Willkommen auf den Seiten des Auswärtigen Amts
Rede von Außenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Veranstaltung der Mercator-Stiftung zu „Klimawandel als Herausforderung internationaler Politik“
--- Es gilt das gesprochene Wort!---
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Prof. Lorentz,
'Klimawandel als Herausforderung internationaler Politik.' Noch vor zehn Jahren hätte man vermutlich hinter dieser Überschrift ein Fragezeichen gemacht – heute mit Sicherheit ein Ausrufungszeichen!
In diesen zehn Jahren ist etwas passiert. Ich denke zurück an meinen ersten Besuch als Außenminister hier auf Sicherheitskonferenz vor acht Jahren. Damals habe ich gesagt: Es ist gut, dass Außenpolitik sich um aktuelle Krisen und Konflikte kümmert. Aber die Aufgabe von Außenpolitik muss eine größere sein. Sie muss in der Lage sein zu erkennen, wo am Horizont die nächste Generation von Konflikten aufscheint – und zwar im Kampf um knappe Ressourcen, im Kampf um Ackerflächen, im Kampf um Wasser.
Dazu habe ich hier auf der Münchener Sicherheitskonferenz eine kleine Rede gehalten. Ich weiß noch genau, wie Horst Teltschik damals meinen Auftritt mit den Worten kommentiert hat: Danke, Herr Steinmeier, schön, dass Sie hier waren – schade, dass Sie nicht zur Außenpolitik geredet haben.
Damals also, im Januar 2006, haben viele noch nicht recht geglaubt, dass der Klimawandel ein Thema der Außen- und Sicherheitspolitik sein könnte. Das hat sich gründlich gewandelt. Auf Gipfeltreffen zum Klimawandel auf der ganzen Welt waren seither nicht nur Umweltminister, nicht nur Außenminister unterwegs, sondern auch Staats- und Regierungschefs.
Doch wenn Sie sich nun umschauen, ist spätestens seit den Verhandlungen von Kopenhagen und Warschau das Thema Klimawandel auf der Mühsal der Ebene angekommen. Es ist nicht nur von den Titelseiten der deutschen und internationalen Tageszeitungen verschwunden, sondern die Teilnahme westlicher Spitzenpolitiker ist –vornehm gesagt- etwas „downgerated“ worden.
Doch Themenkonjunkturen hin oder her – die Sache selbst hat an Dringlichkeit ja nichts verloren. Der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat gesagt: „Die Natur wird zu uns sprechen“. Vielleicht war das sogar noch untertrieben. Mit Blick auf Naturkatastrophen wie auf den Philippinen, oder Hurrikan Sandy an der Ostküste; mit Blick auf Hochwasser, Schmelzwasser und Meeresspiegel, würde ich geradezu behaupten: Die Natur spricht nicht nur, sie schreit uns an!
Ich will deshalb der heutigen Podiumsdiskussion drei politische Denkanstöße aus meiner Sicht voranstellen, was Außenpolitik auch auf der mühsamen Ebene zu Klimaschutz und Energiesicherheit beizutragen hat.
Erstens, der Dreh- und Angelpunkt sind und bleiben die internationalen Klimaverhandlungen.
Es ist gut, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen beim Klimaschutz nicht nachlässt. Gerade gestern hat Ban Ki-moon bei uns im Auswärtigen Amt in Berlin einen Wissenschaftlichen Beirat aus der Taufe gehoben, in dem Experten aus aller Welt den Vereinten Nationen helfen werden, aus wissenschaftlicher Erkenntnis praktische Politik zu machen. Das erste große Thema des Beirats wird Nachhaltigkeit sein.
