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Rede von Außenminister Johann Wadephul bei der Sasakawa Peace Foundation
Für mich ist es eine große Freude und ein besonderer Moment, hier in der Sakura Foundation sprechen zu können. Ich spreche zu Ihnen nicht nur als deutscher Außenminister, sondern auch als langjähriger, persönlicher Freund Japans. An einem Tag wie heute zeigt sich, dass es manchmal nicht die geographische Nähe ist, die bestimmt, wie nah sich zwei Länder sind. Zwischen meiner Heimatstadt Kiel und Tokio liegen über 9.000 Kilometer – einmal um den halben Globus. Und doch muss ich nur in meinen Alltag schauen, um zu illustrieren, dass diese Entfernung in Wahrheit kürzer ist, als sie auf der Landkarte erscheint:
Auf meinem Schreibtisch in Berlin steht seit meinem Amtsantritt ein schönes Geschenk von dir, lieber Minoru Kiuchi, ein kunstvoller japanischer Fächer. Und wenn ich auf den Gang gehe im Auswärtigen Amt und bei meinen Kollegen an die Tür klopfe, dann stehen die Chancen gut, dass der Kollege mindestens einen sehr guten Kontakt im japanischen Außenministerium hat. Denn unsere jungen Diplomatinnen und Diplomaten lernen sich gleich zu Beginn ihrer Laufbahnen über die langjährige Ausbildungskooperationen unserer diplomatischen Akademien kennen. Und wenn ich zu Hause bin und mit meinen Töchtern am Tisch sitze, dann erlebe ich, dass sie sich zumindest ein wenig auf Japanisch unterhalten können. Denn sie haben alle drei in ihrer Schulzeit an einem Gymnasium in Kiel ein bisschen Japanisch gelernt, und an einem Austausch mit einer Schule in Kobe teilgenommen.
Dass mich meine erste Asienreise nach Japan führt, ist also kein Zufall. Es war mein großer Wunsch. Ich möchte die enge Freundschaft, die unsere Länder verbindet, würdigen. Und ich möchte unsere langjährige Partnerschaft und die engen diplomatischen Beziehungen weiter stärken.
Unsere Länder sind geografisch weit voneinander entfernt, doch sind wir uns nah und in vielem ähnlich. Nicht zuletzt in den Werten, die uns prägen.
Dieser Tage gedenken wir der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und dem Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren. Eines Krieges den mein Land in Europa entfesselt hat. Eines Krieges, der über 50 Millionen Menschen weltweit das Leben kostete – und an dessen Ende der europäische Kontinent und Teile Asiens, aber auch Japan und mein Land in Trümmern lagen. Ein Krieg, aus dem unsere beiden Länder eine zentrale Erkenntnis mitnahmen: Nie wieder soll in den internationalen Beziehungen die Macht über dem Recht stehen, nie wieder darf aggressive Eroberungswut, das Streben nach Einflusssphären, Grenzen verschieben. Nie wieder darf die Würde des Menschen durch staatliche Gewalt abgewertet werden.
Wir teilen diese Werte bis heute. Als starke Demokratien, als Verfechter der regelbasierten internationalen Ordnung, als exportorientierte Handelsnationen.
Bei meinem Amtsantritt als deutscher Außenminister habe ich drei zentrale Prioritäten für unsere deutsche Außenpolitik bestimmt: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand. Ich bin davon überzeugt: Wie wir uns für diese Prioritäten einsetzen, da gibt es sehr viel Übereinstimmung mit Japan und Potenzial zur Zusammenarbeit.
Freiheit, Sicherheit, Wohlstand – das sind die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaften in Deutschland und in Japan. Und doch können wir sie in der heutigen Zeit nicht als selbstverständlich, nicht als gegeben ansehen. Die Organisation Freedom House misst seit vielen Jahren den Zustand der Demokratien weltweit. Und seit 19 Jahren stellt Freedom House ununterbrochen fest: Freiheit erodiert, und zwar global. In so vielen Regionen dieser Welt erleben wir Versuche, die internationale Ordnung zu verändern. Durch Gewalt, wie Russlands Angriffskrieg in der Ukraine. Durch militärische Drohgebärden, sei es durch nordkoreanische Raketentests, sei es im Südchinesischen Meer oder gegenüber Taiwan. Durch hybride Einflussnahme, durch Versuche unsere demokratischen Diskurse durch Fake News und Stimmungsmache zu stören. Durch rechtswidrige Einmischung in die Geschicke anderer Staaten. Durch autoritäre Staaten, die ihre Gegner teils sogar in unsere eigenen Länder verfolgen.
