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Laudatio von Europa-Staatsminister Michael Roth auf Sten Inge Jørgensen bei der Preisverleihung der Norwegisch-Deutschen Willy-Brandt-Stiftung
es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Kollege,
lieber Vidar Helgesen,
lieber Sten Inge Jørgensen,
lieber Clemens Bomsdorf,
Frau Botschafterin,
sehr geehrte Damen und Herren!
„Ich fühle mich Norwegen mit tausend Banden verbunden, aber ich habe niemals Deutschland – das andere Deutschland – aufgegeben.“ Wer hätte die engen, vertrauensvollen und emotionalen Bindungen zwischen unseren beiden Ländern treffender beschreiben können als Willy Brandt, der 1933 vor den Nazis nach Norwegen flüchtete und dort sieben Jahre lang lebte und arbeitete?
Willy Brandt war ein echter Brückenbauer – zwischen Ost und West, aber auch zwischen Deutschland und Norwegen. Norwegen war für ihn weit mehr als nur ein sicherer Zufluchtsort in schweren Zeiten. Es wurde seine zweite Heimat. 1940 nahm er sogar die norwegische Staatsbürgerschaft an. Kaum jemand hat wohl so entscheidend zur Versöhnung der deutsch-norwegischen Beziehungen beigetragen wie Willy Brandt.
Wie gut, dass es auch heute noch solche Brückenbauer zwischen unseren Ländern gibt. Seit dem Jahr 2000 zeichnet die Norwegisch-Deutsche Willy-Brandt-Stiftung Jahr für Jahr Personen oder Institutionen aus, die mit ihrer Arbeit einen herausragenden Beitrag zur Förderung der deutsch-norwegischen Beziehungen leisten. Unter den bisherigen Preisträgern finden sich nicht nur Politiker, sondern auch Schriftsteller, Musiker, Wissenschaftler und zivilgesellschaftliche Organisationen.
Das zeigt: Unsere bilateralen Beziehungen sind bunt, lebendig und vielfältig – und sie sind mitnichten bloß eine Angelegenheit der politischen Eliten. Sie sind vielmehr tief verwurzelt in der Bevölkerung unserer beiden Länder.
In diesem Jahr geht der Preis an ein deutsch-norwegisches Journalistenduo. So wie Clemens Bomsdorf uns Deutschen als Korrespondent die aktuellen Entwicklungen in Norwegen und anderen Ländern Nordeuropas näher bringt, vermittelt Sten Inge Jørgensen den norwegischen Lesern durch seine Texte ein realistisches Bild von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland.
Durch ihre journalistische Arbeit vermitteln die Preisträger einem breiten Publikum Kenntnisse über das jeweils andere Land und tragen somit maßgeblich zu einem besseren gegenseitigen Verständnis bei. Beide sind im besten Sinne Brückenbauer zwischen unseren Ländern – ganz in der Tradition Willy Brandts. Und deswegen ist der Willy-Brandt-Preis bei Ihnen auch in den allerbesten Händen!
Lieber Herr Jørgensen,
In Ihrem 2014 erschienen Buch „Tyskland stiger frem“ (auf Deutsch: „Deutschland steigt auf“) laden Sie Ihre Leser dazu ein, das moderne Deutschland zu entdecken. Ich möchte fast sagen: neu zu entdecken. Denn Sie räumen in Ihrem Buch auch mit vielen gängigen Klischees und Vorurteilen gegenüber Deutschland auf. Sie beschreiben, wie das wiedervereinte Deutschland seiner Führungsverantwortung in Europa nachkommt. Und sie versuchen zu ergründen, was das viel zitierte „deutsche Modell“ eigentlich im Kern ausmacht.
Für Ihre Landsleute in Norwegen sind sie damit so etwas wie ein „Dolmetscher“ für die Tücken und Raffinessen von Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft in Deutschland. Sie übersetzen für die Menschen in Norwegen, wie Politik in Deutschland funktioniert, und werben auch um Verständnis für deutsche Standpunkte und Entscheidungen.
Einander zu verstehen und nicht Vorurteilen auf den Leim zu gehen, einander zu erklären und nicht zu verklären, Vertrauen auf- und Skepsis abbauen – dabei leisten Sie, lieber Herr Jørgensen, einen ganz wertvollen Beitrag.
Ich bin überzeugt: Es war höchste Zeit, dieses Buch zu schreiben, von dem ich mir wünsche, dass es bald auch in der deutschen Übersetzung vorliegt. Denn es macht auch uns Deutschen durchaus Mut, dass wir auf einem guten Weg sind.
Wenn es darum geht, dass oftmals verzerrte Deutschlandbild in Europa und der Welt zurechtzurücken, dann sprechen Sie auch mir ganz persönlich aus dem Herzen, lieber Herr Jørgensen. Denn bisweilen ist es kein ganz einfacher Spagat, der Deutschland abverlangt wird. Einerseits erwarten unsere europäischen Partnerländer zu Recht, dass Deutschland als größter EU-Mitgliedstaat gerade in Krisenzeiten mehr Führungsverantwortung in Europa und der Welt übernimmt.
