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Rede von Außenminister Wadephul in der Generaldebatte der 80. Generalversammlungder Vereinten Nationen
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
ich freue mich sehr, Sie zu sehen.
Und es ist mir eine Freude, Sie in dieser neuen Rolle zu sehen.
Exzellenzen,
am 10. Dezember 1932 wurden Albert Einstein und seine Frau von einem Freund in ihrem Haus in der Nähe von Berlin abgeholt. Gemeinsam reisten sie in die deutsche Hafenstadt Bremen. Dort bestiegen Albert und Elsa Einstein ein Schiff nach Nordamerika.
Er hatte vor, eine dreimonatige Gastprofessur am California Institute of Technology anzunehmen. Albert Einstein – einer der größten Physiker aller Zeiten – sollte nie wieder nach Deutschland zurückkehren. Nur wenige Wochen später kamen die Nationalsozialisten an die Macht.
Exzellenzen,
die Konferenz von San Francisco und die Gründung der Vereinten Nationen jähren sich in diesem Jahr zum 80. Mal. Der Holocaust und der von Deutschland begonnene Weltkrieg haben uns gelehrt, dass die Verleugnung der Menschenwürde Leben, Nationen und Kulturen zerstört.
Die Gründer der Vereinten Nationen kamen in dem Glauben zusammen, dass die Verteidigung der Freiheit die Menschlichkeit stärkt, die uns verbindet. Es war der Glaube an eine Weltordnung, die meinem Land die Chance gab, sich für Frieden, Wohlstand und Sicherheit einzusetzen – in der Völkerfamilie. In den Vereinten Nationen.
Als Deutsche sind wir zutiefst dankbar für diese Chance.
Doch es bedeutet auch, dass wir uns für diese, für unsere Vereinten Nationen in besonderem Maße verantwortlich fühlen. Albert Einstein schrieb 1947: „Keine internationale Organisation kann stärker sein, als ihre Mitglieder es wollen.“
Mit anderen Worten: Es liegt an uns, den Mitgliedstaaten.
Wir sind die Vereinten Nationen. Wir wollen, dass diese Vereinten Nationen stark sind.
Heute bewirbt sich mein Land erneut um einen Sitz als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat für den Zeitraum 2027–28. Dies erfolgt in einer Zeit beispielloser Instabilität und Umbrüche.
In Sudan und seinen Nachbarländern erleben wir die schlimmste humanitäre Katastrophe unserer Zeit: Über 30 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe. Über 12 Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen. Wir alle müssen mehr tun, um dieser Tragödie ein Ende zu setzen. Die Sicherheit der gesamten Region steht auf dem Spiel.
Der schreckliche Krieg in Gaza tobt weiter. Es ist die Hölle auf Erden. Ein humanitärer Albtraum, während wir hier sprechen. Dieser Krieg muss beendet werden. Die Geiseln müssen freigelassen werden. Die Existenz und die Sicherheit Israels werden immer Teil unserer Staatsräson sein.
Es muss eine Zukunft in Frieden und in Würde für alle Menschen im Nahen Osten geben. Wie wir diese Woche in diesem Saal bekräftigt haben: Zwei Staaten für zwei Völker. Die einzige Lösung. Ich würdige all jene, die sich weiterhin unermüdlich für einen Weg hin zum Frieden einsetzen, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika.
Iran hat ein Netzwerk bösartiger Stellvertreterkräfte geschaffen und bewaffnet, die die Region destabilisieren. Darüber hinaus betreibt er seit vielen Jahren ein Atomprogramm, das weit über jede plausible zivile Nutzung hinausgeht.
Für uns ist von zentraler Bedeutung, dass Iran niemals in den Besitz einer Atomwaffe kommen darf. Da Iran seinen Verpflichtungen aus dem 2015 vereinbarten Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplan eindeutig nicht nachkommt, hatten wir keine andere Wahl, als den „Snapback“ der Sanktionen auszulösen. Nach einer eindeutigen Abstimmung im Sicherheitsrat gestern werden die Sanktionen im Laufe des heutigen Tages wieder in Kraft treten.
Doch ich möchte betonen: Wir bleiben offen für Verhandlungen über eine neue Vereinbarung. Diplomatische Bemühungen können und sollten fortgeführt werden.
