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Rede von Außenminister Wadephul zur Konferenz anlässlich der 75jährigen deutschen Mitgliedschaft im Europarat

08.07.2025 - Rede

Übersetzung aus dem Englischen

Von 2010 bis 2014 hatte ich die Ehre, der Parlamentarischen Versammlung des Europarates als Mitglied anzugehören.

Ich erinnere mich gern daran:

An die Themen, die wir besprochen haben – von Frauenrechten über Pressefreiheit bis hin zur Durchführung freier und fairer Wahlen.

Und an die Lehren, die ich daraus gezogen habe, als ich einen Schritt zurücktrat und die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachtete.

All das hat meinen Politikansatz geprägt.

Deshalb ist es mir eine große Freude, Sie alle heute hier im Auswärtigen Amt begrüßen zu dürfen, um den 75. Jahrestag von Deutschlands Beitritt zum Europarat feierlich zu begehen.

Dies ist ein besonderer Tag für uns.

Denn die Geschichte Deutschlands und die Geschichte des Europarates sind eng miteinander verwoben.

Der Europarat war die erste – das hat Konrad Adenauer [in dem Film] vor wenigen Minuten erwähnt – multilaterale Institution, der die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist.

Schon 1948, als über die Gründung dieser Institution gesprochen wurde, war eine deutsche Delegation dabei – sogar noch vor der Neugründung eines deutschen Staats nach dem Zweiten Weltkrieg.

Ich weiß, welche Rolle Deutschland damals spielte, und das spüre ich heute noch. Denn unsere deutsche Delegation ist noch immer in demselben Hotel untergebracht, das Deutschland 1952 als einziges aufnehmen wollte. Wir sind nach wie vor dort. Die Geschichte haben wir, hat unsere Delegation also immer noch vor Augen, sehr geehrte Damen und Herren.

Dem Europarat kam bei der Wiederherstellung von Freiheit und Demokratie in Deutschland nach den unbeschreiblichen Verbrechen des Nazi-Regimes eine entscheidende Rolle zu.

Die Europäische Menschenrechtskonvention ergänzte auf internationaler Ebene die in unserem eigenen Grundgesetz verankerten Menschen- und Grundrechte.

Die Konvention eröffnete unseren Bürgerinnen und Bürgern – zum ersten Mal in unserer Geschichte – die Möglichkeit, sich zum Schutz ihrer individuellen Rechte direkt an ein internationales Gericht zu wenden, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Für uns war das ein wichtiger Schritt, der die Rechtsstaatlichkeit in unserem Land und Vertrauen in demokratische Institutionen gestärkt hat.

Sehr geehrte Damen und Herren,

als die Gründungsväter des Europarats 1948 zusammentraten, waren sie gezeichnet vom schlimmsten Angriff auf den Frieden und die Menschenwürde, den Europa je erlebt hatte.

Sie hatten das Schwinden der Demokratie in vielen europäischen Ländern miterlebt; gesehen, wie Bürgerrechte abgeschafft wurden, wie Deutschland den europäischen Kontinent in einen brutalen Vernichtungskrieg stürzte, wie sechs Millionen europäische Jüdinnen und Juden und Millionen Angehörige anderer Gruppen und Völker ermordet wurden.

Und sie hielten es für den besten Schutz vor einer Wiederholung dieses Albtraums, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu fördern – in Europa und darüber hinaus.

Dieser anfängliche Impuls der Gründungsväter des Europarats könnte aktueller nicht sein:

Seit nunmehr drei Jahren – die Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland [EBD] hat es bereits erwähnt – sind wir mit einem weiteren brutalen Angriff auf Frieden und Sicherheit in Europa konfrontiert.

Russland führt offen einen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Unter Putins Führung versucht Russland, die Schwächen unserer Demokratien und die Verwundbarkeit unserer Gesellschaften auszunutzen.

Indem es Verschwörungstheorien propagiert, indem es Zweifel an unseren demokratischen Systemen nährt, indem es Gräben in unseren Gesellschaften vertieft.

Putin enthält seinen eigenen Bürgerinnen und Bürgern die grundlegenden demokratischen Rechte und Schutzvorkehrungen, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieft sind.

Es war nur folgerichtig, dass die Mitgliedstaaten des Europarates den Ausschluss Russlands beschlossen haben, nachdem es die Kernprinzipien des Rates so eklatant verletzt hat.