Der Generalsekretär hat sehr deutlich gemacht, dass aus dem Klimagipfel in Paris mehr werden muss als aus Kopenhagen. Den Gastgeber Frankreich wollen wir Deutschen tatkräftig unterstützen, um die politischen Vorbedingungen für ein verbindliches Klimaabkommen zu schaffen. Dies habe ich mit meinem französischen Kollegen Laurent Fabius vor wenigen Tagen vereinbart. Ban-Ki-Moon hat uns auch gebeten, unsere deutsche Präsidentschaft der G8 im nächsten Jahr auch zu nutzen, um das Thema Klimawandel und Folgen des Klimawandels an die Spitze der Diskussion zurückzuholen.
Damit das Thema auch in der breiten Öffentlichkeit wieder in die Wahrnehmung gelangt, muss mehr als nur die Gestaltung der Tagesordnung stimmen, sondern vor allem eines: Glaubwürdigkeit. Ambitionierte Klimaziele können wir EU-Staaten in der Welt nur dann glaubwürdig vertreten, wenn wir uns selbst welche setzen. Die jüngst von der Kommission vorgelegte 40%-Marke bis 2030 ist so ein ehrgeiziges Ziel und ein gutes Signal. Was nicht heißen soll, dass ich mir nicht noch ehrgeizigere Ziele gewünscht hätte... zum Beispiel genauso verbindliche Ziele für erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Zumal wenn im Auslassen dieser Ziele ein versteckter Hinweis auf eine Renaissance der Atomkraft in manchen Staaten liegt, so kann ich vor diesem Trend nur warnen. Die Atomkraft mag zwar kein CO2 ausspucken, doch die Risiken von Unfällen, Proliferation und Entsorgung sind uns doch wohlbekannt. Ich bleibe der Überzeugung: Atomkraft ist keine Zukunftslösung! Nun liegt es also am Europäischen Rat, ein ambitioniertes Gesamtpaket zu schnüren.
Doch selbst mit den ambitioniertesten Klimazielen – Europa allein kriegt die Wende nicht hin. Die aufstrebenden Mächte wie China, Brasilien oder Indien gehören nicht nur zu den größten CO2-Emittenten, sondern haben auch großen Einfluss auf die internationale Klima- und Energiepolitik. Die Aufgabe bleibt bislang ungelöst: Wie beziehen wir diese Länder eng und verbindlich in die Klimaverhandlungen ein? Welche neuen Allianzen in und um die traditionellen Foren herum müssen wir dafür schmieden?
Der zweite Denkansatz heißt: Klimapolitik ist vorausschauende Sicherheitspolitik.
Knappes Trinkwasser, Dürren, Missernten, ansteigende Meeresspiegel, Stürme und Überschwemmungen: Das sind nicht nur Katastrophen im Leben der Betroffenen, sondern Bedrohungen für ganze Staaten und für das friedliche Zusammenleben in ganzen Regionen.
Auch das ist eine Lehre aus den frühen Anfängen unserer Klimaaußenpolitik, die nichts an Aktualität verloren hat. Damals haben wir uns zum Beispiel in Zentralasien engagiert – einer Region, die als Brücke zwischen Europa und Asien sehr interessant ist, und mit Ressourcen sehr unterschiedlich versorgt. Wir haben damals in dieser Region das Thema angesprochen, und eine Zusammenarbeit gegen die Wasserknappheit angestoßen.
Durch solche und andere Initiativen ist es uns gelungen, Bewusstsein zu schaffen und das Thema ‚Klimawandel und Sicherheit‘ in die internationalen Foren hineinzutragen: In den VN-Sicherheitsrat unter deutschem Vorsitz, in die G8 durch eine gemeinsame deutsch-französische Initiative, auch in die EU. Schritt 1, das Agenda-Setting, hat also funktioniert.
Schritt 2 ist jetzt, die passenden außenpolitischen Instrumente zu entwickeln: ein Frühwarnsystem, um klimabedingte Krisen rechtzeitig zu erkennen, und Governance-Strukturen, um effektiv gegenzusteuern. Vielleicht geht das damit los, dass wir uns angewöhnen, beim Blick auf die Weltkarte nicht nur die politischen Brennpunkte zu sehen, sondern auch die klimatischen Hot-Spots. Wo beides sich überlappt, ist Eingreifen umso dringlicher.
