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Rede des Bundesministers zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland anlässlich der Evakuierung des Flughafens in Kabul 2021

12.09.2025 - Rede

Kabul im August 2021. Die afghanische Hauptstadt im Ausnahmezustand. Tausende Menschen versuchen nach der Machtübernahme der Taliban zu fliehen. Sie machen sich auf den Weg zum Hamid Karzai International Airport. Einige klammern sich in Ihrer Verzweiflung an die Tragflächen startender Flugzeuge – riskieren alles, um den Taliban zu entkommen. Ein junges Elternpaar reicht sein Neugeborenes im dichten Gedränge über die mit Stacheldraht bewährte Flughafenmauer. In die Hände amerikanischer Soldaten. Bilder, die um die Welt gehen. Die sich uns allen eingebrannt haben, als wir sie in diesem langen August 2021 auf unseren Bildschirmen, auf unseren Smartphones, auf den Titelseiten der Tageszeitungen oder in den Abendnachrichten gesehen haben.

Doch Sie, Herr van Thiel, Herr Micheel, Herr Wolter und Herr Klawitter, Sie haben diese Bilder nicht in den Nachrichten gesehen. Sie waren vor Ort.

Ich war damals Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und im Verteidigungsausschuss und erinnere mich an die hitzige und emotionale Debatte im Bundestag. Und an viele intensive Ausschusssitzungen – anlässlich des Bundeswehreinsatzes zur Evakuierung aus Afghanistan. Das war keine parlamentarische Alltagsdebatte. Denn die Evakuierung vom Kabuler Flughafen war keine gewöhnliche Operation: Es war das dramatische Ende – man muss es leider so deutlich sagen – das Scheitern der zwanzig Jahre lang dauernden internationalen Präsenz in Afghanistan, der intensiven Bemühungen um eine Stabilisierung. Ein Scheitern, das uns zum Lernen aufgefordert hat. Zu dessen Aufarbeitung in der letzten Legislaturperiode mit großer überfraktioneller Mehrheit ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. In zweieinhalb Jahren Arbeit und 111 Zeugenvernehmungen – darunter auch rund 40 Angehörige des Auswärtigen Diensts – haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete, die damaligen Umstände intensiv untersucht.

Aber in der Lage vor Ort stellte sich vor allem eine Frage: Wer kommt noch raus? Die Zeit drängte. Es galt, schnell zu handeln. Die Sicherheitslage am Flughafen wurde von Stunde zu Stunde prekärer. Die Versorgungslage war dramatisch. Wer wüsste das besser als Sie?

Nachdem die Deutsche Botschaft in einem gemeinsamen Kraftakt aller damals entsandten Kolleginnen und Kollegen evakuiert hatte, trafen Sie die Entscheidung, am Flughafen in Kabul zurückzubleiben. Sie waren für viele der verzweifelten Menschen ein Hoffnungsschimmer. Dank Ihres selbstlosen Einsatzes und Ihrer beispielslosen Tatkraft konnten in der Zusammenarbeit mit der Bundeswehr innerhalb weniger Tage über 5.000 Menschen evakuiert und in Sicherheit gebracht werden. Darunter deutsche und europäische Staatsangehörige, aber auch viele schutzbedürftige lokal beschäftigte Afghaninnen und Afghanen. Die uns über viele Jahre loyal ihre Dienste erwiesen hatten. Und die nun die Barbarei der Taliban fürchteten.

Sie waren es, die in einer Situation größter Gefahr, ungeheuren logistischen Herausforderungen und kaum vorstellbarem emotionalen wie physischem Stress durchhielten und gemeinsam nach unmöglich erscheinenden Rettungswegen suchten. Es gibt ein Wort, das ist ein bisschen aus der Mode gekommen. Und doch beschreibt es, finde ich, wofür wir Sie heute ehren. Heldenmut.

Der Heldenmut, mit dem Sie zum Schutze Anderer Ihre eigene Sicherheit und Ihr Wohlergehen zurückstellten. Bis zum Rande der Erschöpfung arbeiteten. Und noch vor Eintreffen der Bundeswehr einen bewaffneten Angriff auf den Flughafen überstanden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre es mehr als verständlich und absolut menschlich gewesen – und das sage ich auch als Reservist und ehemaliger Zeitsoldat –, hätten Sie versucht, sich in Deckung zu bringen. Aber das taten Sie nicht. Sie blieben und hielten durch. Um deutsche Staatsangehörige und andere Eintreffende in den Flughafen zu bringen. Wohl wissend, dass Sie sich damit selbst in unmittelbare Lebensgefahr begaben. Das ist Heldenmut.