All dies gefährdet unsere Sicherheit mehr und noch unverhohlener als noch vor wenigen Jahren denkbar war.
Ohne Sicherheit kann es keine Freiheit geben. Und wir sehen leider auch, dass unsere Freiheit nicht nur von außen unter Druck gerät, sondern teilweise auch in unseren eigenen Gesellschaften, in Asien, in Europa. Durch populistische Bewegungen, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten, die versuchen, demokratische Grundwerte auszuhöhlen.
Wenn wir dem begegnen wollen, müssen uns zwei Dinge leiten. Erstens darf unser Handeln nicht auf der flüchtigen Hoffnung basieren, dass die uns bekannte Welt, in der viele Gewissheiten selbstverständlich waren, einfach wieder zurückkommt. Und zweitens dürfen wir nicht vergessen, dass wir nicht allein sind in dem Versuch, diesen Herausforderungen entgegenzutreten. Dass wir als Partner, ja als Freunde in dieser Welt zusammenstehen.
Gerade in diesen Zeiten können wir als Demokratien zusammenstehen, um unsere demokratische Freiheit zu stärken, zu stärken und zu verteidigen. Gut, dass wir jede Gelegenheit des Austausches hierzu nutzen. Zum Beispiel bei der kommenden UNO-Generalversammlung in New York, bei der wir mit engen Partnern aus Europa und Asien hierzu zusammenarbeiten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsere Freiheit gerät unter Druck, weil unsere Sicherheit gefährdet ist. Und in der heutigen Welt erfordert Sicherheit mehr denn je, dass wir selber Verantwortung übernehmen. Deutschland und Japan haben sich dieser Verantwortung gestellt. In Deutschland sprechen wir von der Zeitenwende und investieren heute intensiv in unsere militärische Verteidigungsfähigkeit. Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen. Im Frühjahr haben wir den wichtigen Schritt gemacht, unsere verfassungsmäßigen Bestimmungen zur Finanzierung dieser Aufgabe anzupassen. Und auf dem NATO-Gipfel im Juni haben wir mit unserem Bündnispartner vereinbart, zukünftig 5 Prozent unserer Wirtschaftsleistung für Verteidigung zu investieren. Japan hat 2022 mit einer Neufassung seiner Nationalen Sicherheitsstrategie ein deutliches Zeichen gesetzt: japanische Verteidigungsausgaben sollen bis 2027 verdoppelt werden. Natürlich setzen Deutschland und Japan weiterhin auf Bündnisse und Diplomatie statt auf Alleingänge und Eskalation. Aber Verteidigung hat für unsere beiden Länder einen neuen Stellenwert bekommen.
Für uns in Deutschland sind mit der Zeitenwende zwei zentrale Erkenntnisse verbunden. Und es sind Erkenntnisse, die unsere japanischen Freunde vielleicht noch früher gehabt haben als wir.
Zum einen, dass europäische und asiatische Sicherheit auf das Engste miteinander verknüpft sind. Russlands Angriffskrieg etwa betrifft auch die Stabilität im Pazifik. Wenn Russland heute vor allem nordkoreanische Artilleriegranaten auf die Ukraine abfeuert, dann untergräbt das die Sicherheit von Europa. Aber es bringt auch die Balance in Asien aus dem Gleichgewicht. Weil es klar ist, dass Russland sich Nordkorea durch den Transfer von Technologie und Expertise erkenntlich zeigen. Aber vor allem wird Russland Krieg ermöglicht durch entscheidende chinesische Unterstützung. 80 Prozent der Dual-Use Güter, die Russland verwendet, kommen aus China. Und zugleich ist China der größte Abnehmer von russischem Öl und Gas. Und das ist eine Entwicklung, die natürlich nicht nur unseren europäischen Sicherheitsinteressen massiv zuwiderläuft, sondern auch denen unserer Partner im Pazifik. Zeigt es doch, dass China die Prinzipien der Nichteinmischung und der territorialen Integrität zwar billigt, sie in Wahrheit aber untergräbt.
