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„Wir müssen Europa als Teamspiel sehen“

13.09.2017 - Interview

Staatsminister für Europa Michael Roth im Interview mit der Frankfurter Rundschau (13.09.2017)- Themen: Umgang mit Rechtspopulismus, Brexit, deutsch-französisches Verhältnis, die Haltung Polens und Ungarns innerhalb der EU, Türkei.

Staatsminister für Europa Michael Roth im Interview mit der Frankfurter Rundschau (13.09.2017)- Themen: Umgang mit Rechtspopulismus, deutsch-französisches Verhältnis, Brexit, die Haltung Polens und Ungarns innerhalb der EU, Türkei.

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Herr Roth, sind Rechtspopulisten in Europa keine Gefahr mehr? Nach den zahlreichen Wahlniederlagen etwa in Frankreich oder den Niederlanden spricht jedenfalls kaum noch jemand über das Thema, obwohl Rechte in einigen Ländern mitregieren.

Europa ist noch lange nicht über dem Berg. Manches ist besser geworden - beispielsweise ist insgesamt die Zahl der Arbeitslosen gesunken. Wir sollten uns aber nicht vom unambitionierten Durchgewurschtel der CDU in der Europapolitik anstecken lassen. Wir müssen uns kreativ und kraftvoll für die EU einsetzen, damit es auch weiter unsere Lebensversicherung gegen Krisen bleibt.

Eine neue These lautet: Wenn Präsident Emmanuel Macron Frankreich richtig reformiert hat, werden Deutschland und Frankreich die EU auf Vordermann bringen. Was halten Sie davon?

Wir tun gut daran, die ausgestreckte Hand des proeuropäischen französischen Präsidenten zu ergreifen. Auch für uns ist es wichtig, dass unser Nachbarland wirtschaftlich und sozial zu mehr Stabilität zurückfindet. Aber dazu muss klar sein, wie die Zusammenarbeit mit Frankreich konkret aussehen soll. Dieser Debatte weicht die Kanzlerin aber bis zum 24. September aus. Das ist ein Unding!

Was schlagen Sie vor?

Wir müssen den Mut von Präsident Macron nutzen und die Wirtschafts- und Währungsunion grundlegend reformieren. Die Europäerinnen und Europäer leiden unter zu großen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichten. Wenn die Eurozone stärker und verbindlicher sozial und wirtschaftlich zusammenarbeitet, werden wir unabhängiger von den Finanzmärkten.

Für viele dieser genannten Punkte war Großbritannien der Bremser. Wird es durch den Brexit nun leichter diese Ziele zu erreichen?

Gar nichts wird leichter. Die Briten selbst werden einen hohen Preis für ihren Austritt zahlen müssen. Aber möglicherweise zeigen die Brexit-Verhandlungen nun allen, dass nichts besser wird, wenn man sich aus der EU zurückzieht. Insofern erhoffe ich mir eine Dynamik für die EU, die endlich aus den Fehlern der Vergangenheit lernt.

Ein Grund für die harte Verhandlungslinie Brüssels ist es, die EU-Mitglieder zu disziplinieren. Beim Thema Demokratie sind die EU-Staaten allerdings nicht auf einer Linie. Wie lässt sich das ändern?

Da reicht ein Blick in die EU-Verträge. Dort ist genau festgelegt, was die EU ist. Sie ist kein kalter Binnenmarkt, sondern eine Wertegemeinschaft, die aber kein homogenes Gesellschaftskonzept vertritt. Europa ist offen für verschiedene Ethnien, Religionen und Kulturen. Da findet derzeit eine harte Auseinandersetzung in Europa statt, bei der wir für die EU-Werte kämpfen müssen. Mit wirtschaftlichen und fiskalpolitischen Indikatoren ist es einfacher, Haushaltssünder festzustellen und zu sanktionieren als Demokratiesünder. Es ist auch ungleich schwerer zu bemessen, ob und wie sehr Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt oder geschwächt wird. Gerade deshalb bin ich der EU-Kommission dankbar, dass sie dieses Thema immer wieder entschlossen aufgreift. Auch innerhalb des Ministerrates sind immer mehr Staaten sensibilisiert. Das ist auch bitter nötig. Sonst machen wir uns unglaubwürdig.

Wünschen Sie sich manchmal stärkere Sanktionsmöglichkeiten gegen Polen oder Ungarn?

Am Ende helfen Sanktionen nicht unbedingt weiter. In einem Team wie der EU muss man auf die Kraft des guten Arguments vertrauen. Es passt nicht zusammen, wenn Politiker ständig die EU zu diskreditieren versuchen und sie gleichzeitig fast alle öffentlichen Investitionen aus dem EU-Haushalt finanziert bekommen. So kann das nicht funktionieren. Wenn man sich auf Nationalisten und Populisten verlässt, dann ist man verlassen. Das erkennen auch immer mehr Menschen

Es ist schwer, EU-Werte innerhalb der Union durchzusetzen. Noch schwerer ist es sie gegenüber der Türkei durchzusetzen. Wie viel mehr Härte bei den Gesprächen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan wünschen Sie sich?

Die EU muss mit einer Stimme sprechen. Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen. Gleichwohl hat Deutschland eine besonders große Verantwortung. Es pflegt einen engen Kontakt zur Türkei - auch, weil hier drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben und das Leben bei uns bereichern. Wir haben jahrelang versucht, mit diplomatischen Mitteln zu überzeugen. Das ist uns nicht gelungen. Aber es bringt auch nichts, alle Kontakte zu kappen und alle Brücken abzureißen. Im Gegenteil: Die Türkei ist ein tief gespaltenes Land. Erdogan hat für sein Verfassungsreferendum weder in Istanbul noch in Izmir eine Mehrheit bekommen. Die jungen Menschen in der Türkei stehen mehrheitlich auf Seiten der Demokratie und der europäischen Werte. An die müssen wir denken.

Innerhalb der EU wird die Stimme der Deutschen immer wichtiger. Wird es nach dem Brexit noch gewichtiger? Sorgen sie sich deshalb oder freuen Sie sich?

Weder noch. Deutschland muss sich aber ganz besonders anstrengen. Wir dürfen unsere ökonomische Dominanz nicht ständig ausspielen und müssen Europa als ein Teamspiel sehen, bei dem alle gebraucht werden, unabhängig von der Größe eines Landes. Deutschland ist vor allem als Brückenbauer gefragt. Ich sehe nach wie vor große, auch emotionale Differenzen zwischen Osteuropa und dem Süden. Deutschland hat sich auch immer als Sachwalter der Interessen der kleinen EU-Staaten verstanden.

Interview: Andreas Schwarzkopf.​​​​​​​

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