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Rede von Außenminister Steinmeier bei der Gedenkstunde zur Ehrung von Ilse Stöbe am 10. Juli 2014 im Auswärtigen Amt

10.07.2014 - Rede

Meine Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
liebe Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Amtes,
liebe Gäste!

Draußen vor diesen Türen ist der Ort, an dem das Auswärtige Amt seiner Angehörigen gedenkt, die im Dienst ihr Leben ließen. Manche von ihnen nach langer Dienstzeit. Das war Ilse Stöbe nicht vergönnt. Nur einige Monate arbeitete sie in der Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes. Sie hatte dort Artikel über den Siegeszug der Wehrmacht durch Europa zu entwerfen, was ihr schon schwer genug fiel.

Ilse Stöbe war eine junge, hübsche, geistreiche Frau, die sich im Büro häufig genug über die unbeholfenen Texte ihres Abteilungsleiters lustig machte. Die vor allem aber Kenntnis erhielt von Richtung von den deutschen Aufmarschplänen Richtung Osten und die es mit ihren Überzeugungen –ihrer Gegnerschaft zu den Nazis- und ihrem Gewissen nicht vereinbaren konnte, dieses Wissen für sich zu behalten; die warnen wollte.

Das hat Ilse Stöbe das Leben gekostet.

Die Gestapo verhaftete sie im September 1942. Am 22. Dezember wurde sie in Plötzensee hingerichtet, kurz nach ihrem früheren Vorgesetzten Rudolf von Scheliha. Der Diplomat hatte die Informationen besorgt und an Stöbe weitergeleitet. Beide arbeiteten zusammen, um den Siegeszug der Nazis in Europa doch noch aufzuhalten.

Schelihas Name steht an erster Stelle der Tafel, auf der das Auswärtige Amt den Widerstand einzelner Mitarbeiter gegen den Nationalsozialismus würdigt. Doch bis heute fehlte ein Name an dieser Stelle: Ilse Stöbe. Erst jetzt ist er nachgetragen worden, und zwar an letzter Stelle der Widerständler. Eben wie nachträglich angefügt. Ich finde das richtig so!

Wir sollten nicht so tun, als wäre es anders gewesen. Eigentlich sollte es uns beschämen, dass wir die Liste derjenigen, die gegen Hitler ums Leben kamen, erst so spät vervollständigen.

Jahrzehntelang galt Stöbes Handeln im Auswärtigen Amt nicht als Widerstand, sondern als Verrat. So sahen es nicht nur die Nazis, sondern auch viele Angehörige dieses Hauses nach dem Krieg.

Das Amt ehrte die Verschwörer und Mitwisser des 20. Juli, es ignorierte aber lange Menschen wie Scheliha und Stöbe. Dass sie der kommunistischen Sowjetunion Informationen zulieferten, ließ ihre Taten für viele im Nachhinein umso verwerflicher erscheinen.

Doch auch nach dem Ende des Kalten Krieges ließ eine Neubewertung auf sich warten. „Spionagetätigkeit“ wurde als „Widerstand im zweiten Rang“ behandelt, wie es im Buch „Das Amt und die Vergangenheit“ kritisch heißt.

Rudolf von Scheliha wurde 1995 im Bonner Amt immerhin auf einer gesonderten Plakette geehrt. Das verdanken wir dem historiografischen Ehrgeiz des ehemaligen Botschafters Ulrich Sahm und dem Engagement von Schelihas Verwandten. Sie mussten dafür sogar vor Gericht ziehen. Beim Umzug des Amts nach Berlin wurde Schelihas Name chronologisch in die Liste der Widerständler aufgenommen.

Ilse Stöbe hatte nach dem Krieg keine vergleichbare Lobby. Ihre Verwandten waren tot, und auch unter den Diplomaten verwendete sich keiner für die ehemalige kleine Angestellte.