Klimaverhandlungen und Krisenprävention – all das ist Politik über die Auswirkungen des Klimawandels. Wenn Sie so wollen, trifft das noch nicht des Pudels Kern. Der kommt beim dritten Politik-Ansatz ins Spiel: Wie leben wir eigentlich auf diesem Planeten? Wie konsumieren, arbeiten und wirtschaften wir? Mit anderen Worten: Sind wir bereit, den Klimawandel an der Wurzel zu fassen?
Die Antwort nennen Experten einen „Transformative Shift“ der Weltwirtschaft. Der bedeutet nicht weniger als: Wohlstandswachstum und Ressourcenverbrauch sollen in Zukunft getrennte Wege gehen.
Denn die Weltbevölkerung wächst rasant – und mit ihr die Ansprüche an die begrenzten Ressourcen unseres Planeten.
Für diesen „Transformative Shift“ läuft bei uns in Deutschland gewissermaßen das globale Pionierprojekt. Wir nennen es Energiewende.
Die Energiewende ist ein Transformationsprojekt, weil sie mehr ist als technologische und wirtschaftliche Innovation. Sie bedeutet grundlegenden Umbau nicht nur in der Energieerzeugung, sondern Umbau in den Städten und im Verkehr, in der Industrie und in den Haushalten. Die politische Auseinandersetzung in diesen Wochen zeigt ja, wie viele Nervenenden in der Gesellschaft diese Energiewende empfindlich berührt.
Was nun ist die Rolle von Außenpolitik in diesem Pionierprojekt?
Die erste lautet: Wir müssen dieses Modellprojekt so gestalten und so vermitteln, dass es nicht nur im eigenen Land funktioniert, sondern weltweit attraktiv und übertragbar ist. Wir wollen für andere Länder, gerade für die neu aufstrebenden, das Signal setzen: Wachstum und Umweltschutz schließen einander nicht aus!
Die Welt schaut ganz genau hin, ob wir Deutschen diese Energiewende hinkriegen. Denn Transformation steht auf der ganzen Welt bevor. In China und Indien zum Beispiel, die ja erst an der Schwelle ins industrielle Zeitalter stehen. Doch schon heute sieht man in Shanghai und Neu-Delhi oft vor lauter Smog die eigene Hand nicht vor den Augen. Umstellen müssen sich auch diejenigen Volkswirtschaften, die sich nicht darauf verlassen können, dass sie noch in 20, 30 Jahren allein von der Ausbeutung ihrer Rohstoffe leben können.
Die deutsche Außenpolitik wird diese Vorreiterrolle in Sachen Nachhaltigkeit annehmen.
Wir wollen neue internationale Partnerschaften anstoßen – außenwirtschaftlich und umweltpolitisch. Einerseits können wir damit insbesondere Schwellenländern helfen, ihren wachsenden Energiehunger mit weniger Kohle, Öl und Atomkraft und dennoch kosteneffizient zu stillen. Andererseits helfen solche Partnerschaften im Umkehrschluss dabei –und das ist der zweite Beitrag der Außenpolitik–, dass die Energiewende in unserem eigenen Land gelingt.
manche vergleichen die Energiewende der Deutschen mit der Mondlandung der Amerikaner. Vielleicht finden Sie den Vergleich übertrieben, zumindest ein bisschen schief. Aber er zeigt doch, wie so ein Pionierprojekt die Begeisterung einer ganzen Gesellschaft wecken und über die Landesgrenzen hinausstrahlen kann.
Nicht weniger ist nötig, um die Energiewende zum Erfolg zu führen. Um im Bild zu bleiben, würde ich sagen: Das beste Aushängeschild für Deutschland, und den größten Dienst am weltweiten Klimaschutz, leisten wir, indem wir dieses Pionierprojekt zur glücklichen Landung bringen. In diesem Sinne: Strengen wir uns an – bei uns zu Hause und in der Welt.
Herzlichen Dank.