Unsere demokratischen Freiheiten sind unsere Stärke.

Deswegen werden sie aktuell in nie dagewesenem Maß angegriffen.

Deswegen müssen wir sie verteidigen.

Besonders dankbar bin ich Ihnen, sehr geehrter Herr Generalsekretär Berset, für Ihre Initiative zugunsten eines neuen Pakts für die Demokratie („New Pact for Democracy“) innerhalb des Europarates.

Wir unterstützen Ihre Bemühungen zur Stärkung der Zusammenarbeit zwischen denjenigen, die eine Ausweitung und Stärkung der Freiheit, Demokratie und Rechenschaftspflicht in Europa anstreben.

Wir teilen Ihre Einschätzung hinsichtlich der zentralen Säulen der Demokratie: Bildung, Vertrauen in Institutionen, Rechtsstaatlichkeit und Teilhabemöglichkeiten.

Die Herausforderungen, vor denen unsere Demokratien heute stehen, haben sich verändert.

Durch den technologischen Wandel entstehen neue Chancen, aber auch neue Gefahren für unsere Freiheit, unsere Sicherheit und unseren Wohlstand.

Und der Europarat hat sich an diese Herausforderungen angepasst:

Das Rahmenübereinkommen des Europarates über künstliche Intelligenz ist der erste rechtlich bindende Vertrag auf internationaler Ebene, in dem die Unterzeichner sich verpflichten, ihre KI-Gesetzgebung auf Bedrohungen und Herausforderungen für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu überprüfen.

Über die Europäische Union sind alle EU-Mitgliedstaaten bereits Unterzeichner des Rahmenübereinkommens. Und es wäre sicher ein starkes Signal für die Achtung der Menschenrechte, wenn diejenigen Mitgliedstaaten des Europarates, die keine EU-Mitgliedstaaten sind, das Übereinkommen ebenfalls unterzeichnen würden.

Aber die Diskussionen gehen weiter, denn die nächste technische Neuerung ist stets zum Greifen nah. Die grundlegenden Fragen bleiben:

Wie können wir technologische Innovationen im Bereich der künstlichen Intelligenz so gestalten, dass sie mit den Menschenrechten im Einklang stehen?

Wie können wir verhindern, dass das Potenzial der KI für Desinformation und Propagandazwecke genutzt wird?

Wie können wir demokratische Teilhabe gewährleisten, wenn wir entscheiden, wie diese technischen Möglichkeiten zum Wohle unserer Gesellschaften genutzt werden?

Und das ist nur eines der neuen Themenfelder, auf denen der Europarat aktiv ist.

Wir suchen auch nach neuen Wegen für eine Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – dort, wo eine Rückkehr zu Frieden große Anstrengungen erfordern wird.

Deshalb haben der Europarat, die Europäische Kommission, die Ukraine und 37 weitere Staaten die rechtlichen Grundlagen für die Einrichtung eines Sondergerichtshofs für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine geschaffen.

Gerade vor zwei Wochen haben der Europarat und die Ukraine eine bilaterale Vereinbarung unterzeichnet, die die Einrichtung dieses Sondergerichtshofs große Schritte voranbringen wird.

Wir werden sicherstellen, dass die Verantwortlichen für das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine zur Rechenschaft gezogen werden.

Es ist ein rechtsstaatlicher Eckpfeiler internationaler Beziehungen, dass schwere Verstöße gegen anerkannte Normen nicht ohne Konsequenzen bleiben können.

Den Aggressoren muss deutlich gemacht werden:

Ihr werdet die Schäden, die durch euer rechtswidriges Handeln entstanden sind, wiedergutmachen müssen.

Der Europarat setzt sich für Gerechtigkeit ein.

Als deutscher Außenminister kann ich sagen:

Wir sind stolz und dankbar, dass wir seit 75 Jahren Teil dieser Organisation sein dürfen.

Wir sind dankbar für das Vertrauen und die Weitsicht unserer Nachbarn, die uns eingeladen haben, dieser einzigartigen Institution beizutreten.

Dieselben Nachbarn, die während des Krieges und der Besatzung, die von Deutschland über Europa gebracht wurden, unvorstellbares Leid erfahren haben.

Darin wurzelt unsere tief empfundene Wertschätzung für den Europarat.

Und deshalb werden wir auch weiterhin alle Bemühungen zur Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit unterstützen – in Europa und darüber hinaus.

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