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Interview von Außenminister Guido Westerwelle mit der tunesischen Tageszeitung Achourouk
Anlässlich des zweiten Jahrestags der Jasmin-Revolution sprach Außenminister Guido Westerwelle im Interview mit in der tunesischen Tageszeitung „Achourouk“ über die deutsch-tunesischen Beziehungen, die Lage in Syrien und die Entwicklungen im Nahen Osten. Erschienen am 14. Januar 2013.
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Tunesien begeht heute den 2. Jahrestag der Revolution vom 14. Januar 2011. Wie bewerten Sie den politischen Übergangsprozess in Tunesien heute und wie sehen Sie seine Perspektiven?
Vor zwei Jahren hat die Welt gebannt auf die Bilder aus Tunesien geschaut. In Deutschland haben wir mit den Menschen gefiebert, die friedlich für Würde, Freiheit und Menschenrechte stritten. Auch zwei Jahre danach habe ich Hochachtung für dieses Beispiel an Mut und Zivilcourage. Trotz der verbleibenden großen Herausforderungen ist mein Eindruck, dass Tunesien auf dem richtigen Weg ist. Dies sage ich auch vor dem Hintergrund unserer eigenen deutschen Erfahrungen mit der Wiedervereinigung. Das schwere Erbe von Jahrzehnten autokratischer Herrschaft kann man nicht übernacht beseitigen. Dies ist ein schwieriger Prozess, der Jahre dauert. Aber es ist der richtige Weg.
Wie haben sich die Beziehungen zwischen Tunesien und Deutschland seit der Revolution entwickelt?
Mit der Jasmin-Revolution haben wir ein neues Kapitel in den Beziehungen unserer beiden Länder aufgeschlagen. Die Freundschaft zwischen den Menschen gab es seit Jahrzehnten, seit der Revolution konnten wir nun auch die Beziehungen zu einer demokratisch gewählten tunesischen Regierung erheblich ausbauen. Mit nur wenigen anderen Ländern in der Welt haben wir heute ein derart dichtes Kooperationsprogramm: Allein im Rahmen der Transformationspartnerschaft haben wir über 100 Projekte mit einem Gesamtvolumen von über 41 Millionen Euro vereinbart – hier geht es um so unterschiedliche Vorhaben wie eine bessere Berufsausbildung für junge Tunesier, verstärkten Studentenaustausch oder die Ausbildung junger Journalisten. Dies ist ein außergewöhnliches Engagement das unterstreicht, welche Bedeutung wir den Beziehungen zu Ihrem Land beimessen.
Zwei Jahre nach der Revolution ist die Stimmung in Tunesien alles andere als gut. Verstehen Sie die Frustration der Menschen?
Natürlich verstehe ich den Wunsch nach spürbaren Reformen und nach einem umfassenden demokratischen Wandel. Wir sollten das Entscheidende nicht aus den Augen verlieren: Wenn wir in zehn, zwanzig Jahren zurückschauen, wird man diese Epoche an zwei Fragen messen: Hat Tunesien eine gute Verfassung, die das Volk eint und wurde das Parlament auf dieser Grundlage frei und fair gewählt? Deswegen ist es so wichtig, dass alle tunesischen Parteien sich jetzt auf diese beiden Ziele konzentrieren und im nationalen Interesse aufeinander zugehen. Gerade in dieser entscheidenden Phase der Geschichte des Landes sind die traditionellen tunesischen Tugenden des Dialogs und des Ausgleichs gefragt.
An dieser Stelle hätten wir auch gern gewusst, wie Sie Gegenwart und Zukunft der deutsch-tunesischen Wirtschaftszusammenarbeit sehen?
Ich bin stolz darauf, dass keines der knapp 300 deutschen Unternehmen seit der Revolution Tunesien verlassen hat. Und das trotz nicht immer einfacher Arbeitsbedingungen. Jetzt muss es unser gemeinsames Ziel sein, Tunesien zu einem attraktiven Standort für weitere deutsche Firmen zu machen. Aus meinen Gesprächen mit Unternehmen weiß ich, dass sie sich der Vorteile des Standorts bewusst sind, aber auch genau beobachten, wie sich die tunesische Demokratie entwickelt. Auch deswegen ist es wichtig, sich jetzt auf die Verfassung und die Wahlvorbereitung zu konzentrieren.