Andererseits beobachten unsere Nachbarn sehr genau, ob Deutschland seine wirtschaftliche und politische Stärke nicht zu dominant auszuspielt. Auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind manche Wunden der Vergangenheit noch nicht verheilt. Mancherorts ist in den vergangenen Jahren leider der Eindruck entstanden, Deutschland suche die Rolle eines Oberlehrers und wolle seine eigenen Vorstellungen in Europa kompromisslos durchsetzen.
Diesem Bild trete ich entschlossen entgegen. Und ich bin froh und dankbar, dass auch Sten Inge Jørgensen in seinem Buch ein ganz anderes, ein positives Deutschlandbild zeichnet. Denn Europapolitik ist vor allem Teamspiel. Ein Teamspiel, in dem Deutschland ein engagierter, aber eben nicht der einzige Spieler ist. Auch das vermeintlich so große Deutschland kann seine Interessen nicht im Alleingang, sondern nur im europäischen Zusammenspiel durchsetzen. Wir Deutsche sind bekanntlich gute Mannschaftsspieler – im Team mit anderen europäischen „Stars“ wie Frankreich, Italien, Polen und Schweden können wir in Europa Großes bewegen.
Und wie schön wäre es, wenn wir auch Norwegen irgendwann mal als Mitglied unseres EU-Teams begrüßen könnten. Ich zumindest gebe die Hoffnung nicht auf. Unsere Tür steht immer offen!
Denn Norwegen würde uns in der Europäischen Union wirklich gut tun. Die Deutschen lieben Norwegen – nicht nur als Reiseziel. Norwegen steht für viel mehr als nur für landschaftliche Schönheiten, imposante Fjorde, die Bergwelt und einsame Inseln oder „Feriehus“ und „Hytte“ inmitten der Natur. Sogar mein Kollege Martin, der mich stets zuverlässig von einem Termin zum nächsten fährt, und schon in vielen Ländern Dienst geleistet hat, würde ausschließlich an einem Ort außerhalb Deutschlands beruflich nochmal Wurzeln schlagen: in Norwegen!
Wir Deutschen bewundern das viel beschworene „nordische Modell“. Wir sind fasziniert vom stabilen sozialen Netz, von der liberalen und aufgeschlossenen Kultur und das alles bei einer starken Wirtschaft.
Mit seiner einzigartigen Mischung aus ökonomischer Leistungsfähigkeit, Individualität und gesellschaftlicher Solidarität garantiert das „nordische Modell“ eine hohe Lebensqualität.
Offen gestanden: Wir Deutschen wollen eigentlich immer ein wenig so sein wie unsere nordischen Nachbarn. Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat diese fast schon romantische Verehrung mal mit den Worten „Bullerbü sollte überall sein!“ auf den Punkt gebracht. Der Satz könnte aber auch genauso heißen: „Oslo, Bergen oder Lillehammer sollten überall sein!“
Sie, lieber Herr Jørgensen, sind kürzlich in einem Artikel in der Wochenzeitung DIE ZEIT zu dem Schluss gekommen, dass Deutschland auf ganz einem guten Weg ist, dem „nordischen Modell“ immer ähnlicher zu werden. Sie heben hervor, dass Deutschland eine „produktive Balance zwischen Ordnung und Flexibilität“ gefunden hat, für die uns viele beneiden.
Sie beschreiben ein Deutschland, das für die Fähigkeit zum Kompromiss steht – und nicht für politische Polarisierung, wie wir sie derzeit in vielen Teilen Europas erleben.
Sie schließen Ihren Artikel mit einem wunderbaren Eingeständnis: „Im Grunde entdecken wir Nordländer erst jetzt, wie nah uns Deutschland nicht nur geografisch, sondern auch kulturell ist. […] Die Skandinavier könnten [in Deutschland] eines Tages ein Land entdecken, das sie womöglich dafür mögen werden, dass es ein bisschen so ist, wie ihre Heimat einmal war.“
Ein bisschen nordisch dürfen wir uns also auch in Deutschland fühlen. Allein diese Sätze zeigen schon, dass der Willy-Brandt-Preis bei Ihnen in guten Händen ist. Ich würde mich freuen, wenn Ihr Buch dazu beitragen würde, gängige Klischees über Deutschland abzubauen, auch in Norwegen ein Bild von einem unverkrampften, modernen und farbenfrohen Deutschland zu vermitteln und uns noch näher zusammenbringen - in einem Vereinten Europa.
In diesem Sinne möchte ich Ihnen für Ihr großartiges Engagement für die deutsch-norwegischen Beziehungen danken und von ganzem Herzen zu dieser Auszeichnung gratulieren.