurückstecken wird. Wirkungsvolle Abschreckung setzt voraus, dass wir uns zum einen technisch dafür ausrüsten. Im Inland müssen wir zudem auch die rechtlichen Grundlagen schaffen, um etwa Drohnen abzuwehren. Daran arbeitet jetzt das Bundesinnenministerium mit entsprechenden Gesetzentwürfen.

Frage:

Sollte die Bundeswehr mehr Befugnisse zum Abschuss von Drohnen erhalten?

Johann Wadephul:

Das muss nicht zwangsläufig die Bundeswehr sein. Wenn Drohnen über kritischer Infrastruktur in Deutschland kreisen, dann ist das zuallererst Gefahrenabwehr. Das kann auch die Polizei machen. Man muss es klären, ob die Landes- oder die Bundespolizei reagieren soll, auf welcher rechtlichen Grundlage und mit welchen technischen Mitteln. Wir müssen wissen, was wir können und was wir dürfen, wenn derartige Dinge passieren.

Frage:

Hat die Bedrohungslage Konsequenzen für den neuen Wehrdienst? Muss die Wehrpflicht doch schneller und verbindlicher kommen?

Johann Wadephul:

Ich habe das schon mehrfach gesagt und ich bleibe dabei: Ich bin für die sofortige Wehrpflicht! Aber das müssen wir in der Koalition miteinander besprechen. Die Regierung hat Vorschläge gemacht, jetzt sollen die Fraktionen verhandeln und entscheiden, wie das Gesetz aussieht. Und dabei sind natürlich die Gesamtumstände zu berücksichtigen.

Frage:

Der ukrainische Präsident Selenskyj warnt, dass Putin einen Angriff auf ein weiteres europäisches Land noch während des Ukraine-Krieges plane. Ist das übertrieben?

Johann Wadephul:

Wir rechnen damit, dass Ende des Jahrzehnts die Möglichkeit eines russischen Angriffs besteht. Wir müssen also unsere Verteidigungsanstrengungen beim Material und beim Personal verstärken, aber es gibt keinen Anlass zur Panik. Wir sind mit unseren Nachrichtendiensten jederzeit in der Lage, das militärische Verhalten Russlands zu überwachen.

Frage:

Ihr US-Kollege Rubio hat sich in New York mit dem russischen Außenminister Lawrow getroffen. Wäre es nicht auch Zeit für Sie, mit Lawrow zu sprechen?

Johann Wadephul:

Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich darin keinen Sinn. Die USA und Russland sind ständige Mitglieder im Sicherheitsrat, schon daher gibt es direkte Verbindungen. Was wir von Herrn Lawrow in New York gehört haben, lässt kein ernsthaftes, fruchtbares Gespräch erwarten. Seine Rede in der UN-Generalversammlung war der ruchlose Versuch, Geschichte umzuschreiben. Man muss erstmal auf die Idee kommen, einen Krieg anzufangen und dann den Unterstützern der Gegenseite vorzuwerfen, sie seien aggressiv. Aber so ist Putins Russland. Erst wenn sich daran glaubhaft etwas ändert, ist es sinnvoll, miteinander zu sprechen.

Frage:

US-Präsident Trump erweckt den Eindruck, er habe seinen Kurs im Ukraine-Krieg geändert. Er traut der Ukraine große Rückeroberungen zu, hält Russland für schwach. Ist diese Kehrtwende belastbar?

Johann Wadephul:

Für die Ukraine ist das ein Hoffnungszeichen. Präsident Trump und mit ihm die US-Administration haben feststellen müssen, dass Russland den Krieg fortführt, obwohl Trump ja mit dem Alaska-Gipfel schon erhebliche Anstrengungen unternommen hat, um den Krieg zu beenden. Trump lässt sich nicht an der Nase herumführen. Ich gehe davon aus, dass die USA Sanktionen gegen Russland verhängen werden. Es gibt verschiedene Pakete und Vorschläge, die die USA schon gebündelt haben. Europa bereitet unabhängig davon eine Verschärfung seiner Sanktionen vor.