Auf meinem eigenen Kontinent, in Europa, führt Russland einen Angriffskrieg gegen seinen souveränen Nachbarn, die Ukraine. Es ist ein Krieg, den die Ukraine in keiner Weise provoziert hat. Ein Krieg, der die Missachtung der grundlegendsten aller Regeln der VN-Charta vor Augen führt: dass „alle Mitglieder jede gegen die territoriale Unversehrtheit eines Staates gerichtete Anwendung von Gewalt unterlassen“. Eine Regel, für deren Einhaltung die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats eine besondere Verantwortung tragen.
Während wir uns auf die aktuellen sicherheitspolitischen und humanitären Krisen konzentrieren, sind wir uns bewusst, dass diese durch die globalen Krisen der Umweltverschmutzung, des Klimawandels und des Verlusts der biologischen Vielfalt verschärft werden – allesamt Krisen, die die Gefahr bergen, mehr Instabilität, mehr Konflikte um Ressourcen und den Verlust von mehr Menschenleben und Lebensgrundlagen mit sich zu bringen.
Mit 80 Jahren sieht sich unsere geschätzte Organisation großen Herausforderungen gegenüber: einer Haushaltskrise, einer Krise des Multilateralismus und einer Missachtung des Völkerrechts.
In dieser Zeit der Krisen haben wir uns drei zentrale Ziele gesetzt. Diese stehen seit Jahrzehnten im Mittelpunkt der Arbeit Deutschlands bei den Vereinten Nationen und fassen unsere Sicherheitsratskandidatur zusammen: Gerechtigkeit. Frieden. Respekt.
Seit unserem Beitritt zu den Vereinten Nationen vertreten wir beharrlich die Auffassung, dass Gerechtigkeit Entwicklung bedeutet.
„Wo Hunger herrscht, ist auf Dauer kein Friede“, sagte Bundeskanzler Willy Brandt 1973 in seiner ersten Rede vor den Vereinten Nationen.
Gerechtigkeit erfordert, dass jeder Mensch Zugang zu Nahrung, zu sauberem Wasser, zu Bildung und zu Gesundheitsversorgung hat.
Deutschland ist zweitgrößter Beitragszahler für das VN-System. Wir sind einer der größten Geber mit Blick auf humanitäre Hilfe für Gaza. Wir werden weiterhin Hilfe über etablierte Partner leisten, die im Einklang mit humanitären Grundsätzen arbeiten – darunter auch die VN.
Diese Hilfe muss zu den Menschen gelangen, die sie am dringendsten benötigen. Wir wiederholen unseren dringenden Appell an Israel, einen sicheren Zugang für humanitäre Hilfe zu ermöglichen.
Wir unterstützen die Arbeit des UNHCR in Flüchtlingslagern in Sudan und in den Nachbarländern. Über das UNHCR unterstützen wir Länder dabei, Geflüchteten Unterkünfte, Nahrung und medizinische Dienste zur Verfügung zu stellen.
Und wir bemühen uns darum, den Menschen eine langfristige Perspektive zu geben. Ich habe selbst gesehen, wie Bürgerinnen und Bürger aus Mariupol in einem vom UNHCR in der Stadt Dnipro eingerichteten Zentrum Zuflucht finden konnten. Oder wie Vertriebene in der Bekaa-Ebene im Libanon dank der Unterstützung des UNHCR in ihre wiederaufgebauten Gemeinden zurückkehren konnten.
Zum Konzept der Gerechtigkeit gehört auch die Bekämpfung des Klimawandels. Ich komme selbst aus einer Küstenregion im Norden Deutschlands und kenne die Risiken und Folgen des steigenden Meeresspiegels aus erster Hand.
Ich kann jenen, deren Sicherheit und Lebensgrundlagen bereits heute durch den Klimawandel gefährdet sind, versichern: Wir sind und bleiben an Ihrer Seite.
Klimagerechtigkeit bedeutet, die am stärksten Betroffenen zu unterstützen, ihnen bei der Anpassung und bei der Bewältigung der Verluste zu helfen, mit denen sie bereits konfrontiert sind. Es bedeutet, die Emissionen weltweit deutlich zu reduzieren und das 1,5-Grad-Ziel in Reichweite zu halten. Deutschland wird hierbei ein verlässlicher Partner sein. Wir halten an unserem Ziel fest, bis 2045 klimaneutral zu sein.
Exzellenzen,
Gerechtigkeit. Frieden. Respekt. Vor 35 Jahren sind wir das Versprechen eingegangen, dass ein wiedervereinigtes Deutschland auf Frieden und Stabilität hinarbeiten wird.