Ein Thema im Verhältnis zwischen Europa und Tunesien ist die illegale Emigration. Mit welchen Mitteln und Methoden könnte diese Problematik Ihrer Meinung nach geregelt werden?
Auf dieses schwierige Problem gibt es keine einfache Antwort. Jedes Leben, das auf den häufig lebensgefährlichen Wegen von Nordafrika nach Europa verloren geht, ist eine Tragödie. Die beste Lösung ist nach meiner Überzeugung, den Menschen in ihrer Heimat selbst eine bessere Zukunft zu geben, damit sie gar nicht erst zu derart gefährlichen Reisen ins Ungewisse aufbrechen. Hierzu haben wir mit Tunesien eine ganze Reihe von Initiativen entwickelt: Mit zehn Millionen Euro arbeiten wir daran, die Berufsausbildung in Tunesien zu verbessern um so die Chancen junger Absolventen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Gleichzeitig unterstützen wir aber auch Wege der legalen Migration: 120 jungen tunesischen Ingenieuren bieten wir für ein Jahr die Gelegenheit zur beruflichen Fortbildung in Deutschland; 150 junge Tunesierinnen und Tunesier werden bei uns zu Pflegefachkräften ausgebildet.
Gibt es spezielle Förderprogramme für Tunesier, ihr Hochschulstudium in Deutschland fortzusetzen?
Auch ohne Stipendium kann also ein Studium in Deutschland sehr attraktiv sein. Davon zeugen die über 1.500 tunesischen Studenten, die es derzeit bei uns gibt. Wie wichtig uns dieser Bereich ist, zeigt die kürzliche Eröffnung eines Büros des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Tunis, an das sich alle Interessierte wenden können. Der DAAD sein Stipendienangebot soeben erweitert und erstmalig 70 Stipendien für Sommerkurse an deutschen Hochschulen gewährt.
Zur Außenpolitik: In Syrien spielt sich seit Monaten eine menschliche Tragödie ab. In seiner letzten Rede gab sich Präsident Assad allerdings sehr zuversichtlich. Wie sehen Sie die Lage?
Die Rede von Präsident Assad kann nur mit großer Enttäuschung aufgenommen werden. Es ist eine Rede von martialischer Sprache nach außen und der Uneinsichtigkeit über die wahre Lage nach innen. Und trotzdem: Der Erosionsprozess des Regimes Assad schreitet mit zunehmender Geschwindigkeit voran. Das macht uns und vor allem den Menschen vor Ort Hoffnung, dass die Zeit Assads bald vorbei ist und unter Führung der nationalen Koalition ein Neuanfang möglich wird. Aber es muss ein Neuanfang sein, der auf Demokratie und Pluralität setzt und der sicher stellt, dass alle Religionen im neuen Syrien ihren Platz haben.
Zur Palästina-Problematik und dem Recht des palästinensischen Volkes, sich von der israelischen Besatzung zu befreien und seinen eigenen unabhängigen Staat aufzubauen. Was spricht konkret dagegen, dass die Palästinenser die gleiche Unterstützung bekommen, die andere Völker in der Region erhalten, zumal diese Besatzung die schlimmste Art von Unterdrückung und Tyrannei ist?
Deutschland hat gute und enge Beziehungen sowohl zur palästinensischen Regierung als auch zu Israel. Wir verfolgen konsequent das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung. Israel muss sicher leben können in gesicherten Grenzen, und die Palästinenser haben im Rahmen der Zwei-Staaten-Lösung das Recht auf einen eigenen Staat. Das unterstützen wir. Entscheidend ist, dass alles unterlassen wird, was die Aufnahme von direkten Gesprächen zwischen den Verhandlungspartnern erschwert. Deshalb kritisieren wir die Siedlungspolitik Israels, vor allem aber verurteilen wir die Hassreden von Hamas, die das Existenzrecht Israels erst kürzlich wieder in Frage gestellt haben. Aus Hass erwächst nichts Gutes für das palästinensische Volk.