Frage:

Kann die Ukraine Russland besiegen oder geht es am Ende doch um eine Verhandlungslösung?

Johann Wadephul:

Praktisch jeder Krieg endet mit einer Verhandlungslösung. Die Frage ist nur, zu welchen Konditionen. Die Ukraine hat bereits gezeigt, dass sie russisch besetzte Gebiete zurückerobern kann. Ob und in welcher Weise das möglicherweise für das gesamte ukrainische Staatsgebiet gilt, halte ich heute für spekulativ. Es geht nicht darum, eine jahrelange Fortsetzung des Krieges zu fördern, sondern zu erreichen, dass möglichst schnell die Waffen schweigen und das Sterben aufhört.

Frage:

Deutschland will mehr Verantwortung übernehmen in der Welt, das haben Sie in der UN-Generalversammlung angekündigt. Was heißt das für uns? Wird es teurer, wird es gefährlicher?

Johann Wadephul:

Unsere Interessen in der Welt zu wahren, hat einen Preis. Der Preis, das nicht zu tun ist aber viel höher. Die Vereinten Nationen leiden darunter, dass sich andere zurückziehen, insbesondere die USA. Das darf Deutschland als zweitgrößter Geber nicht auch noch machen. Wir werden die USA nicht ersetzen können, aber wir sollten schauen, wo es sinnvoll ist, eine Schippe draufzulegen. Aus deutscher Sicht ist es gut angelegtes Geld, in die regelbasierte Ordnung zu investieren.

Frage:

Muss das Konsequenzen für den nächsten Bundeshaushalt haben?

Johann Wadephul:

Daran muss tatsächlich noch gearbeitet werden, das ist Gegenstand der Haushaltsberatungen. Wir müssen prüfen, ob wir mehr in unsere weltweiten Interessen investieren können. Humanität und deutsche Interessen sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Die Gefahrenabwehr und das Verhindern von weiteren Flüchtlingsströmen ebenso. Wir können diese Punkte miteinander verbinden, wenn wir unser Interesse an umfassender Zusammenarbeit deutlich machen. Es eröffnen sich auch große Chancen für Deutschland, eben weil sich andere aus ihrem Engagement zurückziehen. Diese Chancen müssen wir ergreifen, etwa durch Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik, aber auch wirtschaftlich, bei der Versorgung unserer Unternehmen mit Rohstoffen, etwa mit seltenen Erden. Oder indem wir neue Handelspartner gewinnen und neue Absatzmärkte erschließen.

Frage:

Wie sind die Reaktionen auf ihre Ambitionen, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Johann Wadephul:

Ich stelle eine große Offenheit gegenüber unserem Land fest. Viele Länder erwarten von uns, dass wir eine Führungsrolle übernehmen. Sie wollen, dass wir uns engagieren und auch in Konflikten vermitteln. Wir werden nicht alle Erwartungen erfüllen können. Ich setze mich aber für einen pragmatischen Ansatz ein, der unsere und die europäischen Interessen definiert und mit den Sorgen und dem Streben anderer Länder verbindet.

Frage:

Sie haben in New York erlebt, dass Deutschland mit der Ablehnung einer Anerkennung Palästinas jetzt eher eine Außenseiterposition einnimmt. Wie bitter ist das?

Johann Wadephul:

Wenn unsere Position der Sicherheit Israels dient, dann ist sie richtig. Wir sind in der Frage der Gaza-Politik jedoch sehr klar, wir haben deshalb ja auch das teilweise Waffenembargo gegen Israel verhängt. Und wir haben die Zwei-Staaten-Konferenz in der Sache unterstützt, denn wir sind überzeugt, dass allein die Zweistaatenlösung langfristig Frieden und Stabilität und die Achtung der Menschenrechte auf beiden Seiten gewährleisten kann. Wir haben also eine hilfreiche Position, für Israelis und Palästinenser gleichermaßen. Praktisch alle arabischen Nachbarstaaten erkennen das an und haben während der UN-Generalversammlung das Gespräch mit mir gesucht.

Frage:

Kann Deutschland als Vermittler auftreten zwischen arabischen Staaten und Israel?