Wenn unsere Sicherheitslagen eng miteinander verknüpft sind, dann ist es kein Zufall, dass wir uns nicht nur in unserer eigenen Region für unsere Sicherheit einsetzen. Und ich möchte Japan ausdrücklich dafür danken, für die fortdauernde politische, wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung der Ukraine, für die enge Zusammenarbeit mit der NATO. Mit insgesamt rund 12 Milliarden US-Dollar sowie der konsequenten Umsetzung der Sanktionen gegen Russland leistet Japan einen entscheidenden Beitrag für die Ukraine und unsere gemeinsame Sicherheit.
Auch Deutschland bringt sich ein, und wird das weiter tun. Mit verstärktem Engagement durch unsere Verbindungsoffiziere in der Region, durch gemeinsame Übungen, durch einen konstruktiven sicherheitspolitischen Dialog mit Japan, aber auch mit unserer maritimen Präsenz in der Region. Das war für unsere Marine nicht selbstverständlich. Es gab harte Diskussionen, auch im Deutschen Bundestag. Und es ist gut, dass wir eine klare Linie gefunden haben. Mit den Fregatten, die wir nun schon mehrmals entsandt haben, zeigen wir unser Interesse an der Sicherheit und Geltung des Völkerrechts auch im Indo-Pazifik.
Wir zeigen, dass die Freiheit der Seewege für uns ein zentrales außen und sicherheitspolitische Interessen sind. Ebenso die Überwachung der Sanktionen gegen Nordkorea, an der wir mit einer deutschen Fregatte schon mehrfach teilgenommen haben. Ich möchte mich herzlich bedanken für die wunderbare Aufnahme unserer Marine und Luftwaffenkontingente hier in Japan, für die Gastfreundschaft in den letzten Jahren im Rahmen des Indo-Pacific Deployments. Diese direkten persönlichen Kontakte schaffen Verbindlichkeit, Verständnis und Freundschaft.
Die zweite Erkenntnis aus der Zeitenwende war für uns in Deutschland: Sicherheit bedeutet nicht nur Verteidigung. Sicherheit bedeutet auch die Sicherheit unserer Lieferketten, unserer Energieversorgung. Sie bedeutet Wirtschaftssicherheit. In Deutschland mussten wir mit dem russischen Überfall auf die Ukraine realisieren, dass wir uns in unserer Energieversorgung in eine gefährliche Abhängigkeit von Russland begeben und dass wir es mit einem Akteur zu tun hatten, der ohne Skrupel bereit war, diese Abhängigkeit als geopolitische Waffe zu nutzen. Wir standen vor einem realistischen Szenario, dass im Winter in Deutschland die Fabriken stillgestanden und die Wohnungen kalt geblieben wären. Deswegen haben wir darauf reagiert.
Und deswegen ist der Ausbau erneuerbarer Energien auch ein Sicherheitsfaktor. Deutschland und Japan arbeiten bereits in diesen Bereichen zusammen. Im Bereich von Offshore zum Beispiel. Ich bin überzeugt, liebe Freunde, hier liegt weiteres großes Potential.
Gerade dabei, gefährliche Abhängigkeiten kritisch in den Blick zu nehmen, Verwundbarkeit zu reduzieren und wirtschaftliche Resilienz aufzubauen, dabei können wir als Deutschland auch viel von Japan lernen. Es geht um unsere Sicherheit und Freiheit. Aber, und das ist meine dritte Priorität es geht auch um unseren Wohlstand.
Japan war weltweit das erste Land, das den Posten eines Staatsministers für Wirtschaftssicherheit geschaffen hat. Japan ist ein Vorreiter bei einem Wort, das ein Schlagwort unserer Zeit geworden ist. De-Risking. Japan erlebte bereits vor 15 Jahren, dass ein Handelspartner den Export kritischer Rohstoffe fast monopolistisch für sich instrumentalisieren wollte. Japan gab sich deswegen eine eigene Wirtschaftssicherheitsstrategie und investierte massiv in die Diversifizierung der Rohstoffimporte.
