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Rede von Europa-Staatsminister Michael Roth bei der Hambacher Konferenz zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich
--- es gilt das gesprochene Wort ---
Sehr verehrte Frau Präsidentin des Bundesrats, liebe Malu Dreyer,
danke für die Einladung auf das Hambacher Schloss zur 3. Konferenz zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich. Hambach ist ein Ort von großer Bedeutung für die deutsche und europäische Geschichte. Wir haben es gerade von Dir gehört.
Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages und der Landtage mit Frau Vizepräsidentin Gebhardt an der Spitze,
sehr geehrter Herr Staatssekretär, lieber Harlem Désir,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,
sehr geehrter Herr Präsident des Regionalrats Richert,
sehr geehrter Herr Europaminister Toscani,
sehr geehrte Herren Oberbürgermeister Ries aus Straßburg und Gros aus Metz,
Mesdames et Messieurs,
mit Grenzen, meine Damen und Herren, kenne ich mich aus. Ich bin in Heringen (Werra), einem kleinen nordhessischen Städtchen direkt an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze auf der Westseite groß geworden. Jetzt ist seit dem Fall der deutschen Mauer immerhin mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen und immer noch freue ich mich, wenn ich die heute grüne Grenze überquere, die früher ganze Welten voneinander trennte.
Und gerade weil ich mich mit Grenzen auskenne, reagiere ich auf jeden Versuch, sie wieder hochzuziehen, ziemlich empfindlich. Bis vor kurzem hätte ich mir nicht vorstellen können, dass wir in Europa wieder neue Zäune und Mauern errichten und ausgerechnet die Parteien großen Zulauf bekommen, die mit nationalistischen und populistischen Parolen offen für Abschottung und neue Grenzen werben.
Das ist einer der Gründe, warum ich ganz besonders froh bin, hier auf dem Hambacher Schloss mit so vielen Menschen zusammenzutreffen, die wissen, wie man Grenzen überwindet und wie man das Zusammenwachsen von Grenzräumen gestaltet. Herzlich willkommen, liebe Grenzüberschreitungsexperten! Sie leisten einen unschätzbaren Beitrag, dass Europa immer enger zusammenwächst. Die Zusammenarbeit hier ist beispielgebend für die Zusammenarbeit andernorts in Europa.
Erfahrungen mit Grenzen haben die allermeisten auf unserem Kontinent. Fast 200 Millionen Menschen in Europa leben in Grenzregionen. Die Grenzen können sehr alt oder noch ganz neu sein. Sie wurden im Laufe der Jahrhunderte verschoben, Bevölkerungen mal der einen, dann der anderen Regierung unterstellt. Gerade im Elsass und in Teilen Lothringens ist die Erinnerung daran immer noch lebendig. Und auch Hambach und die Pfalz waren ja mal französisch.
Ein Umstand, der dazu beigetragen hat, dass der Weg zu Demokratie und Einheit in Deutschland gerade hier eine entscheidende Etappe nahm.
In den Grenzregionen kommen unterschiedliche Traditionen, Rechtsordnungen, Sprachen, Kulturen zusammen. Die Vielfalt Europas - hier wird sie besonders anschaulich. Sie wissen um diesen Schatz. Sie suchen nach Kräften, ihn zu heben. Sie wissen und erfahren es tagtäglich: Heute sollten Grenzen nicht mehr trennen, sondern sie sollten uns verbinden. Das gilt ganz besonders innerhalb des Schengenraums, der den Bürgerinnen und Bürgern ein ganz besonders Maß an Durchlässigkeit und Freiheit erlaubt.
Wenn man die Bewohnerinnen und Bewohner der Grenzregionen nach den Barrieren fragt, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit erschweren, sehen etwa 40 Prozent wirtschaftliche und soziale sowie rechtliche oder verwaltungstechnische Unterschiede als Problem.
Wie können wir diese Hürden überwinden? Das sollte doch machbar sein. Und vieles wurde ja schon erreicht. Und doch bleibt es eine große Anstrengung, diese Verbindung zu gestalten und Lösungen für das alltägliche Zusammenleben entlang der Grenze zu finden. Ideen dazu gibt es bereits. Ich bin sicher, dass das auch heute diskutiert werden wird. Lassen Sie uns das weiter vorantreiben, damit unsere Grenzregionen auch künftig eine Vorreiterrolle in Europa für zukunftsweisende Lösungen spielen können.
Die Bundesregierung und die Europäische Kommission unterstützen das Zusammenwachsen und die Vernetzung auf beiden Seiten europäischer Binnengrenzen. Aus dem EU-Haushalt fließen im Zeitraum 2014-2020 rund 6,6 Mrd. EUR im Rahmen von Interreg-Projekten in Grenzregionen.