Johann Wadephul:

Ich nehme eine vermittelnde Position ein. Hauptvermittler im Gazastreifen sind aber die USA. Ich unterstütze dabei.

Frage:

Israel akzeptiert den Plan von US-Präsident Donald Trump zur Beendigung des Gaza-Kriegs mit der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas. Könnte jetzt ein Waffenstillstand bevorstehen?

Johann Wadephul:

Ich bin durch die Entwicklungen der letzten Tage verhalten optimistisch. Der US-Plan für Gaza bietet Hoffnung auf ein Ende der Kämpfe, auf ein Ende des Leids und auf die Freilassung der Geiseln. Diese Chance muss die Hamas nun ergreifen. Wir haben die Verhandlungen von Anfang an mit zahlreichen Gesprächen begleitet. Mit unseren amerikanischen, arabischen und europäischen Partnern eint uns ein gemeinsames Ziel: dauerhafte Sicherheit für Israel und eine politische Perspektive für die Palästinenserinnen und Palästinenser. Gleichzeitig ist klar, dass auch die jetzt vorgeschlagene Lösung nicht unmittelbar umzusetzen sein wird. Es stellen sich sehr viele drängende Fragen des Wie: Wie wird der Gazastreifen zukünftig verwaltet? Wie wird für Sicherheit gesorgt? Wie wird die humanitäre Versorgung wieder hergestellt? Wie wird der Wiederaufbau organisiert? Das wird ein mühsamer Prozess bleiben.

Frage:

Welche Rolle kann Deutschland beim Waffenstillstand spielen?

Johann Wadephul:

Wir stehen bereit, die Umsetzung des Plans ganz konkret zu unterstützen. Wir können viel dazu beitragen, einige der eben genannten, operativen Fragen zu lösen. Wir haben zugesagt, uns am Wiederaufbau des Gazastreifens zu beteiligen, das wird das Außenministerium gemeinsam mit dem Entwicklungsministerium machen. Auch damit geben wir einen Anreiz zur Einigung.

Frage:

Was können Sie jetzt tun, um die deutschen Geiseln zu retten?

Johann Wadephul:

Der US-Plan läuft darauf hinaus, dass alle noch in Geiselhaft befindlichen Menschen freikommen. Es gibt dabei keine Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit. Alle Geiseln müssen jetzt freikommen. Es geht allen Geiseln dermaßen schlecht, dass sich alles darauf konzentrieren muss, sie schnellstmöglich aus den Händen der Hamas zu bekommen.

Frage:

Sie haben viel Zeit investiert in Bemühungen, den Konflikt um das Atomprogramm des Iran zu entschärfen. Das ist nicht gelungen. Wie enttäuscht sind Sie?

Johann Wadephul:

Es ist vor allem für die Menschen in Iran ein Schlag. Das Regime hat folgenreiche Fehlentscheidungen getroffen. Ich wollte mir nicht vorwerfen müssen, dass wir nicht alles versucht hätten, dieses neue UN-Sanktionsregime zu verhindern und eine Verhandlungslösung zu finden. Jetzt ist es wieder in Kraft gesetzt worden, eine Alternative gab es nicht. Der Iran darf niemals in den Besitz einer Atomwaffe kommen. Iran hat es in den Verhandlungen an Glaubwürdigkeit und an Transparenz fehlen lassen. Die Sanktionen werden die iranische Wirtschaft empfindlich treffen. Meine Hoffnung ist, dass das Regime in Teheran jetzt eine neue Richtung einschlägt. Deshalb bleibt unser Angebot auf dem Tisch, Verhandlungen wieder aufzunehmen.

Frage:

Besteht aber nicht die Gefahr, dass der Iran jetzt Tempo macht beim Bau der Atombombe?

Johann Wadephul:

Ganz kurzfristig wird das nicht möglich sein nach den militärischen Aktionen Israels und der USA. Aber letztlich ist das natürlich zu befürchten, deshalb setzen wir uns auch weiter für eine Verhandlungslösung mit Iran ein, um diese Frage dauerhaft zu lösen.

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