Oder auch im Bereich der Exportkontrolle von Hochtechnologiegütern können wir eine Menge voneinander lernen. Japan hat sehr viel dafür getan, dass Schlüsseltechnologien wie KI, Halbleiter, Robotik und Biotechnologie nicht ungewollt an Konkurrenten abfließen, die sich nicht dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb stellen müssen. Unsere deutsch-japanischen Regierungskonsultationen 2023 waren ein Auslöser dafür, dass es heute auch in meinem Ministerium ein eigenes Referat für Wirtschaftssicherheit gibt. Und im Übrigen gehen wir auch mit dem Rohstofffonds, den wir in Deutschland auflegen wollen, einen Weg, den Japan vorgezeichnet hat.
Und das betrifft auch den zentralen Treiber hinter der Digitalisierung, und KI-Revolution: Halbleiter. Japan geht mit dem hoch ambitionierten Projekt Rapido auf Hokkaido voran. Ein Unternehmen, das noch nicht einmal drei Jahre alt ist, aber schon in die Produktion für modernste Chips gegangen ist. Gerade weil wir von Japan in Sachen Wirtschaftssicherheit lernen können, wollen wir unsere Partnerschaft auf diesem Gebiet vertiefen. Wir wollen uns über unsere Erfahrungen austauschen, aber wir wollen auch unsere Unternehmen auf den Weg mitnehmen.
Ein zentrales Forum dafür wird unser bilateraler Wirtschaftssicherheitsdialog sein, dessen nächstes Treffen im Oktober hier in Tokio stattfinden soll. Bereits heute zeigen viele erfolgreiche Beispiele, wie deutsche und japanische Unternehmen zusammenarbeiten. So zum Beispiel die japanischen LKW-Töchter von Toyota und Daimler, die im Juni fusioniert sind. Dadurch steigern die beiden Partner nicht nur ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem asiatischen Markt, sondern auch die gemeinsame Investition in die Dekarbonisierung der Exporte. Ich bin davon überzeugt Es gibt noch enorme Potenziale, unsere wirtschaftliche Zusammenarbeit zu versichern, zu vertiefen. Bei der Wirtschaftssicherheit, aber auch bei entscheidenden Zukunftsthemen wie der Grünen und digitalen Transformation. Und in diesem Sinne freue ich mich ganz besonders mit meiner Delegation auf den morgigen Besuch des japanischen Expo Vertreters.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Wohlstand auf unserem Planeten, in unseren beiden Ländern basiert auf Kooperation und Handel. Japan ist Deutschlands zweitgrößter Handelspartner in Asien. Der Austausch mit japanischen Partnern ist ein Innovationstreiber für deutsche Unternehmen.
Aber die Rahmenbedingungen für Handel und Kooperation stehen weltweit unter massivem Druck. Wirtschaftspolitische Grundfesten, auf denen unser Wohlstand fußt, geraten ins Wanken. Nicht nur, weil autoritäre Staaten wirtschaftliche Abhängigkeiten für ihre geopolitischen Ziele instrumentalisieren. Nicht nur, weil militärische Konflikte zur Blockade wichtiger Handelsrouten führen. Sondern auch, weil wir erleben, dass disruptive Zollpolitik etablierte Handelsbeziehungen belastet und damit den Wohlstand weltweit gefährdet.
Deutschland und Japan sind als dritt- und viertgrößte Volkswirtschaften der Welt eben auch Exportnation. Unsere Länder brauchen verlässliche Handelsbeziehungen und stehen international für offene Märkte ein.
Nicht um andere zu übervorteilen, nicht um uns auf Kosten anderer zu bereichern, sondern weil wir wissen: freier Handel schafft, wenn er fair abläuft, mehr Wohlstand für alle. Er vergrößert die Auswahl für die Konsumenten. Er fordert Unternehmen heraus, weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben. Und er schafft am Ende für die Menschen in unseren Ländern den besten Preis, und damit den größten Wohlstand.
Liebe Freunde, unsere Länder sind einen halben Globus voneinander entfernt und doch so nah in den Werten. Und so glaube ich: in den Herausforderungen, vor denen wir stehen. In unseren Prioritäten in einer unsicheren Welt. Freiheit, Sicherheit und Wohlstand das sind keine abstrakten Begriffe, sondern gemeinsame Aufgaben, die uns verbinden. Lassen Sie uns diese als Freunde und Partner angehen. Unsere Freundschaft ist ein Fundament, auf dem wir viel aufbauen können. Mit Mut, mit Vertrauen und mit einen klaren Blick nach vorne. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.