Mit einem relativ kleinen Budget erzielen die geförderten Projekte zahlreiche konkrete Ergebnisse für die Bürgerinnen und Bürger – sei es im Ausbau von Verkehrsverbindungen, durch Kooperationen im Bildungsbereich (wie etwa beim Projekt „Erfolg ohne Grenzen“, das sich für grenzüberschreitende Ausbildungen oder aber einer vollständigen Ausbildung im jeweiligen Nachbarland einsetzt), bei der Gesundheitsversorgung (zu nennen ist hier TRISAN: Ein Projekt, bei dem es um bedarfsorientierte Optimierung der Zusammenarbeit der Gesundheitsverwaltungen und Leistungserbringer am Oberrhein geht), beim Umweltschutz (Beispielhaft die Interreg-Projekte „Energiewaben – regionale Energieversorgung der Großregion“ und „Power to Heat für die Großregion“, an denen jeweils Hochschulen und Unternehmen aus Deutschland und Frankreich beteiligt sind) oder durch die Schaffung von Arbeitsplätzen. (Ein gutes Beispiel hierfür ist das Projekt „PAMINA-Fachkräfteallianz“.
Es hat die verbesserte Eingliederung von Arbeitssuchenden, insbesondere der Altersgruppe 45+, in den grenzüberschreitenden Arbeitsmarkt und die Unterstützung der Unternehmen bei der Suche nach Arbeitskräften, zum Ziel.)
Trotz aller Schwierigkeiten: Die deutsch-französische Grenzregion zeigt, wie vielfältig und gewinnbringend die Zusammenarbeit in Fragen sein kann, die die Bürgerinnen und Bürger in den Grenzregionen direkt betreffen. Nach der Abschaffung der systematischen Grenzkontrollen und durch die Freiheiten des Binnenmarkts ergeben sich gerade in Grenzräumen vielfältige Möglichkeiten, die auf beiden Seiten der Grenze für die Bevölkerung positive Auswirkungen haben. Der deutsch-französische Grenzraum entwickelt sich durch Projekte und Initiativen weiter, die Verflechtungen nehmen zu.
Für die Bürgerinnen und Bürger ergeben sich greifbare Vorteile auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze. Zwei Beispiele für Vorhaben möchte ich kurz erwähnen, die sich seit unserer Konferenz in Metz vor zwei Jahren getan haben. Und beide Beispiele sind im wörtlichen Sinn grenzüberschreitend. Im grenzüberschreitenden Taxiverkehr haben Deutschland und Frankreich jetzt eine Regelung gefunden, die es Fahrgästen auf beiden Seiten ermöglicht, mit einem Taxi die Grenze zu überqueren und sich auch wieder zurückbringen zu lassen.
Aber nicht nur mit dem Taxi lässt sich die deutsch-französische Grenze überqueren. Ein weiteres Vorhaben im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs ist die nach dem Krieg eingestellte und jetzt wieder errichtete Tram-Verbindung zwischen Straßburg und Kehl. Noch in diesem Monat wird die Straßburger Tram dann über den Rhein bis zum Kehler Bahnhof fahren, eine Verlängerung bis zum Kehler Rathaus ist vorgesehen.
Die Planung und der Bau der Brücke über den Rhein wurden mit EU-Geldern aus dem Interreg-Programm kofinanziert. Die übrigen Kosten für den Bau der Brücke teilen sich die Beteiligten aus Deutschland und Frankreich.
Und gerade gestern haben wir im Bundeskabinett das Vertragsgesetz zur gemeinsamen Wasserschutzpolizei verabschiedet. Sobald Baden-Württemberg und Frankreich die Vereinbarung unterzeichnet haben, werden die Wasserschutzpolizeien auf dem Rhein, die schon seit 2011 gemeinsam und erfolgreich für größere Sicherheit der Rheinschifffahrt sorgen, auf einer gesicherten Rechtsgrundlage agieren können. Zugegeben, ein verhältnismäßig kleines Mosaiksteinchen, aber auch das zeigt, warum die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einen Modellcharakter für die gesamteuropäische Integration haben kann: Der gemeinsame Grenzschutz ist derzeit ein Dauerbrenner in den europäischen Diskussionen. Hinschauen im Kleinen, Übertragen auf das Große. Das kann sich auch hier lohnen.
Wenn wir in der EU aber wirklich dauerhaft erfolgreich sein wollen, müssen wir die Nationalisten und Populisten widerlegen. Nicht in Sonntagsreden, nicht in großen Manifesten, sondern indem wir konkret die Lebensbedingungen verbessern und vor allem in Arbeit und Bildung investieren. So bestehen im Hochschulbereich auf regionaler Ebene mehrere Kooperationsformen zwischen Deutschland, Frankreich und auch mit der Schweiz und Luxemburg. Ausbildung und Forschung werden damit über die Landesgrenzen hinaus vernetzt. Junge Menschen erhalten neue Chancen für Ausbildung und die Forschungsinstitute profitieren von den Kooperationen. Ein Beispiel ist der im Mai 2016 gegründete trilaterale Wissenschaftsverbund „European Campus – EUCOR“, an dem die Universitäten Freiburg, Karlsruhe, Straßburg, Colmar/Mulhouse und Basel beteiligt sind. Er vereint rund 115.000 Studierende in drei Staaten. Über die Universität der Großregion wird uns nachher im dritten Panel Näheres berichtet werden.
