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Eingangsstatement von Außenminister Johann Wadephul bei der Berliner Konferenz zum Review des Römischen Statuts
Wir leben in einer Zeit beispielloser Herausforderungen für die internationale Rechtsordnung.
Wenn wir in Europa über diese Krise sprechen, denken wir unmittelbar an Russlands Angriffskrieg. Einen Krieg, der nun schon das vierte Jahr wütet.
Aber wir alle wissen auch, dass die Bedrohung der internationalen Rechtsordnung weit über die Ukraine hinausreicht.
Auf der ganzen Welt werden wir Zeuge von Verletzungen der territorialen Unversehrtheit, von Grenzverschiebungen und von Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung.
Immer mehr Staaten – und auch nichtstaatliche Gruppen – scheinen eine gefährliche Logik zu verfolgen:
dass die Stärke im Recht sei, dass der Starke über den Schwachen herrschen dürfe, dass die Schaffung von Imperien durch Zwang und Krieg gerechtfertigt sei.
Lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Angriffshandlungen jeder Art untergraben die internationale Rechtsordnung.
Sie verstoßen gegen einen der wesentlichen Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen: Sie verletzen das in Artikel 2 Absatz 4 der Charta verankerte Verbot der Anwendung von Gewalt.
Diese Charta wurde von den Völkern der Welt als Reaktion auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs geschaffen.
Meine Damen und Herren, 1986, nachdem ich die Schulausbildung abgeschlossen und einige Jahre in der Bundeswehr gedient hatte, entschloss ich mich, Rechtswissenschaft an der Universität Kiel zu studieren.
Dies tat ich aufgrund meiner tiefen Überzeugung, dass das Recht uns allen dient. Dass es uns schützt. Und dass es Gesellschaften gerechter und sicherer macht.
Heute bin ich selbstredend nicht mehr das Erstsemester an der rechtswissenschaftlichen Fakultät wie 1986 – aber an meiner Überzeugung hat sich nichts geändert.
Und in meiner Arbeit als Außenminister lasse ich mich von ihr leiten.
Vor 80 Jahren wurde durch die Nürnberger Prozesse ein wichtiger Grundsatz eingeführt: Auch diejenigen, die im Namen von Staaten handeln, können und müssen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie schwerste Verbrechen begehen.
In Reaktion auf von Nazi-Deutschland begangenen schwersten Verbrechen wurde in Nürnberg der Grundsatz der individuellen Verantwortlichkeit nach dem Völkerstrafrecht eingeführt – und mit der Einsetzung des Internationalen Strafgerichtshofs haben wir eine ständige Institution geschaffen, um diese Verantwortlichkeit zu gewährleisten.
Heute ist die internationale Rechtsordnung dank dieser Grundsätze, Verträge und Institutionen – trotz aller ihrer Mängel – gerechter und stabiler als zu jeder anderen Zeit in der modernen Geschichte.
Wenn wir jedoch dieses System erhalten wollen, müssen wir es an die Herausforderungen der heutigen Zeit anpassen.
Darum bin ich Ihnen allen dankbar dafür, dass Sie heute hier sind, um nach Wegen zu suchen, wie wir dem Verbrechen der Aggression wirksamer entgegentreten können.
Und nicht nur das Völkerrecht und der Grundsatz der Nicht-Aggression sind bedroht – auch der Internationale Strafgerichtshof ist erheblichem Druck ausgesetzt.
Mit Bedauern nehmen wir die gestrige Ankündigung der USA zur Kenntnis, den Internationalen Strafgerichtshof mit weiteren Sanktionen zu belegen.
Deutschland wird das Völkerrecht und den Internationalen Strafgerichtshof auch weiterhin unumstößlich unterstützen.
Denn er dient uns allen – und mehr noch: Er schützt uns alle.
Meine Damen und Herren, die anstehende Überprüfungskonferenz zum Römischen Statut im kommenden Juli bietet uns eine entscheidende Gelegenheit, das Statut zu stärken.
In rechtlicher Hinsicht, indem wir beim Verbrechen der Aggression die gleiche gerichtliche Zuständigkeit wie bei den anderen Kernverbrechen vorsehen, ein Schritt, der eine große Verantwortlichkeitslücke schließen würde.
Zudem sollte die Überprüfung auch die Gelegenheit bieten, den Gerichtshof institutionell zu stärken.
Wenn alle 125 Vertragsstaaten zusammenkommen, um ihr Bekenntnis zum Internationalen Strafgerichtshof und zu seinen Gründungsprinzipien zu bekräftigen – insbesondere in einer Zeit wie dieser –, dann senden sie ein starkes Signal der Solidarität und der Unterstützung aus.
Wir werden eng mit Ihnen, unseren internationalen Partnern, zusammenarbeiten, um die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten und Institutionen wie den Internationalen Strafgerichtshof und den Internationalen Gerichtshof zu stärken.
Ich freue mich, heute hier so viele vertraute Gesichter zu sehen – insbesondere aus Afrika und Lateinamerika.
Jemand wies mich kürzlich darauf hin, dass ich in den ersten Wochen seit meinem Amtssantritt bereits fast die Hälfte der Außenministerinnen und -minister aus den 54 afrikanischen Staaten getroffen habe.
Das macht mir eines deutlich: Ich muss noch daran arbeiten, die andere Hälfte zu treffen.
Und ich möchte mit unseren Partnern aus Lateinamerika genauso intensiv zusammenarbeiten.
Lassen Sie uns unserer Kräfte bündeln, um das Völkerrecht und die völkerrechtliche Verantwortlichkeit zu stärken, damit wir unsere Institutionen zukunftsfähig machen und eine Welt schaffen, die gerechter und sicherer ist.