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Syrien: „Der internationale Strafgerichtshof soll ermitteln“
Außenminister Guido Westerwelle über die aktuellen diplomatischen Bemühungen in der Syrien-Frage. Erschienen in der Rhein-Neckar-Zeitung vom 13.09.2013.
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Anfang der Woche kam von der russischen Regierung der Vorschlag, die syrischen Chemiewaffen unter internationale Kontrolle zu stellen. War das auch für Sie ein Überraschungscoup?
Wir haben in St. Petersburg beim G20-Treffen, aber auch im Kreis der Außenminister in Litauen über diesen Vorschlag gesprochen. Ich begrüße, dass jetzt erstmals seit Monaten wieder Bewegung entstanden ist.
Aus Damaskus hieß es umgehend, man wolle auf den Plan eingehen. Ist das glaubwürdig?
Das werden wir sehen. Den Worten müssen schnell Taten folgen. Eine internationale Inspektion der syrischen Chemiewaffen ist sicherlich technisch aufwendig und braucht ihre Zeit. Ein Beitritt Syriens zum Chemiewaffen-Übereinkommen ginge aber sofort. Hier kann das Regime zeigen, dass es nicht nur Taktik war, auf den russisch-amerikanischen Vorschlag einzusteigen.
Momentan laufen bilaterale Verhandlungen zwischen Moskau und Washington. Wann erwarten Sie dort handfeste Ergebnisse?
Mit Prognosen halte ich mich aus guten Gründen zurück. Ich habe gestern auch mit dem französischen Außenminister noch einmal die Lage intensiv beraten. Wir stimmen darin überein, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bald zu einer gemeinsamen Haltung kommen sollte. Es darf nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden, wenn Chemiewaffen auf so furchtbare Weise eingesetzt werden. Aus deutscher Sicht ist es wichtig, dass der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Strafgerichtshof beauftragt, die Vorwürfe zu untersuchen.
Was ist momentan die europäische Position?
Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass die Ergebnisse der Chemiewaffen-Inspekteure der Vereinten Nationen abgewartet werden müssen. Die gewonnene Zeit sollten wir für eine politische und diplomatische Lösung nutzen. Dauerhaften Frieden und dauerhafte Stabilität wird es für Syrien nicht durch eine militärische Lösung geben.
Momentan liegt der internationale Fokus auf den Chemiewaffen - der „konventionelle“ Bürgerkrieg allein hat aber schon über 100 000 Opfer gefordert. Gerät das im Schatten der C-Waffen-Diskussion aus dem Blickfeld?
In den öffentlichen Diskussionen mag das so sein, sicher nicht bei unseren diplomatischen Bemühungen für ein Ende des Bürgerkriegs und eine politische Lösung. Es geht darum, mit einer internationalen Konferenz in Genf unter Beteiligung der Bürgerkriegsparteien einen politischen Neuanfang für Syrien möglich zu machen.
Steht dafür eine gemeinsame Front, auch mit den Russen?
Ich wünsche mir, dass wir im Zuge der nächsten Vollversammlung der Vereinten Nationen, die am 23. September beginnt, wenigstens einen Fahrplan und Rahmenbedingungen für eine Genfer Konferenz erarbeiten können. Die Bewegung der letzten Tage könnte zu einer Chance dafür werden, dass der politische Prozess tatsächlich beginnt und in einer Genfer Konferenz mündet. Es wäre wichtig, dass auf dem Weg dorthin auch über eine Waffenruhe verhandelt wird.
Aktuelle Zeitungsberichte legen anderes nahe: Die „Washington Post“ berichtet, die USA würden den Rebellen Waffen liefern.
Ich kann zu solchen Medienberichten keine Stellung nehmen. Wir haben ganz deutlich gemacht, dass Deutschland keine Waffen nach Syrien liefern wird. Aus meiner Sicht ist die Gefahr, dass solche Waffen in falsche Hände geraten könnten, sehr real. Man muss ja bei der syrischen Opposition differenzieren zwischen moderaten Kräften einerseits sowie Dschihadisten und Terroristen auf der anderen Seite. Dass diese gegen Assad kämpfen, macht sie nicht zu Verbündeten.
Gerücht zwei: Moskau soll Assad als Gegenlieferung für das Chemiewaffen-Abkommen Waffen versprochen haben.
Auch dazu kann ich mich nicht äußern. Ich bin als deutscher Außenminister in die Verhandlungen und Gespräche involviert. Das Spekulieren muss ich anderen überlassen.
In der aktuell diskutierten UN-Resolution werden militärische Sanktionen erwogen. Was ist die deutsche Haltung, wenn das zur Abstimmung kommt?
Die deutsche Haltung ist bekannt: Eine deutsche Beteiligung an militärischen Syrien-Einsätzen ist weder erfragt, noch wird sie von der Bundesregierung erwogen. Wir sind davon überzeugt, dass alles getan werden muss, um eine politische, nicht-militärische Lösung zu ermöglichen.
Kommt es doch zur Entscheidungsfrage: Gibt es dann ein Nein - oder eine Enthaltung, wie im Fall Libyen?
Es macht keinen Sinn, hypothetische Verläufe zu erörtern.
Gibt es für Sie eine Rote Linie, die die außenpolitische Linie der Bundesrepublik grundsätzlich ändern würde?
Ich teile die Überzeugung, dass die Weltgemeinschaft nicht zur Tagesordnung übergehen darf, wenn Chemiewaffen so grausam eingesetzt wurden. Das verlangt eine geschlossene und entschlossene Haltung der Weltgemeinschaft. Deshalb bin ich dafür, dass der Sicherheitsrat auch den internationalen Strafgerichtshof mandatiert, eigene Ermittlungen aufzunehmen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen.
Wie sieht es denn in der Flüchtlingspolitik aus: Wird genug zur Entlastung der syrischen Nachbarländer getan?
Deutschland verhält sich vorbildlich. Mit mehr als 400 Millionen Euro engagieren wir uns humanitär für die Menschen in Syrien und auf der Flucht. Das ist weit mehr als jemals zuvor in einer humanitären Krise. Und in Deutschland haben bereits 18 000 syrische Staatsbürger Zuflucht gesucht und Aufnahme gefunden. Jetzt ist die Aufnahme von weiteren 5000 Menschen aus Syrien angelaufen. Das wollen wir jetzt schnell umsetzen. Und dann werden wir sehen, wie sich die Lage in Syrien weiter entwickelt. Wir sprechen jetzt natürlich auch mit unseren europäischen Partnern. Ich meine, dass auch andere in Europa ihren Beitrag leisten sollten.
Interview: Sören S. Sgries. Übernahme mit freundlicher Genehmigung der Rhein-Neckar-Zeitung.