Oder denken Sie an die Deutsch-Französische Hochschule (DFH), die mit 16.000 Absolventen im Jahr 2015 im europäischen Kontext ein einzigartiges Modell der bilateralen Zusammenarbeit im Hochschulwesen und in der Forschung ist.
Im Februar 2013 wurde die erste deutsch-französische Arbeitsvermittlungsstelle in Kehl (Baden-Württemberg) eröffnet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen und französischen Arbeitsverwaltung arbeiten in Kehl „Tür an Tür“ zusammen. Ich hatte im vergangen Jahr die Gelegenheit, mir bei einem Besuch ein Bild von der hervorragenden Arbeit zu machen. Die Hauptaufgabe der Arbeitsagentur ist die Information und Vermittlung über bzw. auf Stellenangebote auf beiden Seiten der Grenze. Diese Zusammenarbeit wurde mittlerweile auf fünf Standorte ausgedehnt. 2016 wurde 1430 Arbeitsuchenden ein Arbeitsplatz in der Grenzregion vermittelt.
Und im Februar 2016 haben die Arbeitsministerinnen Deutschlands und Frankreichs, Andrea Nahles und Myriam El Khomri, einen Aktionsplan für die deutsch-französische berufliche Mobilität vorgestellt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Eines ist mir ganz besonders wichtig: mit jungen Menschen in Kontakt zu bleiben. Insbesondere junge Leute müssen die Chance erhalten, von diesem Europa ohne Binnengrenzen zu profitieren. Und zwar alle jungen Leute, nicht nur Studierende, sondern auch Auszubildende und junge Berufstätige. 2016 haben 345 Deutsche und Franzosen eine grenzüberschreitende Ausbildung absolviert. Unter den zahlreichen Projekten zur Entwicklung der grenzüberschreitenden Ausbildung konnte ich 2016 junge französische Azubis treffen, die bei den Badischen Stahlwerken ihre Ausbildung machen. Es sind wunderbare Europäerinnen und Europäer.
Stellen Sie sich vor: ohne Sprachkenntnis, meistens Schulabbrecher, haben sie sich dafür entschieden, tagtäglich den Rhein zu überqueren, um in Kehl eine neue Chance zu ergreifen.
Deshalb freue ich mich besonders, dass das Deutsch-Französische Sekretariat im März 2017 den einhunderttausendsten Teilnehmer im deutsch-französischen Berufsausbildungsaustausch feierte! Meinen herzlichen Dank an das Deutsch-Französische Sekretariat und die beteiligten Unternehmen für ihre langjährige erfolgreiche Arbeit. Wir müssen die Herzen und die Leidenschaft der jungen Europäerinnen und Europäer gewinnen, wenn wir ein solidarisches Europa von morgen bauen wollen.
Hierbei geht es um wesentlich mehr als nur um Studium oder Berufsausbildung. Es geht auch um Persönlichkeitsbildung.
Wer einmal in jungen Jahren in der Fremde oder mit Menschen aus anderen Ländern zu tun hatte, der ist in aller Regel wesentlich weniger anfällig für nationalistische Sprüche als jemand, der nicht die Gelegenheit zur Begegnung und zum Austausch hatte. Ihre prägenden Erfahrungen gerade mit Frankreich bzw. Deutschland haben die Älteren unter ihnen ganz häufig als Schüler im Schüleraustausch, als Interrailer, als Betreuerinnen von Jugendfreizeiten gemacht. Genauso müssen wir heute dazu ermutigen, dass aus jungen Menschen die überzeugten Europäerinnen und Europäer von morgen werden. Etwas, was sich auch das Deutsch-Französische Jugendwerk auf seine Fahnen geschrieben hat, das gerade mit vielfältigen Programmen und Anregungen in der Grenzregion unterwegs ist.
Meine Damen und Herren,
vieles wurde seit unserem vergangenen Treffen in Metz erreicht. Aber wir sind nicht hierhergekommen, um uns selbst zu feiern und uns auf die Schultern zu klopfen. Vieles bleibt zu tun und wir werden weiter machen. Besonders jetzt, wo unsere EU, wo unsere Vorstellung von Europa, so stark unter Druck steht wie nie, müssen Europäer konkret zeigen, dass es sich lohnt, Grenzen einzureißen und sie zu überschreiten. Und wo, meine Damen und Herren, ließe sich das besser zeigen als in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich? Wo, wenn nicht hier? Lassen Sie uns in diesem Geist weiterarbeiten.