Unsere Beiträge zur Friedenssicherung und Friedenskonsolidierung sind der Beweis dafür, dass wir dieses Versprechen halten. Deutsche Soldatinnen und Soldaten, deutsche Polizeikräfte und deutsches Personal haben in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten an 14 Friedensmissionen teilgenommen.
Derzeit leitet das deutsche Militär die maritime Komponente von UNIFIL vor der Küste Libanons. Deutsches Militärpersonal unterstützt UNMISS und MINURSO. Und wir leisten einen finanziellen Beitrag zur Sicherheit Haitis, wo Banden die Zivilbevölkerung terrorisieren – eine Situation, in der die VN eine wesentliche Rolle für Frieden und Sicherheit spielen.
Wir sind stolz darauf, dass hochqualifizierte deutsche Staatsangehörige in wichtigen Positionen dafür sorgen, dass das VN-System funktioniert und sich weiterentwickelt. Deutschland wird auch weiterhin qualifiziertes Personal für das VN-System bereitstellen und sich auf allen Ebenen für Frieden, Entwicklung und Menschenrechte einsetzen.
Wir sind der größte Geber für die VN-Friedenskonsolidierung. Deutschland hat bis nächsten Januar den Vorsitz der Kommission für Friedenskonsolidierung inne. Dies steht im Einklang mit unserem langjährigen Engagement zur Unterstützung nationaler Bemühungen um Friedenskonsolidierung und Konfliktprävention. Denn wir sind überzeugt, dass widerstandsfähige Zivilgesellschaften und starke Institutionen unerlässlich sind, um die Ursachen von Konflikten anzugehen und langfristig Frieden zu schaffen. Die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ leistet einen wesentlichen Beitrag in dieser Hinsicht.
Gerechtigkeit. Frieden. Respekt.
Die Achtung der Charta der Vereinten Nationen und ihrer grundlegenden Ziele und Prinzipien, zu deren Einhaltung wir uns alle verpflichtet haben. Hier in New York, in den Hallen der Vereinten Nationen, kommen all diese Länder zusammen, um über friedliche Lösungen für die Konflikte auf der ganzen Welt zu beraten.
Hier finden wir uns zusammen. Wir, die Vereinten Nationen. Sie sind ein Ort wie kein anderer.
Exzellenzen,
aus Respekt vor dem Völkerrecht und den Menschenrechten setzt sich Deutschland für die Einrichtung eines Sondergerichtshofs für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine ein. Aus diesem Grund unterstützen und verteidigen wir internationale Gerichte. Aus diesem Grund engagieren wir uns für den Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern, wenn sie in Gefahr sind. Wir stehen zum humanitären Völkerrecht.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Respekt bedeutet auch Reformen. Nach 80 Jahren müssen wir sicherstellen, dass unsere Institutionen die Welt so repräsentieren, wie sie heute ist. Der Sicherheitsrat braucht zusätzliche Sitze – ständige und nichtständige –, um die Realitäten der Welt widerzuspiegeln. Deutschland ist davon überzeugt, dass zusätzliche ständige Sitze an Regionen vergeben werden müssen, die heute unterrepräsentiert sind: Afrika, Asien und Lateinamerika.
Heute ist es wichtiger denn je, dass unsere Vereinten Nationen ihren Aufgaben gerecht werden können. Daher muss der UN80-Prozess gelingen. Heute brauchen die Vereinten Nationen unsere Unterstützung!
Exzellenzen,
wir alle würden nur verlieren in einer Welt, in der das Recht des Stärkeren gilt und in der internationale Regeln hinfällig sind. Eine Welt, in der Verträge nur für die Schwachen verbindlich sind und in der Krieg die Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln ist. Eine solche Welt würde letztlich von Gewalt regiert.
Gerechtigkeit. Frieden. Respekt.
Das ist Deutschlands Angebot an jede einzelne Nation, die hier in diesem ehrwürdigen Saal vertreten ist.
Es ist ein Angebot, zuzuhören, zu kooperieren und Lösungen zu finden. Es ist ein Angebot, das in unserer Bereitschaft gründet, Ihre Anliegen aufmerksam anzuhören. Und es ist ein Angebot, hinter dem wir stehen – ein Angebot, auf das Sie sich stets verlassen können. Jetzt und in Zukunft.
Vielen Dank.