Das Auswärtige Amt selbst hat sich lange schwergetan mit der Aufarbeitung seiner Vergangenheit. Es herrschte die Meinung vor, dass die Diplomaten selbst im Dritten Reich mehr oder weniger sauber geblieben seien. Die Übeltäter dagegen, die etwa im Judenreferat aktiv an der Ermordung der Juden in Europa beteiligt waren, seien von außen implantiert worden.

Wir wissen mittlerweile, dass es so einfach nicht war. Auch viele Diplomaten haben mitgearbeitet an Deutschlands Angriffskriegen und am Holocaust. Wir sollten uns klarmachen, dass Ilse Stöbe vermutlich genau deshalb im Auswärtigen Amt angefangen hat – hier waren viele brisante Informationen frühzeitig zu bekommen.

Genaues wissen wir allerdings nicht über Ilse Stöbes Motive. Das liegt auch daran, dass die Akten, die in Moskau lagern, für deutsche Forscher nicht zugänglich sind. Ihre Gegner nannten sie gerne die „schöne Kommunistin“. Mitglied der KPD war sie aber vermutlich nicht. In den vorliegenden Studien finden sich wenige Zeugnisse ihrer politischen Haltung.

Ein Blick in ihre journalistischen Arbeiten hilft dennoch, uns ein Bild von Ilse Stöbe zu machen – als einer unabhängigen, klugen Frau. In einem Reisebericht für die Neue Zürcher Zeitung schilderte sie das Tatra-Gebirge und notierte, die Gegend liege weit genug abseits, dass Städter auf dem Sonntagsausflug sie nicht „mit Stullenpapier, Bürogehirnen und Geräusch“ überfluteten. Offensichtlich hat sie sich auch ein unabhängiges Urteil gewahrt. 1938 schrieb sie über die Juden in Polen bemerkenswert offen, deren Lage widerspreche den „Vorstellungen, die sich die Welt aufgrund der Judenaustreibungen aus Deutschland und Österreich von Judentum und Judenfrage zu machen gewohnt“ sei – will meinen: dramatisch viel schlimmer.

„Haltet die Augen offen und macht Euch nichts vor“, diese Mahnung ist von Ilse Stöbe überliefert. Der Satz steht für den wachen Geist dieser Frau, ihre Begabung zum prägnanten Ausdruck und doch auch für die Vergeblichkeit ihres Tuns. Denn die zutreffenden Warnungen Schelihas und Stöbes an Moskau, dass Hitler seinen Verbündeten bald angreifen werde, wurden vom sowjetischen Geheimdienst nicht ernst genommen.

Die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand zeigt, wie unterschiedlich die Motive und Methoden der Gegner des Hitler-Regimes waren. Manche planten Attentate wie Stauffenberg, andere verteilten Flugblätter, wie die Mitglieder der Weißen Rose. Der späte Erfolg von Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ zeigt, wie sehr uns bis heute das Schicksal der Menschen berühren muss, die ihr Leben im Widerstand gegen Hitler verloren; Schicksale –wie das von Ilse Stöbe-, die bis heute nicht aufgearbeitet sind.

So vielfältig die Motive und die Formen waren, so müssen wir aber auch vor allem eines bedenken: Es waren nicht viele, die Widerstand geleistet haben. Und diejenigen, die Mut hatten, Widerstand zu leisten, haben ihn in hoher Zahl mit dem Leben bezahlt – Ilse Stöbe auch.

Dass wir Ilse Stöbe an die letzte Stelle gefügt haben, soll nicht nur daran erinnern, wie schwer das Auswärtige Amt sich damit getan hat, an sie zu erinnern. Wir geben damit auch den Blick nach vorne frei. Die Geschichte des Gedenkens an Ilse Stöbe sollte uns eine Mahnung sein, Erinnerungen wach zu halten und sie ständig aufs Neue kritisch zu prüfen.

In diesem Sinne danke ich all denjenigen, die sich darum bemüht haben, das Leben und Wirken Ilse Stöbes aufzuarbeiten. Ohne Sie wären wir heute nicht hier, und ein Kapitel des Widerstands im Auswärtigen Amt gegen Hitler bliebe unerwähnt.

Vielen Dank!

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