Und eines möchte ich noch hinzufügen: Ihnen allen war bewusst, dass Sie sich nicht nur in einer lebensgefährlichen Situation befanden, sondern auch alle Augen der deutschen Öffentlichkeit auf Sie gerichtet waren. In einer Situation, die es Ihnen abverlangte, im Zweifelsfall auch äußerst schwierige Entscheidungen alleine zu treffen. Weil schlicht und einfach in Sekunden entschieden werden musste. Und weil die Situation am Boden so dynamisch war. In einer solchen Situation nicht zu erstarren, nicht die Verantwortung bei anderen zu suchen, nicht stillschweigend abzuwarten. Auch das erfordert Mut. Und das erfordert Tatkraft.

Wir alle wissen, dass unser Auswärtiger Dienst kein gewöhnlicher Beruf ist. Er ist mehr als ein Job. Wenige Arbeitgeber verlangen ihren Mitarbeitern – und ihren Familien – so viel Flexibilität, Kreativität, Weltoffenheit und Nerven ab, wie das Auswärtige Amt. Und dennoch: Ihr Einsatz ging weit über das hinaus, was in unserem Dienst „normal“ ist. Er verdient unsere besondere Anerkennung! Sie haben Ihre eigenen Interessen und Ihr eigenes Wohlergehen zugunsten anderer hintangestellt. Sie standen in dieser Ausnahmesituation über Ressortgrenzen hinaus als „Team Deutschland“ zusammen: Seite an Seite mit der Bundeswehr, Seite an Seite mit der Bundespolizei. Denn nur gemeinsam konnte es gelingen, die erste Landegenehmigung für die Bundeswehr zu erwirken. Nur gemeinsam konnte es gelingen, die Ankommenden trotz widrigster Bedingungen bestmöglich zu versorgen und nach Deutschland zu bringen.

Und auch Sie, lieber Herr Klawitter, haben daran maßgeblich mitgewirkt – freiwillig und ohne entsendenden Dienstherrn im Hintergrund. Sie hätten viel früher ausreisen können, aber Sie sind geblieben. Weil Sie das Gefühl hatten, helfen zu können und helfen zu müssen. Und so haben Sie mit Ihren Kontakten vor Ort und Ihrer Ortskunde die Evakuierung nach Deutschland mit allen Kräften unterstützt.

Es ist mir eine persönliche Ehre, Ihnen vier heute im Namen des Herren Bundespräsidenten den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland überreichen zu dürfen. Ich tue dies auch im Namen meiner beiden Amtsvorgänger, die diese Ehrung beim Herrn Bundespräsidenten auf Vorschlag des Personalrats angeregt hatten.

Und ich ehre Sie ausdrücklich auch stellvertretend für die vielen weiteren Kolleginnen und Kollegen, die in diesen für unser Haus so schwierigen Zeiten einen herausragenden Job gemacht haben. Besonders hervorheben möchte ich an dieser Stelle die Kolleginnen und Kollegen des Krisenunterstützungsteams in Kabul.

Sie haben sich trotz Kenntnis der gefährlichen Situation vor Ort bewusst dazu entschieden, nach Kabul zu fliegen. Um anderen die Ausreise zu ermöglichen, haben auch Sie sich selbst in Lebensgefahr gebracht. Ihnen gilt besonderer Dank! Und ich möchte mich auch bei der gesamten ehemaligen Belegschaft der Botschaft Kabul bedanken. Auch Sie haben die Botschaft mitevakuiert und entscheidende Vorarbeit für die Evakuierung weiterer Menschen nach Deutschland geleistet. Schön, dass einige von Ihnen heute hier mit dabei sein können. Mein Dank gilt darüber hinaus den Kolleginnen und Kollegen, die als Krisenunterstützungsteam in Taschkent im Einsatz waren. Und allen Beteiligten an den Deutschen Botschaften der Nachbarstaaten. Und schließlich auch den Kolleginnen und Kollegen in der Zentrale: im Krisenreaktionszentrum und in allen betroffenen Abteilungen. In dieser besonderen Ausnahmesituation stand das gesamte Haus zusammen.

Liebe Kollegen, lieber Herr Klawitter,

Sie haben sich mit Ihrer herausragenden Leistung und Ihrem unvergleichlichen Engagement um unser Land verdient gemacht. Mit dieser Ehrung spricht Ihnen unser Land von ganzen Herzen seinen Dank aus.

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